Durch die Fenster der Kutsche sah Tolpan kahle Wüste. Mit dem Lärm, dem Staub, der glühenden Hitze und der langweiligen Landschaft war es wirklich keine angenehme Reise, fand Tolpan. Obwohl er es lustiger fand als Fesz und Dogz, in seinem Sitz auf und ab zu hopsen.
Sie kamen zur Mittagszeit an und wurden mit viel Pomp begrüßt. Die Abordnung begrüßte Fesz so, wie es einem hohen Würdenträger zukam. Die Minotaurendelegation betrachtete Tolpan mit sichtlicher Neugier. Dogz stand mit finsterem Gesicht im Hintergrund.
Ein Minotaurus mit eindrucksvollen Abzeichen, der von einem Menschensklaven begleitet wurde, begann um Fesz herumzuschwänzeln. Er lud ihn zu einem Ehrenbankett ein. Aber Fesz, der schon wegen der heißen, lauten, durch und durch unangenehmen Reise schlechtgelaunt war, bestand darauf, auf der Stelle den gefangenen Menschen zu sehen – den, der nicht entkommen war.
»Ja, auf der Stelle! Oder es rollen Köpfe!« ergänzte Tolpan in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete.
»Das ist er«, knurrte Dogz. »Das ist einer der Männer vom Schiff.« Fast schuldbewußt fügte er hinzu: »Wahrscheinlich hätten wir ihn gleich umbringen müssen, anstatt ihn über Bord zu werfen.«
»Natürlich hättet ihr das«, sagte Tolpan etwas eingeschnappt. »Jetzt schau dir nur an, was der für eine Aufregung verursacht hat. Wenn ihr mich gefragt hättet, hätte ich gesagt: ›Umbringen und fertig.‹ Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen – besonders wenn’s ums Töten geht, wie ich immer sage. Natürlich war ich damals noch nicht richtig böse, also hätte ich vielleicht nicht gerade ›Umbringen und fertig‹ gesagt. Aber im nachhinein hast du absolut recht, Dogz.«
»Wie heißt er nochmal?« fragte Fesz, der den Kopf schief legte und den Menschen ansah.
Sie standen vor Sturm Feuerklinges Kerkerzelle. Sturm saß mit dem Gesicht zu ihnen auf einem Stuhl. Seine Hände waren hinter dem Stuhl mit einem Seil zusammengebunden. Der Mann aus Solamnia war voller Wunden und Blutergüsse, denn er war wohl erst kürzlich verprügelt worden. Aber die Minotaurenwachen hatten offenbar versucht, ihn herzurichten, damit er für den ungewöhnlichen Besuch dieses hohen Gesandten des Nachtmeisters manierlich aussah.
Sturm sah sie finster an. Er war überrascht und anfänglich erleichtert, Tolpan zu sehen, doch der Kender hatte ihn nicht begrüßt und verhielt sich abweisend. Sturm beobachtete verwirrt, wie Tolpan sich in verschwörerischem Flüsterton mit den Minotauren unterhielt. Der Kender verhielt sich wirklich merkwürdig. Der junge Solamnier konnte keinen Blick von Tolpan auffangen.
Was hatte er vor?
Einer der Minotauren war der seltsamste Vertreter dieser Rasse, den Sturm bisher gesehen hatte. Der breite Stiermensch mit den langen Hörnern war offensichtlich ein Würdenträger oder Hohepriester. Er war in Federn und Pelze gekleidet und bewegte sich feierlich, zielstrebig und würdevoll.
Sturm hatte den sicheren Eindruck, daß Tolpan als Kumpan oder Berater des Minotaurus tätig war.
»Sturm Feuerklinge«, sagte Tolpan, der verächtlich ausspuckte, was er sich von den Minotauren abgeguckt hatte. »Er hält sich für einen Ritter von Solamnia, aber in Wirklichkeit ist er keiner – nur ein weiterer trauriger Fall von fehlgeleitetem Ehrgeiz, wenn ihr mich fragt. Das ist eine lange Geschichte, und ich weiß nicht genau, ob ihr Näheres wissen wollt, aber soweit ich weiß, geht es bei seinem Vater – «
»Ich will ihn mir näher ansehen«, unterbrach Fesz ihn grollend.
Die Minotaurenwache hinter ihm gehorchte eilig. Die Tür wurde geöffnet, und Tolpan und Fesz betraten die Zelle.
Dogz wartete vor der Zelle, denn ihm war die ganze Situation gleichgültig.
Fesz näherte sich Sturm und betrachtete ihn stirnrunzelnd. Tolpan tat dasselbe. Er hoffte, Fesz würde bemerken, wie gut er jede Bewegung des Minotaurus nachahmte. Der Kender schob sein Gesicht direkt neben das von Sturm und legte den Kopf schief, genau wie der Minotaurenschamane das tat.
