»Was? Wozu das?« – »Ach, ich tat's gern besitzen.
Symbolisiert es doch auch unser Sein.
Ihr könnt Euch notfalls ein neues stibitzen.
Stehlen und Hehlen vertragen sich fein!«
– »Oh, welche Anspielung! Himmel, ich ahne!
Ob er von hinter der Tür … Oder gar …«
– »Ach, Rodion, Ihr seid mir ein Titane!
Schafskopf mit Beil. Dabei ist mir das klar.
Jugend geht immer die kürzeren Pfade,
Sucht im Vergänglichen sich ihr Pläsier,
Lachen und Lieben und Zimtlimonade,
Spiel mit der Schlinge. Was wollt Ihr dafür?«
– »Darf ich Sie fragen, was Sie mit dem Beil …« – »Ich
sagte doch: Fetisch, Magie, Gral und Ring,
Mondphasen, Zen, Egregoren – wie heilig
ist mir das alles. Gebt her schon das Ding.«
– »Ist mir zu hoch. Doch von mir aus. Hier bitte.«
– »Endlich! Welch Glanz! Wie ein Blitz ins Gestein!
Zehn?« – »Lieber zwanzig.« – »Unmöglich. Die Mitte?«
– »Recht so. Zwölf, fünfzehn. Wir sind überein.
Trotzdem ein Jammer. Riecht ziemlich nach Schwindel.
Wenn ich nur wüßte … Was soll's. Mir egal.
Daß einer achthat auf jedes Gesindel,
ist ganz unmög— Wie mir wird auf einmal!
Schwer sind die Füße, so trocken die Lippen.
Zugluft im Seelenwrack. Horcht! Etwas naht …
Alles gerät um mich her wie ins Kippen …
Und dieser Mann da … Ich weiß keinen Rat!
Hat eine Maske auf! Ha! Wer steckt drunter?
Aus jedem Auge ein glühender Pfeil!
Runter die Maske! Na, mach schon!«
Marmeladow hielt still. Eine lange, unheilverkündende Pause entstand.
»Herrrunter!«
Mit einem Ruck riß Marmeladow sich die Maske herunter, wobei ihm gleichzeitig das an der Maske befestigte Gewand vom Körper glitt – zum Vorschein kam eine Frau, nur mit Spitzenhöschen und Büstenhalter bekleidet, die eine Silberperücke mit Rattenschwänzen trug.
»Himmel! Die Alte. Und ich ohne Beil.«
Raskolnikow sprach diese Worte kaum hörbar und stürzte von der Höhe seiner Kothurnen zu Boden.
Was nun geschah, ließ mich wohl erbleichen. Zwei Geiger sprangen auf die Bühne und spielten wie besessen eine Zigeunerweise – schon wieder Block! dachte ich –, während die Marmeladowsche ihren Umhang auf den gefällten Raskolnikow warf, ihn im nächsten Augenblick rittlings besprang und zu würgen begann, wobei sie aufgeregt mit dem spitzenbehäkelten Hintern wackelte.
Im ersten Moment meinte ich, das Geschehen entspränge einer monströsen Verschwörung, und alle Anwesenden sähen zu mir herüber. Wie gehetzt schaute ich in die Runde, begegnete wieder dem Blick des schnurrbärtigen Mannes in der schwarzen Bluse und war mir plötzlich aus irgendeinem Grund sicher, daß er über Grigori von Ernens Tod Bescheid wußte, ach, daß er von Dingen wußte, die mich noch ungleich schwerwiegender betrafen.
Ich war nahe daran aufzuspringen und wegzulaufen, nur mit ungeheurer Willensanstrengung hielt ich mich auf dem Stuhl. Das Publikum spendete trägen Beifall; manche lachten und zeigten mit dem Finger auf die Bühne, die meisten aber blieben ganz ihren Gesprächen und dem Wodka zugeneigt.
Als Raskolnikow erwürgt war, kam die Frau mit der Perücke an den Bühnenrand gesprungen und fing zum aberwitzigen Spiel der beiden Geigen zu tanzen an, warf die nackten Beine zur Decke und schwang das Beil. Die vier Männer in Schwarz, die die ganze Szene in Reglosigkeit durchgehalten hatten, packten den vom Umhang bedeckten Raskolnikow und trugen ihn hinter die Kulissen. Mich beschlich die Ahnung, daß dies ein Zitat aus dem »Hamlet« sein sollte, wo ganz am Ende von vier Hauptleuten die Rede ist, die den toten Prinz wegzutragen haben; seltsamerweise war es dieser Gedanke, der mich augenblicklich zur Besinnung brachte. Das Ganze, begriff ich, war nicht gegen mich gerichtet (so schnell hätte keiner das zu inszenieren vermocht), sondern eine gewöhnliche mystische Provokation. Ich beschloß sogleich, sie anzunehmen, und wandte mich meinen beiden Matrosen zu, die in sich gekehrt neben mir saßen.
