„Elune…“ Xavius sprach den Namen angewidert aus. „Es gibt nur einen Gott… und sein Name ist Sargeras.“
Er schnippte mit den Fingern, und die Satyrn zwangen den Druiden in die Knie. Xavius ging auf ihn zu. Seine Hufe schlugen laut gegen den Fels. Jeder Schritt hallte in Malfurions Kopf wider.
Doch plötzlich hörte er eine Stimme, die ihm so vertraut wie seine eigene war.
Bruder?
„Illidan?“, stieß er hervor.
„Ja“, antwortete Xavius, der glaubte, die Frage sei an ihn gerichtet. Er nahm wohl an, sein Gefangener wolle erfahren, was er dem Zauberer angetan hatte. „Er war erstaunlich zugänglich. Er liebt sie so sehr wie du, Malfurion… und er kommt nicht darüber hinweg, dass sie dich erwählt hat.“
Illidan liebt Tyrande? Der Druide wusste, dass sein Bruder sie mochte, aber nicht in diesem Ausmaß. Und sie liebt… mich?
Erst jetzt fiel ihm wieder ein, dass sein Bruder in seinen Gedanken war. Dessen Wut und Scham über die Enthüllung brandeten über Malfurion hinweg. Die Intensität der Gefühle erschreckte den Druiden.
Xavius missverstand seine Reaktion. „Ist das eine Überraschung? Ist es nicht wundervoll zu wissen, dass dich jemand liebt? Und ist es nicht furchtbar zu wissen, dass sie deshalb ebenso furchtbar gequält werden wird wie du?“
Illidan! Malfurion wandte sich an seinen Bruder. Illidan, Tyrande ist in Gefahr!
Nicht etwa Sorge, sondern Verachtung schlug ihm von seinem Bruder entgegen. Wieso wendet sie sich dann nicht an dich, den mächtigen ruhmreichen Herrscher über die Natur? Welche Hilfe kann sie schon von einem albernen Amateur erwarten, den seine Augenfarbe zu falschen Hoffnungen und Träumen verführte?
Illidan, man wird sie foltern! Sie wird zu Tode gefoltert werden!
Sein Zwilling antwortete nicht. Er schien sich zurückgezogen zu haben. Die Verbindung war noch vorhanden, aber sehr schwach.
Illidan!
Der Anblick des Satyrs riss Malfurion aus seinen Gedanken. Die Blicke aus den unnatürlichen Augen bohrten sich in seinen Geist, als wollten sie unbedingt herausfinden, was dort vor sich ging.
„Ich kann kaum glauben, dass du für mein Schicksal verantwortlich bist“, zischte Xavius. „Wenn du mein Todfeind bist, dann habe ich Sargeras’ Bestrafung mehr als verdient.“
Er schnippte abermals mit den Fingern. Ein halbes Dutzend Satyrn tauchte zwischen den Bäumen auf. Xavius zeigte auf Tyrandes leblosen Körper, während sein Blick in Richtung des Schlachtenlärms wanderte. „Sie werden bald hier sein. Lasst uns verschwinden, bevor es hier… unangenehm wird.“
Xavius kehrte zu Tyrande zurück. Drei Satyrn, die einmal Hochwohlgeborene gewesen waren, hoben ihre Hände und begannen einen Zauber. Malfurion erkannte sofort, dass sie ein Portal erschaffen wollten. Auf diese Weise konnten sie Zin-Azshari schnell und gefahrlos erreichen.
Dort würde es keine Hoffnung mehr für Malfurion und Tyrande geben.
Illidan! Ein letztes Mal schrie er den Namen seines Bruders, erhielt aber keine Antwort. Er war allein.
Die Schlacht kam näher. Ein schwarzer Riss entstand zwischen den drei Satyrn.
Xavius griff nach Tyrande. Sein Grinsen war breiter und boshafter als je zuvor. „Ihr wird es in der Gesellschaft des großen Sargeras gefallen“, sagte er sarkastisch. „Bevor sie stirbt…“
Das Portal erreichte seine volle Größe. Xavius hob die Priesterin mühelos hoch. Doch dann… bohrte sich warnungslos ein gefiederter Pfeil in seine Schulter!
Die dunklen Gedanken überwältigten Illidan. Er hatte Rhonins Befehl befolgt und seinen Bruder gefunden, doch dieser hatte ihn nur an seine Fehlschläge und Schwächen erinnert. Was machte es da schon, dass sein Bruder und die Frau, die er liebte, in irgendeiner schrecklichen Gefahr schwebten? Wichtig war nur, dass Malfurion Tyrande für sich gewonnen hatte, ohne überhaupt zu verstehen, dass er Teil eines Wettbewerbs gewesen war. Sein naiver Bruder war über den größten aller Preise gestolpert, während Illidan, der so hart dafür gekämpft hatte, nur ein gebrochenes Herz bekommen hatte.
