Frustriert begann der rote Riese, mit einer Klaue am Berg zu kratzen. Felsen, die für den Drachen so groß wie Kieselsteine waren, donnerten ins Tal. Doch nach einer Stunde lenkte auch das Korialstrasz nicht mehr ab. Nervös betrachtete er den dunklen Himmel. Er begann sich zu fragen, ob er es nicht doch wagen sollte, sich nur für ein paar Minuten in die Lüfte zu erheben.
Ein dumpfes Brüllen hallte durch das Gebirge.
Korialstrasz kletterte von dem Stein, auf dem er gehockt hatte und presste seinen gewaltigen Körper gegen eine Felswand. Er blickte nach oben und suchte nach dem Ursprung des Lautes.
Eine dunkle Gestalt flog über ihn hinweg. Es war ein kleiner schwarzer Drache. Er flog so langsam, dass es sich um einen Wächter handeln musste.
Korialstrasz zischte leise. Wäre der andere nur auf seinem Weg zu einem bestimmten Ziel gewesen, hätte es keinen Anlass zur Sorge gegeben. Doch der Schwarze patrouillierte ausgerechnet über diesem Gebiet. Das hieß, er stellte eine Gefahr dar.
Trotzdem wusste er nicht, ob er am Boden bleiben oder sich dem Wächter stellen sollte. Wenn die anderen noch nicht entdeckt worden waren, brachte ein Angriff sie nur unnötig in Gefahr. Vielleicht entkam der Wächter und warnte seinen Herrn. Andererseits fand er Krasus und seine Begleiter vielleicht, wenn Korialstrasz nichts unternahm.
Der rote Drache presste sich so fest er konnte gegen den Berg, während er über seiner Entscheidung grübelte. Er musste sich beeilen. Der Schwarze würde bald verschwunden sein.
Der Fels unter seinen Klauen gab nach, dann stürzte die gesamte Felswand ein. Korialstrasz verlor das Gleichgewicht und rutschte dem Tal entgegen. Instinktiv breitete er die Flügel aus und richtete sich auf. So entging er der gewaltigen Lawine, die er ausgelöst hatte. Er schüttelte den Kopf und versuchte Ordnung in seine Gedanken zu bringen.
Ein ohrenbetäubendes Brüllen war die einzige Warnung, die er erhielt. Dann griff ihn der schwarze Drache auch schon von hinten an.
Korialstrasz’ Gegner war zwar etwas kleiner, doch die Wut seines Angriffs machte den Größenunterschied wett. Der Rote wurde ins Tal geschleudert. Sein linker Flügel strich schmerzhaft über den Fels.
Korialstrasz streckte seinen Vorderlauf aus und krallte sich in einen der Gipfel. Sein Schwung riss tonnenschwere Felsen aus dem Berg, bremste seinen Sturz jedoch leicht ab. Er ließ sich zur Seite fallen. Der schwarze Drache wurde von der Bewegung überrascht.
Der Drache taumelte an Korialstrasz vorbei, der sich im gleichen Moment aufrichtete. Er versuchte sich in die Luft zu erheben, aber sein Angreifer grub eine Klaue in seinen Rücken. Das zusätzliche Gewicht riss ihn dem Tal entgegen, aber Korialstrasz gab nicht auf.
Er flatterte so schnell er konnte und drehte sich in der Luft. Mit dem Schwanz schmetterte er den Schwarzen gegen einen Gipfel.
Der Drache schlug ein wie ein Geschoss. Felsen donnerten nach unten. Seine Klauen ließen den roten Drachen los, rissen ihm aber ein paar Schuppen aus dem Fleisch. Korialstrasz brüllte vor Schmerz. Blut lief über sein Bein.
Einen Moment lang vergaßen beide Drachen den Kampf, in den sie verwickelt waren und konzentrierten sich auf ihre Verletzungen. Plötzlich schlug der Schwarze nach Korialstrasz’ Hals. Der aber hob einen Flügel und wehrte den Angriff ab. Dann drosch er selbst los.
Der Flügelschlag trieb Neltharions Diener die Luft aus den Lungen. Mit einem letzten lauten Brüllen erhob er sich in die Luft und versuchte zu fliehen.
»Nein!« Korialstrasz konnte dem anderen Drachen die Flucht nicht gestatten. Der Wächter würde seinen Herrn alarmieren, der wohl kaum glauben würde, dass ein einzelner roter Drache in sein Territorium eingedrungen war.
Der Schwarze war klein und wendig, aber Korialstrasz war schlank und listig. Während sein Gegner ein schmales Tal umflog, entschied er sich für einen anderen Weg. Er hatte die Landschaft so lange angestarrt, dass er wusste, welche Täler sich mit anderen vereinten.
