»Das ist alles.«
»Bei dem Geiste von Alonsus Faol!«, schnappte der Paladin, den Namen des Erzbischofs bemühend, dessen Vermächtnis durch seinen Schüler Uther Lightbringer zur Gründung des heiligen Ordens geführt hatte. »Ihr habt uns nichts erzählt, absolut nichts von Wert! Wenn ich nur für einen Moment gedacht habe …« Eine leichte Bewegung Vereesas ließ ihn einhalten. »Aber ich habe mein Wort gegeben und das von anderen angenommen. Ich werde mich meiner vorherigen Entscheidung beugen.« Er erhob sich, eindeutig nicht länger an der Gesellschaft des Zauberers interessiert. »Ich werde eine weitere Entscheidung hier und jetzt treffen. Wir befinden uns bereits auf dem Weg nach Hasic. Ich sehe keinen Grund, weshalb wir nicht so schnell wie möglich dorthin reiten und Euch auf Euer Schiff befördern sollten. Mögen sie sich dort mit Eurer Situation arrangieren, wie es ihnen beliebt. Wir brechen in einer Stunde auf. Seid bereit, Zauberer!«
Damit wandte sich Lord Duncan Senturus ab und marschierte von dannen. Seine treu ergebenen Ritter folgten ihm auf den Fuß. Rhonin blieb allein zurück – abgesehen von der Waldläuferin, die sich vor ihm niederließ. Ruhig schaute sie ihn an. »Fühlt Ihr Euch stark genug, um zu reiten?«
»Abgesehen von der Erschöpfung und ein paar Kratzern, scheine ich noch ganz zu sein, Elfe.« Rhonin erkannte, dass die Worte schärfer geklungen hatten als beabsichtigt. »Es tut mir Leid. Ja, ich denke, ich werde reiten können – und was immer nötig ist, um rechtzeitig zum Hafen zu gelangen.«
Sie erhob sich wieder. »Ich werde die Tiere vorbereiten. Duncan hat ein zusätzliches Pferd mitgebracht, für den Fall, dass wir Euch finden. Ich sorge dafür, dass es bereit steht, wenn Ihr soweit seid.«
Als sich die Waldläuferin abwandte, verspürte der müde Zauberer eine ungewöhnliche Gefühlsaufwallung. »Danke, Vereesa Windrunner.«
Vereesa blickte über die Schulter. »Mich um die Pferde zu kümmern, ist Teil meiner Pflichten als Eure Führerin.«
»Ich meinte Euren Beistand während all dem hier, das leicht in eine Inquisition hätte umschlagen können.«
» Dies war ebenso Teil meiner Pflichten. Ich leistete gegenüber meinen Herren den Schwur, Euch lebend an Euer Ziel zu bringen.« Entgegen ihren strengen Worten zuckten ihre Mundwinkel flüchtig in Andeutung eines Lächelns. »Macht Euch besser fertig, Meister Rhonin. Das wird kein Spaziergang. Wir haben viel Zeit aufzuholen.«
Dann überließ sie ihn sich selbst. Rhonin starrte in das erlöschende Lagerfeuer und dachte an all die Dinge, die geschehen waren. Vereesa konnte nicht wissen, wie nah sie der Wahrheit mit ihrer Bemerkung gekommen war. Die Reise nach Hasic würde kein einfacher Ritt werden, und das nicht nur aus Zeitgründen.
Er war nicht völlig ehrlich zu ihnen gewesen, nicht einmal zu der Elfe. Rhonin hatte zwar nichts in seiner Geschichte ausgelassen, jedoch seine eigenen Schlussfolgerungen dazu verschwiegen. Hinsichtlich der Paladine empfand er keine Reue, aber Vereesas Hingabe, mit der sie ihre Aufgabe erfüllte und für seine Sicherheit Sorge trug, weckte in ihm das schlechte Gewissen.
Rhonin wusste nicht, wer die Sprengladung gelegt hatte. Vermutlich Goblins. Eigentlich war es ihm auch gleichgültig. Was ihm nicht gleichgültig war, hatte er unterlassen zu erwähnen. Denn als er davon erzählte, wie er in dem einstürzenden Turm von etwas gepackt worden war, hatte er verschwiegen, dass es sich wie eine riesige Hand angefühlt hatte. Nun, sie hätten ihm vermutlich ohnehin keinen Glauben geschenkt, oder, was Senturus anging, dies gar als Beweis für seinen Umgang mit Dämonen gewertet.
Eine riesige Hand hatte Rhonin gerettet, aber es war mit Sicherheit keine menschliche gewesen. Selbst der kurze Moment ihrer Wahrnehmung hatte ausgereicht, um die schuppige Haut und die übermannsgroßen, tückisch gebogenen Klauen zu erkennen.
Ein Drache hatte den Zauberer vor dem sicheren Tod bewahrt … und Rhonin hatte nicht die geringste Ahnung, warum.
