Diesmal brachten ihm seine Bemühungen dagegen nur Kopfschmerzen ein.
Es gab zu viele Faktoren, die er nicht kannte. Er musste mehr in Erfahrung bringen.
Blade blinzelte, und das statische Rauschen seines Unterbewusstseins wich dem warmen Leuchten seines Bewusstseins. Ein weiteres Mal blinzelte er, dann sah er sich um und fuhr sich über seine trockenen Lippen. Von nebenan waren leise Geräusche zu hören, Tassen wurden angeschlagen, leise Stimmen waren zu hören, die jemanden begrüßten. Offenbar war Blade nicht der Einzige, der nicht schlafen konnte.
Er legte sein Schwert auf das Bett, dann stand er auf und streckte sich.
Er war an der Zeit, die fehlenden Teile des Puzzles zu finden.
Als es fast drei Uhr am Morgen war, schenkte Abigail Blade noch eine Tasse Kaffee ein. Er saß auf der Werkbank und hörte aufmerksam zu, wie Sommerfield ihm die technischen Einzelheiten des neuen Plans schilderte. In der einen Stunde, seit er sich zu ihnen gesetzt hatte, waren die Fragen des Daywalkers sehr detailliert gewesen und hatten Dinge zu Tage gefördert, von denen selbst Abigail nichts wusste. Blades Gründlichkeit war beeindruckend, wenngleich auch ein wenig beängstigend.
Abigail beobachtete ihn aus dem Augenwinkel heraus. Ihr Vater hatte ihr über die Jahre hinweg so viel über Blade erzählt, dass es ihr fast so vorkam, als würde sie ihn durch die Geschichten über seinen Mut und seine Kraft seit einer halben Ewigkeit kennen.
Doch ihm leibhaftig gegenüberzustehen, das war eine ganz andere Sache. Sie wusste zwar, dass Blade ein Vampir-Hybride war, aber dadurch war ihr bis jetzt nicht bewusst gewesen, welche Wärme seine Haut ausstrahlte, als er jetzt keinen halben Meter von ihr entfernt stand. Von Blade schien eine immense Hitze auszustrahlen, kombiniert mit einer Aura der Anspannung und unterdrückten Energie, von der er offenbar mehr als genug besaß.
Er hatte große körperliche Kraft, doch das war nicht alles. Selbst wenn er ganz ruhig dasaß, war er niemals entspannt. Blade war eine riesige gespannte Feder, die nur auf eine passende Gelegenheit wartete, um mit verheerender Macht und Wut zu explodieren. Abigail wusste, dass der Daywalker weder ihr noch den anderen jemals vorsätzlich wehtun würde, und dennoch fühlte sie sich von ihm bedroht. Ihre Wachsamkeit hatte seit ihrer ersten Begegnung nicht mehr nachgelassen, und nun war ihr endlich der Grund dafür bekannt.
Blade war kein Mensch. Diese Erkenntnis hatte für Abigail etwas Schockierendes. Er sah aus wie ein Mensch, aber er hatte so wenig mit einem Menschen zu tun, wie ein Hai mit einer Kaulquappe verwandt war. Abigail fühlte es in ihren Knochen, ein instinktiv bohrendes Gefühl, das ihr riet, zu ihm so weit wie möglich auf Abstand zu bleiben. Sie konnte sich vorstellen, dass ein Löwendompteur so empfand, wenn er in den Käfig ging und wusste, das die Tiere um ihn herum zwar friedlich wirkten, sich jeden Augenblick aber schier grundlos von einer ganz anderen Seite zeigen konnten.
Abigail beobachtete Blade, der sich angeregt mit Sommerfield unterhielt. Er wirkte trotz seiner beeindruckenden Statur überhaupt nicht wie ein Vampir, und ihm hing auch nicht der für Vampire typische Geruch an, jener schwache, moschusartige Hauch von Tod und Zerfall, der einem wie der Rauch eines Scheiterhaufens am Gaumen klebte. Abigail atmete einige Male tief durch, doch es war nichts zu riechen, was auch im entferntesten unangenehm war. Vielmehr roch Blade nach Leder und unparfümierter Seife, was sich mit einem schwachen Hauch nach Holzkohle und Schießpulver vermischte, Gerüche, die seine Kleidung angenommen hatte, wenn er seiner Arbeit nachging.
Wieder sah sie zu Blade, diesmal aber noch vorsichtiger. Nur sein Lächeln verriet ihn manchmal, wenn seine geringfügig längeren Eckzähne zu sehen waren, die bei jedem Grinsen durch den Ausdruck in seinen Augen ein wenig länger und spitzer wirkten.