Er flog zwischen den Bergen hindurch. Auf der linken Seite lockte eine breit aussehende Schlucht, aber Korialstrasz wusste, dass das rechte Tal ihn seiner Beute näher bringen würde.
In einiger Entfernung hörte er den Flügelschlag seines Gegners. Der rote Drache begann sich Sorgen zu machen. Er hätte den anderen schon längst überholt haben sollen, statt dessen schien die Distanz größer zu werden.
Korialstrasz verstärkte seine Anstrengungen. Vor sich sah er den Punkt, den er gesucht hatte. Nur noch ein kurzes Stück … Er hörte den Schwingenschlag nicht mehr, war sich aber sicher, dass er endlich an seinem Gegner vorbei gezogen war.
Er wechselte hinüber in das andere Tal …
Ihre Flügel berührten einander. Beide Drachen brüllten, jedoch mehr überrascht als wütend. Korialstrasz fuhr herum und stieß den schwarzen Drachen auf einen kleinen Berg zu.
Doch der Kleinere hatte den größeren Schwung. Er zog an dem Roten vorbei.
Korialstrasz verfluchte sein Pech und folgte ihm. Er musste den anderen Drachen erwischen, egal, um welchen Preis. Zu viel war in diesem Kampf bereits schiefgegangen …
Korialstrasz brüllte entschlossen und setzte seine Verfolgungsjagd fort.
Doch dem roten Riesen war etwas entgangen, das sich unter ihm befand. Augen beobachteten ihn – zumindest jene Beobachter, die über Augen verfügten – und den anderen Drachen, als sie in der Ferne verschwanden.
»Ein bemerkenswerter Luftkampf, nicht wahr, Captain Varo’then?«
Der vernarbte Nachtelf schnaufte. »Ein guter Kampf, aber zu kurz.«
»Und zu wenig Blut für deinen Geschmack, nehme ich an?«
»Es gibt nie zu viel Blut«, entgegnete Azsharas Diener. »Aber genug der Worte, Meister Illidan. Ist das ein Hinweis darauf, dass wir endlich nah am Ziel sind?«
Illidan rückte den Schal sorgfältig vor seinen zerstörten Augen zurecht. Der Kampf hatte ihm einen sehr interessanten Anblick beschert, denn die Drachen waren magische Wesen, und so war der Himmel erfüllt gewesen von leuchtenden Energien und wilden Farben. Malfurions Bruder schätzte seine neuen Sinne. Sie zeigten ihm eine Welt, die er nie zuvor wahrgenommen hatte.
»Das ist ja wohl offensichtlich, Captain, aber ist es nicht interessant, dass wir sowohl einen schwarzen, wie auch einen roten Drachen entdeckt haben? Wieso war wohl der zweite in diesem Gebiet?«
»Das hast du selbst gesagt. Diese Bestien leben hier.«
Der Zauberer schüttelte den Kopf. »Ich sagte, hier würden wir das Nest des großen Schwarzen finden. Der Rote war aus einem ganz bestimmten Grund hier.«
Varo’thens Gesicht zeigte einen besonders hässlichen Zug, als er begriff, worauf sein Begleiter hinaus wollte. »Die anderen Drachen sind hinter der Scheibe her! Das ergibt Sinn.«
»Ja.« Illidan ließ seinen Nachtsäbler antraben, der Captain folgte ihm. Die Dämonenkrieger marschierten hinter ihnen her. »Aber man würde sie leicht entdecken. Du hast gesehen, wie sie geschlagen wurden.«
Er dachte eine Weile darüber nach. »Ich glaube, ich habe die Zeichnung des Roten erkannt.«
»Na und? Diese Bestien sind alle gleich.«
»Gesprochen wie ein Hochgeborener.« Illidan strich sich über das Kinn, während er nachdachte. »Nein, ich habe ihn schon einmal getroffen … und ich glaube, wir werden bald einige bekannte Gesichter wiedersehen.«
Malfurion folgte dem Goblin, der sich schwerfällig durch die schmalen Schluchten bewegte. Er wusste, weshalb Krasus den Leichnam wiederbelebt hatte, aber der Anblick verstörte ihn trotzdem. Der Magier hatte ihm zwar versichert, dass der Zauber bei seinem Volk nur selten und unter großen Vorbehalten eingesetzt wurde, doch auch das beruhigte den Nachtelfen nicht wirklich.
Diese Zweifel ließ er sich jedoch nicht anmerken. Er achtete nur darauf, der toten Kreatur nicht allzu nahe zu kommen. Die Bewegungen des Goblins wurden mit der Zeit sicherer und geschickter, sodass er nach einer Weile beinahe lebendig wirkte.
Читать дальше