»Also, wo ist er? Ich kann meine Zeit nicht mit dem Herumspazieren in diesen Hallen der Dekadenz verschwenden!«
Zum, wie es schien, tausendsten Mal zählte König Terenas lautlos bis zehn, bevor er auf Genn Greymanes letzten Ausbruch antwortete. »Lord Prestor wird in Kürze eintreffen, Genn. Ihr wisst, dass er uns in dieser Angelegenheit alle zusammenbringen will.«
»Ich weiß nichts dergleichen«, grollte der hünenhafte Mann in der schwarzgrauen Rüstung. Genn Greymane erinnerte den König an nichts Geringeres als einen Bären, der gelernt hatte, Kleidung zu tragen, wenn auch etwas derbe. Er schien akut gefährdet, aus seinem Rüstzeug hervorzuplatzen, und wenn der Herrscher von Gilneas einen weiteren Krug des guten Ales hinunterschüttete oder eine weitere der reichhaltigen Lordaeroner Pasteten zu sich nahm, die Terenas' Koch zubereitet hatte, würde sicherlich genau das auch passieren.
Trotz Greymanes bärenhaftem Erscheinungsbild und seiner arroganten, unverblümten Art, unterschätzte der König den Krieger aus dem Süden nicht. Greymanes politische Winkelzüge waren legendär, gerade auch der jüngste. Wie er es fertig gebracht hatte, Gilneas eine Stimme in einer Angelegenheit zu verleihen, die das entfernte Königreich nicht einmal betraf, beeindruckte Terenas nach wie vor.
»Ebenso könntet ihr versuchen, dem Wind vorzuschreiben, dass er nicht mehr heulen soll«, erklang eine kultiviertere Stimme vom entgegengesetzten Ende der großen Halle. »Ihr hättet damit sicher mehr Erfolg, als wenn ihr versuchen würdet, diese Kreatur auch nur für einen Augenblick zum Schweigen zu bringen!«
Sie alle hatten sich geeinigt, in der kaiserlichen Halle zusammenzukommen, einem Ort, an dem in vergangenen Zeiten die bedeutendsten Verträge von ganz Lordaeron ausgehandelt und unterzeichnet worden waren. Mit ihrer reichen Geschichte und dem altertümlichen und dennoch ehrwürdigen Zierrat verlieh die Halle jedweder hier stattfindenden Besprechung eine enorme Bedeutung … und mit Sicherheit war die Alterac-Frage von existenzieller Bedeutung für die Allianz.
»Wenn Euch der Ton meiner Stimme nicht zusagt, Lordadmiral«, schnarrte Greymane, »kann guter Stahl jederzeit dafür sorgen, dass Ihr Euch weder sie noch irgendetwas anderes jemals wieder anhören müsst.«
Lordadmiral Daelin Proudmoore erhob sich in einer fließenden, lange eingeübten Bewegung. Der hagere, wettergegerbte Seemann griff nach seinem Schwert, das für gewöhnlich an der Seite seiner grünen Flottenuniform herabhing, aber die Scheide klapperte nur leer. Ebenso die von Genn Greymane. Die eine Sache, auf die man sich widerstrebend bereits zu Beginn geeinigt hatte, war, dass keines der Staatsoberhäupter eine Waffe zu den Besprechungen mitbringen würde. Sie hatten sogar zugestimmt – selbst Genn Greymane – von ausgewählten Wachen der Ritter der Silbernen Hand durchsucht zu werden, der einzigen Verbindung, der sie alle trauten, ungeachtet ihres Treueids gegenüber Terenas.
Natürlich war es Prestors Verdienst, dass die unglaubliche Versammlung bis zu diesem Stadium gediehen war. Die Monarchen der großen Reiche fanden nur selten zusammen. Normalerweise verkehrten sie untereinander durch Boten und Diplomaten oder gelegentlichen Staatsbesuchen. Nur der erstaunliche Prestor hatte Terenas' unsichere Verbündete überreden können, ihren Stab und ihre Leibgarden vor der Tür zu belassen und die Dinge von Angesicht zu Angesicht zu klären.
Wenn der junge Adlige doch endlich auch selbst erschienen wäre …
»Mylords! Gentlemen!« Verzweifelt um Unterstützung ringend, blickte der König zu der ernsten Gestalt am Fenster, eine Gestalt in Leder und Pelz, die der milden Witterung dieser Region Hohn sprach. Ein wild wuchernder Bart und eine Hakennase waren alles, was Terenas vom schroffen Gesicht Thoras Trollbanes ausmachen konnte, aber er wusste, dass, auch wenn dieser ein großes Interesse an der Aussicht vorgaukelte, der Lord von Stromgarde sich jedes Wort und jeden Tonfall seiner Gegenspieler verinnerlicht hatte. Dass er nichts unternahm, um Terenas beizustehen, erinnerte diesen an die Kluft, die sich zwischen ihnen seit Beginn dieser verzwickten Geschichte aufgetan hatte.
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