Ein kleiner Teil von ihm bettelte darum, den beiden trotzdem helfen zu dürfen. Zumindest Tyrande musste gerettet werden. Immerhin war sie in die Fänge der Brennenden Legion geraten.
Die Brennende Legion… Manchmal fragte sich Illidan, ob er nicht besser bei Königin Azshara und den Hochwohlgeborenen aufgehoben gewesen wäre. So wie es im Moment aussah, würden sie die Früchte aus ihrer Allianz mit den Dämonen ernten. Krasus und Rhonin behaupteten zwar, die Dämonen würden alles Leben einschließlich der Königin und ihrer Anhänger vernichten, aber er glaubte nicht daran. Wenn das stimmte, weshalb stand Azshara dann auf ihrer Seite? Die Hochwohlgeborenen mussten doch nur das Portal schließen, um die Gefahr zu bannen. Aber das taten sie nicht, also wussten sie wohl etwas, das Illidan verborgen blieb.
Er knurrte. In seinem Kopf prallten unterschiedliche Gedanken und Ideen, die er vor wenigen Tagen noch als unmöglich abgetan hätte, aufeinander. Er blickte zu Rhonin, der die Mondgarde anführte. Der Zauberer würde diese Position sicher nicht freiwillig wieder aufgeben. Illidan fluchte. Nicht nur sein Bruder hatte ihn verraten, sondern auch Rhonin und Lord Ravencrest waren ihm in den Rücken gefallen.
Illidan! , rief Malfurion in seinen Gedanken.
Der Zauberer verschloss seinen Geist vor ihm.
Tyrande rutschte aus dem Griff des Satyrs und fiel zu Boden. Sie regte sich kaum, was Malfurion in seinem Verdacht bestätigte, dass Xavius sie mit einem Zauber belegt hatte.
Der ehemalige Berater hielt seine Schulter umklammert, die von einem Pfeil getroffen worden war. Blut floss aus der Verletzung, aber Xavius wirkte eher wütend als davon ernstlich beeinträchtigt. Er zog an dem Pfeil, und als dieser sich nicht sofort aus der Wunde lösen wollte, brach er ihn einfach ab.
Die anderen Satyrn sahen sich nach dem Angreifer um. Einer von denen, die Malfurion festhielten, zuckte plötzlich und brach zusammen. Ein Pfeil ragte zwischen seinen Schulterblättern hervor.
Ein Arm des Druiden war jetzt frei. Er griff in eine seiner Gürteltaschen und warf seiner zweiten Wache den Inhalt entgegen. Der Satyr schrie auf und rieb sich die Augen. Die Kräuter, die Malfurion mit Cenarius’ Hilfe gesammelt hatte, brannten sich in das Fleisch. Der Satyr taumelte zur Seite, beachtete seinen Gefangenen nicht mehr. Malfurion zog seinen Dolch und schlitzte der blinden Kreatur die Kehle auf. Der Satyr sackte zusammen. Der Druide rief den Wind zu Hilfe und bat ihn, seine Klinge zu führen, als er sie Xavius entgegen schleuderte.
Der ehemalige Hochwohlgeborene war zwar verwundet, wich dem Dolch aber dennoch geschmeidig aus. Er warf einen kurzen Blick auf das Portal, das die drei Satyrn immer noch kontrollierten, dann griff er erneut nach Tyrande.
Ein Pfeil bohrte sich unmittelbar vor seinem Huf in den Boden. Xavius’ Augen blitzten. Mit einer Geste erteilte er den Satyrn, die nicht durch den Portalzauber gebunden waren, seine Befehle.
Zwei liefen auf Malfurion zu, der dritte suchte nach dem unbekannten Schützen. Der Druide nahm ein kleines rundes Samenkorn aus seiner Gürteltasche und warf es auf die heranstürmenden Dämonen.
Der erste Satyr wich zurück, und das Samenkorn landete vor ihm im Dreck. Das triumphierende Grinsen gefror jedoch auf seinem Gesicht, als sich das Korn öffnete und ihn mit weißem Staub besprühte. Der Satyr begann heftig zu niesen und zu husten. Schließlich fiel er atemlos auf die Knie, aber auch jetzt ließ der quälende Reiz nicht nach.
Malfurion warf ein zweites Samenkorn, doch es verfehlte den anderen Satyr. Der Dämon sprang ihm entgegen. Klauen griffen nach der Kehle des Druiden. Malfurion sah, wie Xavius weiter hinten Tyrande hochheben wollte, doch die Wunde machte sich langsam bemerkbar. Einhändig zog er sie auf das Portal zu.
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