Verdammt sei Lord Perenolde! , dachte der König von Lordaeron. Wenn er uns nur nicht zu all dem gezwungen hättet.
Obwohl Ritter des heiligen Ordens bereit standen, um einzuschreiten, falls einer der Monarchen tatsächlich handgreiflich werden sollte, war es weniger die physische Gewalt, die Terenas fürchtete, als vielmehr das Ende aller Hoffnung auf einen Fortbestand der Allianz zwischen den menschlichen Königreichen. Er hatte nicht einen Moment lang das Gefühl, dass die Bedrohung durch die Orks für immer gebannt sei. Die Menschen mussten in dieser gefahrvollen Zeit zusammenstehen. Er wünschte sich, Anduin Lothar, Lordregent der Flüchtlinge des verlorenen Reiches von Azeroth, wäre bei ihnen gewesen, doch dies war nicht möglich und ohne Lothar blieb nur noch …
»Mylords! Kommt, kommt! Dies ist sicher kein angemessenes Verhalten für uns.«
»Prestor!«, keuchte Terenas. »Seid gepriesen!«
Die anderen wandten sich um, als die hoch gewachsene, tadellose Gestalt die große Halle betrat. Der Eindruck, den der Mann auf die Ältesten macht, ist erstaunlich , dachte der König. Er spaziert herein, und jeder Streit endet. Grimmige Rivalen legen ihre Schwerter beiseite und sprechen vom Frieden!
Ja, er war eindeutig die richtige Wahl, um Perenolde zu ersetzen.
Terenas beobachtete, wie sein Freund durch den Raum schritt, jeden der Monarchen begrüßte und dabei alle so behandelte, als wären sie beste Freunde. Vielleicht waren sie dies tatsächlich, denn Prestor schien keinerlei Hochmut in sich zu tragen. Gleichgültig, ob er mit dem rauhen Thoras oder dem intriganten Greymane sprach, Prestor wusste stets, wie er mit ihnen umzugehen hatte. Die Einzigen, die ihn niemals vollständig hatten akzeptieren können, waren die Zauberer von Dalaran, doch andererseits: Es waren Zauberer.
»Vergebt meine Verspätung«, setzte der junge Aristokrat an. »Ich bin einfach losgeritten, habe die Landschaft genossen und dabei schlicht unterschätzt, wie viel Zeit es mich kosten würde, umzukehren.«
»Es ist schon gut«, erwiderte Thoras Trollbane freundlich.
Ein weiteres Beispiel für Prestors beinahe magische Wirkung. Denn wenngleich er ein Freund und Verbündeter war, dem jeder Respekt gebührte, sprach Thoras Trollbane sonst nie freundlich zu jemandem, ohne dass man ihm dabei die Anstrengung ansah. Er neigte zu kurzen, klaren Sätzen, um dann in Schweigen zu verfallen. Dieses Schweigen war nicht als Affront gedacht, wie Terenas nach und nach gelernt hatte. Es war vielmehr so, dass Thoras sich bei längeren Gesprächen schlicht unwohl fühlte. Als Mann, der im kalten, gebirgigen Stromgarde verwurzelt war, zog er Taten allemal Worten vor.
Weshalb der König von Lordaeron umso glücklicher war, dass Prestor endlich eingetroffen war.
Prestor suchte den Blick jedes Anwesenden für einen Moment, bevor er sagte: »Wie schön es ist, Euch alle wiederzusehen. Ich hoffe, dass wir diesmal alle Meinungsverschiedenheiten aus der Welt schaffen können, sodass wir in Zukunft als gute Freunde und Waffengefährten aufeinander treffen …«
Greymane nickte fast enthusiastisch. Proudmoore trug eine zufriedene Miene zur Schau, als wäre die Ankunft des Adligen die Antwort auf alle seine Gebete. Terenas sagte nichts und erlaubte seinem talentierten Freund, die Kontrolle über dieses Treffen zu übernehmen. Je mehr sich die anderen auf Prestor konzentrierten, desto einfacher würde es für den König sein, mit seinem Vorschlag Gehör zu finden.
Sie versammelten sich um den geschmackvoll dekorierten Elfenbeintisch, den Terenas' Großvater nach den erfolgreichen Grenzverhandlungen mit den Elfen von Quel'Thalas von seinen nördlichen Vasallen als Geschenk erhalten hatte. Wie immer legte der König beide Hände fest auf die Tischplatte, als könnte er so die Weisheit seiner Vorgänger daraus ziehen. Über den Tisch hinweg traf sich für einen Moment Prestors Blick mit dem seinen. Unter den starken, dunklen Augen entspannte sich der Monarch. Prestor würde jeden Disput zu handhaben wissen.