Doch es war nicht nur sein Aussehen – eine Erkenntnis, die jeder schnell machte, der regelmäßig mit Vampiren zu tun hatte –, sondern es waren auch die vielen kleinen Details.
Blade rührte seinen Kaffee um, und ihr wurde bewusst, dass er immer um eine Tasse Kaffee bat, sie ihn aber noch nie Trinken gesehen hatte. Sie fragte sich, ob sie ihm vielleicht besser eine Tasse Schweineblut oder etwas ähnlich Ekelhaftes anbieten sollte. Whistler war nie ins Detail gegangen, was auf Blades Ernährungsplan stand, und sie selbst konnte sich nicht dazu durchringen, ihn zu fragen.
Von diesen Dingen abgesehen, wurde Abigail auch klar, dass es vor allem Blades Art war, die sie störte. Der Daywalker schien mit keinem von ihnen wirklich etwas zu tun haben zu wollen. Er trug seine Sonnenbrille, auch wenn er sich in einem geschlossenen Raum aufhielt, und selbst wenn er sie einmal abnahm, wirkte er trotzdem so, als würde er sie nach wie vor tragen. Sein Blick hatte immer etwas Vorsichtiges, so als ob er berechnen würde, wie groß das Risiko exakt war, das er einging, wenn er sich mit ihnen abgab und sie am Leben ließ.
Abigail bekam das Gefühl, dass sich Blade mit niemandem wirklich gern abgab…
Sie zuckte zusammen, als Hedges ihr auf einmal eine Hand auf die Schulter legte. Fragend lächelte er sie an. Abigail wurde bewusst, dass sie gedankenverloren mit ihrem Taschenmesser Späne von der Werkbank geschnitten hatte, die sich nun vor ihr auftürmten – so sehr war sie in Gedanken gewesen. Entschuldigend lächelte sie zurück und wischte die Späne in einen leeren Plastikbecher, während sie versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was er zu ihr sagte.
Der Ingenieur beendete soeben einen längeren Monolog. Er wandte sich wieder an Blade. „Wir befinden uns also sozusagen mitten in einem Wettrüsten. Sie benutzen Drakes DNS, um einen besseren Vampir zu erschaffen.“
„Und wir benötigen sein Blut, um sie zu töten.“ Blade überlegte einen Moment, dann berührte er sanft Sommerfields Arm. „Welche Fortschritte macht deine Waffe?“
„Wir sind fast fertig“, erwiderte sie und deutete auf eine Reihe ampullenförmiger Prototypen, die auf der Werkbank gleich neben ihnen aufgestapelt waren. „Das Virus ist für Menschen unschädlich, also haben wir uns entschieden, es in die Nahrungsquelle der Vampire zu geben.“ Sie strich stolz über das Glas eines der Prototypen. „Die eine Sache, die wir mit Sicherheit über die Vampire wissen, ist die, dass sie Blut trinken müssen. Wenn wir das durchziehen können, werden wir in der Lage sein, jede Blutquelle auf der Welt zu infizieren. Dann gibt es niemanden mehr, von dem sie sich ernähren können.“
Abigail stand auf und ging rastlos hin und her. Sie hatte das alles schon zuvor gehört. „Das hilft uns nur nicht, wenn uns keine Zeit bleibt, es fertig zu stellen.“ Sie drehte sich nicht um, dennoch wusste Blade, dass sie ihn meinte. „Wir können nicht einfach hier herumsitzen. Wir müssen den Kampf zu ihnen tragen.“
Sommerfield nickte unglücklich und rieb sich nachdenklich das Kinn. „Wenn die Vampire versuchen, den Erbfaktor in Drakes Genen zu finden, der ihn immun gegen Sonnenlicht macht, dann benötigen sie Laborausrüstung und gewisse Bestände. Beispielsweise gibt es ein Enzym namens Taq Polymerase, das sie benötigen. Es gibt aber nur wenige Lieferanten.“ Sie hielt inne, als ihr klar wurde, dass sie soeben laut gedacht hatte. „Gebt mir ein paar Stunden, ich will sehen, ob ich nicht ein paar Hinweise zusammentragen kann.“
Während die anderen nebenan redeten und scherzten, begab sich Blade in den verlassenen Waffenraum und setzte sich in der Dunkelheit auf eine Bank. Er zog den Inhalator aus der Jackentasche, biss auf das Mundstück und betätigte den Auslöser. Ein leises Zischen war zu hören, als das Serum in seine Lungen gepumpt wurde.
Er spannte seine Muskeln leicht an und spürte, wie die Flüssigkeit die Zellwände durchdrang und heiß und kalt zugleich in den Blutkreislauf gelangte. Erleichtert seufzte er, als der Hunger nachließ, der die ganze Nacht über immer stärker geworden war. Dieses Zeugs funktionierte tatsächlich.
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