»Stopp, Leute. Das ist Verrat.«
Barbolin blickte mich verständnislos an.
»Scheiß Engländerin!« warf ich hin, so wie es mir gerade einfiel.
Anscheinend ergaben diese Worte für Barbolin einen Sinn, denn er zog sich sofort die Flinte von der Schulter. Ich hielt ihn zurück.
»Nicht so, Genosse. Warte einen Moment.«
Auf der Bühne war inzwischen wieder der Herr mit der Säge erschienen, hatte auf seinem Schemel Platz genommen und zog sich feierlich den Schuh aus. Ich öffnete mein Köfferchen, entnahm ihm einen Bleistift und eines der Haftbefehlsformulare; die klagenden Töne der Säge bezirzten mich, stachelten mich an, und binnen weniger Minuten war der passende Text fertig.
»Was schreibst du da zusammen?« fragte Sherbunow. »Willst du wen verhaften?«
»Nicht doch«, sagte ich. »Wenn, müßten wir alle miteinander einsacken. Wir machen das anders. Weißt du noch, Sherbunow, wie der Befehl lautet? Wir haben hier nicht nur einzuschreiten, wir haben die Linie durchzusetzen, stimmt's?«
»Stimmt«, sagte Sherbunow.
»Na also«, sagte ich, »darum gehst du mit Barbolin jetzt hinter die Kulissen. Und ich geh auf die Bühne, die Linie durchsetzen. Wenn ich damit fertig bin, geb ich das Signal, und ihr kommt raus. Wir führen denen jetzt mal die Musik der Revolution vor.«
Sherbunow klopfte mit dem Finger an sein Glas.
»Nein, Sherbunow«, sagte ich hart, »du kannst sonst nicht arbeiten.«
In Sherbunows Blick flammte etwas auf, das wie Kränkung aussah.
»Wie kommst du darauf?« flüsterte er. »Traust du mir nicht? Ich … ich tät' mein Leben geben für die Revolution!«
»Ich weiß, Genosse«, sagte ich, »aber Kokain gibt's hinterher. Vorwärts.«
Die Matrosen standen auf und gingen zur Bühne – mit festen, ausladenden Schritten, so als hätten sie nicht dieses Parkett, sondern das schwankende Deck eines in Sturm geratenen Panzerkreuzers unter den Füßen; in diesem Moment empfand ich für sie beinahe so etwas wie Sympathie. Über das seitliche Bühnentreppchen verschwanden sie hinter den Kulissen. Ich kippte mir den Rest Chansha mit Kokain in den Rachen, stand gleichfalls auf und ging zu dem Tisch, an dem Tolstoi und Brjussow saßen. Das erregte Aufsehen. Herrschaften und Genossen! dachte ich, während ich gemessenen Schrittes den merkwürdig unruhig gewordenen Saal durchquerte, auch ich hatte heute die Ehre, über eine gewisse Leiche zu gehen, doch es wird euch nicht gelingen, mir mit ihren eingebildeten Händen die Luft abzudrücken. Ach, soll doch der Teufel diesen ewigen Dostojewski holen, diese unendliche Heimsuchung des russischen Menschen! Und den russischen Menschen gleich mit, der nichts anderes um sich wähnt als immer nur Dostojewski!
»Guten Abend, Herr Brjussow! Gönnen Sie sich ein bißchen Erholung?«
Brjussow zuckte zusammen und starrte einige Sekunden, ohne mich gleich zu erkennen. Dann erschien auf seinem eingefallenen Gesicht ein ungläubiges Lächeln.
»Pjotr«, fragte er, »sind Sie das? Freut mich von Herzen, Sie zu sehen. Setzen Sie sich doch ein Momentchen zu uns.«
Ich nahm Platz. Etwas verlegen begrüßte ich Tolstoi – wir kannten uns kaum, obwohl wir uns in der Redaktion des »Apollo« öfters begegnet waren. Tolstoi war völlig betrunken.
»Wie geht's?« fragte Brjussow. »Haben Sie etwas Neues geschrieben?«
»Keine Zeit für so was, Herr Brjussow.«
»Ja«, sagte Brjussow gedehnt, während seine Augen über meine Lederjacke mit der Mauser huschten, »das ist wohl wahr. Mich hat es ja auch … Aber ich wußte gar nicht, daß Sie zu uns gehören, Pjotr. Ihre Gedichte habe ich immer sehr geschätzt, besonders Ihr erstes Bändchen, die ›Verse des Hauptmann Lebjadkin‹, na, und natürlich die ›Gesänge vom Königreich Ich‹. Aber man konnte ja nicht ahnen, daß … Sie hatten es ja immer so mit Pferden und Kaisern und diesem ganzen China.«
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