Der erste Wachmann täuschte einen Tritt in Blades Weichteile vor, änderte aber im letzten Moment sein Ziel und trat ihm stattdessen in die Magengegend. Sein Fuß glitt jedoch am Kevlar-Schutzpanzer ab und der Mann taumelte aufschreiend nach hinten. Blade schlug ihn mühelos zu Boden und verpasste ihm dann mit seinem stahlbewehrten Motorradstiefel einen Tritt gegen die Schläfe, so dass sein Kopf zur Seite gerissen wurde und auf den Bodenfliesen aufprallte. Der Mann war sofort ohnmächtig, und Blade wandte sich augenblicklich dem zweiten Wachmann zu, der einen Satz auf ihn zu machte und dabei nach seiner Waffe griff.
Vances Werbevideo lief unverdrossen weiter, und der Doktor sprach nach wie vor in einem Tonfall, als wollte er seine Zuschauer hypnotisieren: „Wir glauben, wir sind gesund. Aber in Wahrheit führt unser Immunsystem einen Kampf auf Leben und Tod, um unser Wohlergehen aufrechtzuerhalten…“
Während der zweite Wachmann zu Boden sank und sich sein gebrochenes Handgelenk hielt, beschrieb Blade eine Drehung und landete einen präzisen Treffer. Der Monitor wurde im ersten Anlauf von der Wand gerissen, stürzte zu Boden und zerbarst in einem Regen aus Plasmafunken. Einen Augenblick später taugte der kostspielige Bildschirm nur noch als sehr teurer Bilderrahmen.
Blade führte die Nightstalker durch den dunklen Korridor zu einer großen, wichtig aussehenden Tür am Ende des Flurs. Er bedeutete ihnen, einen Schritt zurückzubleiben, dann zog er seine Waffe. Abigail räusperte sich kurz, während Blade einen Moment lang zögerte, ehe er seine Hand um den Türgriff legte. Die Tür war nicht abgeschlossen, Blade riss sie auf.
Bevor er aber einen Schritt in das Büro machen konnte, stellte sich ihm ein makellos gekleideter Managementassistent in den Weg. „Es tut mir Leid, aber Sie können nicht…“ Er verstummte, als sein Blick zu den Nightstalkern wanderte, die ihre Jacken öffneten und ein Furcht erregendes Waffenarsenal präsentierten.
In dem Sekundenbruchteil, den er benötigte, um wieder zu Blade zu sehen, trat Abigail vor, kickte dem Mann gegen das Knie und verpasste ihm gleichzeitig einen Handkantenschlag an die Kehle.
Tonlos nach Luft schnappend ging der Mann zu Boden.
Blade sah sich um und entdeckte sofort das Hauptbüro, da neben der Tür ein großes Namensschild aus Messing prangte. Während Abigail ihm Rückendeckung gab, zog er seine Schrotflinte aus dem Ledermantel und schraubte einen Schalldämpfer auf. Dann feuerte er eine Salve auf die Zahlentastatur neben der Tür ab. Das elektronische Zahlenschloss blitzte kurz auf, und Funken regneten auf den Teppichboden. Dann öffnete sich das Türschloss mit einem beleidigt klingenden, elektronischen Klagelaut. Blade trat die Tür auf und ging in Dr. Vances Büro.
Rasch und ein wenig abgelenkt nahm er wahr, wie riesig und opulent eingerichtet dieser Raum war, ehe sein Blick zu dem Mann wanderte, der vor ihm am Schreibtisch saß.
Doktor Vance. Endlich.
Vance sprang erschrocken auf und wischte sich mit einer Serviette den Mund ab. Er war irgendwie eigenartig angezogen, gar nicht, wie man es von dem Doktor erwartete, der er sein wollte. Seine Kleidung schien zwar maßgeschneidert zu sein, doch sie wirkte eine Spur zu groß, so als hätte sich ein Kind die Arbeitskleidung des Vaters übergestreift.
Er sah die Eindringlinge von oben bis unten an, auf seinem Gesicht zeichnete sich ein empörter, aber auch verwirrter Ausdruck ab. „Was…“
„Der Tag der Rache, Vance.“
Blade richtete seine Schrotflinte auf den Kopf des Mannes und entsicherte sie, während er auf Vances Reaktion wartete.
Zu seiner Überraschung lächelte Vance ihn nur an.
Abigail spürte, dass etwas nicht stimmte, und hob eine Hand, damit Blade stehenblieb. Langsam ging sie um den Schreibtisch herum, um sicherzustellen, dass er unbewaffnet war.
Sie erstarrte, als sie etwas sah, was sie kaum glauben wollte.