Und so begannen die Gespräche, zunächst mit formellen Eröffnungsreden, denen alsbald hitzigere und unverblümtere Worte folgten. Doch unter Prestors Moderation kam es niemals zu Ausschreitungen oder gar zur Androhung roher Gewalt. Zwar musste er mehr als einmal den einen oder anderen der Teilnehmer beiseite nehmen und ins Zwiegespräch mit ihm gehen, doch jedes Mal endeten diese vertraulichen Runden. Mit einem Lächeln auf Prestors falkenhaften Zügen und einem beachtlichen Fortschritt, was die Festigung der Allianz anging.
Als sich die Versammlung dem Ende näherte, suchte Terenas selbst solch einen kurzen, diskreten Austausch. Während Greymane, Thoras und Lordadmiral Proudmoore vom feinsten Brandy des Königs tranken, begaben sich Prestor und der Monarch zu einem der Fenster, von denen aus man die Stadt überblicken konnte. Terenas mochte diesen Ausblick, denn von hier aus konnte er sehen, wie es um das Wohl seines Volkes bestellt war. Selbst jetzt, während dieser bedeutungsvollen Zusammenkunft, gingen seine Untertanen ihrem Tagwerk nach und lebten ihr Leben, wie sie es gewohnt waren. Ihr Vertrauen in ihn stärkte seinen erschöpften Geist und er wusste, dass sie die Entscheidung verstehen würden, die er an diesem Tag zu treffen gedachte.
»Ich weiß nicht, wie Ihr es zustande gebracht habt, mein Junge«, flüsterte er. »Ihr habt den anderen die Augen für die Wahrheit geöffnet, für das Notwendige. Sie sitzen tatsächlich in dieser Halle und verhalten sich nicht nur untereinander zivilisiert, sondern auch mir gegenüber! Dabei musste ich eigentlich befürchten, Genn und Thoras wollten mir an den Kragen gehen.«
»Ich tat einfach, was in meinen Möglichkeiten liegt, um sie zu beschwichtigen, Mylord, doch habt Dank für Eure freundlichen Worte.«
Terenas schüttelte den Kopf. »Freundliche Worte? Wohl kaum! Prestor, mein Freund, Ihr allein habt die Allianz davor bewahrt, in Stücke zu brechen. Was habt Ihr ihnen allen erzählt?«
Ein verschwörerischer Ausdruck huschte über die gut geschnittenen Züge des Mannes. Er beugte sich dem Monarchen entgegen, den Blick tief in den von Terenas gesenkt. »Ein bisschen dies, ein bisschen das. Dem Admiral das Versprechen der weiteren Unabhängigkeit der Meere gegeben, selbst wenn dies bedeuten sollte, eine Armee auszusenden, um die Kontrolle über Gilneas zu übernehmen. Für Greymane ein paar künftige Seekolonien nahe der Küste von Alterac. Und Thoras Trollbane glaubt, dass er die östliche Hälfte dieses Landes erhält … all dies, nachdem ich der rechtmäßige Herrscher geworden bin.«
Einen Augenblick starrte ihn der König nur sprachlos an, nicht sicher, ob er richtig gehört hatte. Er starrte in Prestors hypnotische Augen und wartete auf die Pointe dieses üblen Scherzes. Als sie jedoch nicht kam, platzte es schließlich mit leiser Stimme aus ihm heraus: »Habt Ihr den Verstand verloren, mein Junge? Selbst im Scherz über solche Dinge zu sprechen ist im höchsten Grade ungehörig und …«
»… und Ihr werdet Euch an nichts davon mehr erinnern, versteht Ihr?« Lord Prestor beugte sich vor und seine Augen hielten Terenas Blick unerbittlich fest. »Genauso wie niemand von denen dort sich an das erinnern wird, was ich ihnen versprach. Alles, an was du dich entsinnen kannst, meine aufgetakelte kleine Marionette, ist, dass ich dir einen politischen Vorteil garantiert habe, der zu seiner vollen Entfaltung meine Bestätigung als Herrscher von Alterac erfordert. Hast du das verstanden? «
Terenas konnte an nichts anderes mehr denken. Prestor musste der neue Monarch des zerrütteten Reiches werden. Dies war für die Sicherheit von Lordaeron und den Erhalt der Allianz unabdingbar.
»Ich sehe, dass dies der Fall ist. Gut. Jetzt wirst du zurückgehen und, sobald diese Konferenz sich dem Ende neigt, deinen mutigen Vorstoß wagen. Greymane ist bereits unterrichtet. Er wird am vehementesten widersprechen, doch in ein paar Tagen wird er zustimmen. Proudmoore wird sich deiner Führung anschließen, und nachdem er sich ein bisschen darüber beklagt hat, wird auch Thoras Trollbane meinen Aufstieg gutheißen.«
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