Da er bereits gelernt hatte, daß es in diesem Gefängnis ein Fehler war, impulsiv zu handeln, beschloß Sturm zu schweigen. Vielleicht würde er so einen Hinweis darauf bekommen, welches Spiel der unberechenbare Kender spielte.
»Ein großer Fehler«, sagte Tolpan verächtlich. »Offensichtlich haben sie den Kerl gefoltert, was eine phänomenale Zeitverschwendung ist. Er würde lieber sterben, als seinen Ehrenkodex brechen. Dasselbe gilt für Kitiara, falls ich es noch nicht erwähnt habe. Zeitverschwendung, sie zu foltern. Nur hat das in ihrem Fall nichts mit Ehre zu tun. Ist bloß reine Sturköpfigkeit. Wenn wir nach Karthay kommen, können wir das dem Nachtmeister sagen, falls er es noch nicht selbst herausgefunden hat. Hat er aber wahrscheinlich, wo er doch der Nachtmeister ist und so.«
Sturm hörte aufmerksam zu. Was plappert dieser Kender da über Kitiara, Karthay und jemanden namens Nachtmeister?
»Es ist vor allem dann eine Zeitverschwendung, Sturm zu foltern, wenn ihr nichts anderes machen wollt, als hauen und treten und ein bißchen schneiden. Sturm entstammt einer langen Reihe von traditionellem solamnischen Unsinn, und auf normale, körperliche Folter reagiert er nicht wie andere Menschen. Also, wenn du mich fragst, ich würde etwas Einfallsreicheres anstellen.«
Fesz ging hinter dem Gefangenen auf und ab. Der Minotaurenschamane holte mit weiten Nüstern tief Luft. Er senkte den gehörnten Kopf. Fesz hatte Sturm bereits vergessen. Er prägte sich den noch wahrnehmbaren Geruch des anderen Menschen ein. Dessen, den sie Caramon nannten. Raistlins Bruder.
Tolpan langte in seinen Beutel und wühlte darin herum. Er zog eine kleine Schere heraus. Mit der freien Hand ergriff er ein Ende von Sturms langem, herunterhängenden Schnurrbart.
»Das ist es, was ich tun würde«, schrie er triumphierend, während er ein Ende von Sturms Schnurrbart abschnitt. Sturm zuckte zusammen, sagte aber nichts. Wütend funkelte er den Kender an.
»Ja!« Stolz hielt Tolpan die braune Haarsträhne in die Luft, um sie Fesz zu zeigen. »Ja, das ist es, was ich Folter nenne! Diese Solamnier sind sehr stolz auf ihre Schnurbärte. Oh, ja, sehr stolz!«
Mit breitem Grinsen trat er an Sturm heran. »Das wollte ich schon lange machen«, verspottete der Kender den jungen Solamnier. »Ja, sehr, sehr lange! Du glaubst, du bist so groß und mächtig, bloß weil du dir einen langen, trübsinnigen Schnurrbart wachsen lassen kannst. Tja, das konnte ich auch, wenn ich wollte. Ich konnte einen Schnurrbart haben, langer als ein Haarknoten. Ich – «
»Ich möchte sehen, wo der Kyrie gefangengehalten wird«, knurrte Fesz und schnitt Tolpan das Wort ab, »und wo der andere Mensch vor seinem Verschwinden zum letzten Mal gesehen wurde.«
»Ja, Exzellenz!« sagte die Wache, die loseilte, um sie zu führen. Die Wache packte den Kender an den Schultern und steuerte ihn aus der Zelle. Der böse Tolpan verrenkte sich im Griff des Minotaurus, um Sturm über die Schulter zuzukreischen: »Und ich glaube, du denkst, wir sind den ganzen Weg hierhergekommen, bloß um dich zu sehen, Herr Trübseliger Schnurrbart! Hah! Wir sind bloß gerade zufällig auf dem Weg nach Karthay, wo wir eine Verabredung mit dem Nachtmeister haben und einen großen, fetten, wichtigen Zauberspruch sagen wollen, der Sargonnas in diese Welt einlaßt. Und hab’ ich schon erwähnt, daß kein anderer als Kitiara Uth Matar schon dort gefangen sitzt, so daß wir noch wichtigere Leute zu foltern haben als dich…«
Sturm preßte die Lippen aufeinander.
Die Minotaurenwache ging einen Gang entlang. Fesz, der Tolpan vor sich her stieß, folgte ihr.
Es war Dogz, der stehenblieb und Sturm anstarrte. Der Minotaurus rieb sich betreten das Kinn, denn er fand, er hatte die beiden Menschen wirklich toten sollen, als er ihnen zum ersten Mal begegnet war. Nächstes Mal würde er es besser wissen. Jetzt steckte er bis zu seinem dicken Stiernacken in Dingen, die er nicht verstand. Seufzend folgte Dogz Tolpan, Fesz und der Minotaurenwache.
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