Ein Mann in Arztkleidung lag hinter dem Schreibtisch auf dem Boden, seine Kehle war zerfetzt worden. Er lag in einer Lache aus frischem Blut, das Gesicht war zu einer ungläubigen Maske erstarrt.
Abigail schnappte nach Luft. Der Mann hatte Doktor Vances Gesicht.
King verstand als Erster, was hier geschehen war. Er wich zurück, während er in seiner Jacke hektisch nach einem silbernen Pflock suchte. „Jesus, er ist es! Dracula!“
Alle Blicke richteten sich auf den Mann hinter dem Schreibtisch, der noch immer lächelte und dann aus dem Stand auf die Tischplatte sprang. Gleichzeitig feuerte Blade seine Schrotflinte ab, doch sein Gegenüber konnte den Lauf im letzten Moment zur Seite wegschlagen, so dass er nur das Bürofenster hinter ihm zerschoss. Vances Doppelgänger knurrte wie ein Tier und landete einen kraftvollen Treffer gegen Blades Oberkörper, der ihn quer durch das Büro schleuderte. Der Daywalker flog in eine Vitrine, die unter dem Aufprall zerbarst und ihn inmitten der Scherben landen ließ.
King zog einen Silberpflock aus dem Harnisch an seinem Gürtel und lief los, um Blade zu unterstützen. Abrupt blieb er stehen, als er sah, wie sich die Knochenstruktur unter der Gesichtshaut des Mannes verschob, als würden sich Würmer dort bewegen. Begleitet wurde die Metamorphose von einem Knacken, das Übelkeit auslöste.
Gegen seinen Willen wich King zurück, als der mutierende „Doktor“ einen Schritt auf ihn zu machte. Das war doch eine Nummer zu abgehoben. Hätte er nur sein Exorzismus-Zubehör mitgebracht…
Ehe King sich entscheiden konnte, wie er nun vorgehen sollte, machte der mittlerweile völlig unkenntlich gewordene Doktor einen so schnellen Satz vorwärts, dass seine Konturen verwischten. Er bekam Kings Handgelenk zu fassen und entriss ihm den Pflock, um dann in einer raschen, fließenden Bewegung den Pflock umzudrehen und ihn durch Kings Brustkasten zu jagen. Im nächsten Moment hatte er ihn damit durchbohrt und die Spitze in die hölzerne Tischplatte gerammt.
Während Kings Schreie durch das Zimmer gellten, wandte sich der Doppelgänger Abigail zu. Auch der letzte Rest von Vances Gesichtszügen verschwand und ließ Drakes wahres Aussehen zum Vorschein kommen.
Abigail wollte nach ihrer Armbrust greifen, doch Drake stand fast augenblicklich dicht vor ihr und versetzte ihr mit dem Handrücken einen Schlag, der sie rückwärts durch den Raum schleuderte. Sie schlug neben dem zappelnden King auf den blutbeschmierten Schreibtisch und prallte mit dem Kopf auf das Holz. Benommen rutschte sie auf den Teppichboden.
Drake lief durch das Büro zum zerschossenen Fenster und hechtete durch die Öffnung, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Blade sprang auf und schüttelte kleinere Scherben ab, dann rannte er zum Fenster, stützte sich auf der Fensterbank ab und sah nach unten, wo Drake soeben zwei Stockwerke tiefer unversehrt landete. Der König der Vampire drehte sich um und sah nach oben zu Blade, wobei er die Zähne bleckte – vielleicht aus Trotz, vielleicht aber auch aus Vergnügen. Dann lief er um eine Ecke des Gebäudes und steuerte den Hintereingang an.
Es gab nur eines, was Blade jetzt tun konnte. Er biss die Zähne zusammen, kletterte durch das Fenster und sprang. Sein schwarzer Mantel flatterte hinter ihm wie eine Flamme. In der Haltung eines Sprinters an den Startblöcken landete er auf dem Weg vor dem Gebäude und spannte seine Muskeln an.
Dann rannte er los, um Drake zu stoppen.
Vor dem Vance Institute bahnte sich Drake mit übermenschlicher Schnelligkeit seinen Weg durch die Massen von Patienten. Das hintere Tor zum Gebäude war verschlossen. Mit einem Satz sprang er über den hohen Zaun und durchbrach eine Straßenabsperrung auf der anderen Seite, ohne auch nur eine Sekunde langsamer zu werden. Er lief weiter die rückwärtige Straße entlang, um eventuelle Verfolger abzuschütteln.
Blade sprintete hinter Drake her und stürmte um eine Ecke, als der Jahrtausende alte Vampir unglaublich stilvoll über den großen Abfallcontainer am anderen Ende der Gasse setzte, der gut hundert Meter von Blade entfernt war. Der Daywalker erhöhte sein Tempo.
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