Die Castor wurde immer schneller mitgerissen. Der Himmel über uns hatte sich so verdüstert, daß es schwer zu sagen war, ob Tag oder Nacht herrschte, wenn man seinen Augen vertrauen wollte. In der Luft knallten Donnerschläge, Blitze zuckten, und hin und wieder traf uns peitschender Regen.
Kapitän Nugeter nahm das Ruder in die Hand. Wir alle sahen ihn auf dem Achterdeck stehen und das Ruder heftig hin und her werfen, um die Bewegung des Schiffes auszugleichen und es nicht in den Strudelring hineinziehen zu lassen. Was auch immer die Mannschaft zu tun hatte, wir alle warfen verstohlene Blicke auf den Kapitän, denn wir wußten, daß hinter dem Strudelring die See der Schrecken liegt, jener Ort, wo Istar unter dem grimmigen Blutmeer ruht. Kein Seefahrer soll sich je hinter den Strudelring gewagt haben und zurückgekehrt sein, um davon zu berichten.
Mir fiel auf, daß Kirsig loslief, um Yuril zu unterstützen, die von Posten zu Posten gehen mußte, um die Seeleute zu beruhigen. Die Halbogerin hüpfte neben der größeren, muskulöseren und hübscheren Frau entlang, was einen seltsamen Kontrast ergab. Die Seeleute hatten ihren Spaß an ihrem irgendwie komischen Auftreten, doch sie tat ebensoviel wie Yuril, um die Disziplin aufrechtzuerhalten.
Flint und ich liefen zu leeren Ruderbänken, um unsere Muskelkraft einzusetzen, falls Not am Mann war. Ich muß sagen, daß Flint seine Angst vor der See tapfer bezwungen hat, und obwohl sein Gesicht in dieser Situation weiß wurde, stand er bereit, um zu helfen, wo er nur konnte.
Raistlin klammerte sich an einen großen Mast. Zwar wurde er vom böigen Wind durchgerüttelt, doch er war entschlossen, dazubleiben und zu beobachten, was auch geschehen mochte.
VIERTER TAG: ABEND
Als es noch finsterer wurde, wußten wir, daß die Nacht hereingebrochen war, und mit ihr kam das volle Ausmaß des Schreckens. Der Himmel zerbarst vor Donnern, die See schien von den Blitzschlägen in Flammen zu stehen, und eisiger Regen prasselte seitlich auf uns herunter. Die Wellen türmten sich hoch nach oben, um dann gewaltsam über den Decks zusammenzuschlagen. Einmal hörten wir Schreie, um später zu erfahren, daß ein unglücklicher Seemann über Bord gegangen war. Das Schiff tanzte wie verrückt herum, und in der Schwärze der Nacht gab es keine Möglichkeit, die Castor sicher auf Kurs zu halten. Der Wind heulte hinter uns, vor uns, um uns herum, einfach nicht einzuschätzen. Yuril hatte den Kapitän abgelöst und stand am Ruder, als das Schlimmste begann. Bald gesellte sich Nugeter zu ihr, und die beiden bemühten sich, das Rad davon abzuhalten, sich wie verrückt zu drehen. Sie schrien sich an und verfluchten sich und alle Elemente, während sie im verzweifelten Bemühen, das Schiff zu halten, das Steuerruder umschlangen.
Die fortwährenden Windstöße trieben Eisregen auf das Vorder- und Achterdeck. Es mußte geschöpft werden. Am schlimmsten war, daß durch den Sturm, das Schöpfen und die Unsicherheit die ganze Nacht keine wirkliche Ruhe und kein Essen möglich war. Beide Schichten arbeiteten nebeneinander her, obwohl sie müde, kalt bis in die Knochen und voller Furcht waren.
Ich stritt mit Raistlin herum, weil ich darauf bestand, daß es letztlich besser wäre, wenn er sicher unter Deck bliebe. Er wollte nicht hören. Am frühen Morgen jedoch, als der Sturm etwas abflaute und einige von uns eilig eine Mütze Schlaf nahmen, sah ich, daß er an seinem Platz zusamengesunken war.
Kirsig half dem jungen Zauberer eilig nach unten in seine Kabine. Flint und ich folgten bald darauf, denn wir zitterten im Wind und im Regen. Von meiner Kabine aus konnte ich Raistlin hören, der sich in unruhigem Schlaf murmelnd hin und her warf.
Wir schliefen alle unruhig, denn die Irrfahrt des Schiffes ließ unsere Angst wachsen.
FÜNFTER TAG
Tag und Nacht wird das Wetter schlimmer und die Gefahr, in der wir schweben, größer. Nach kurzer Pause kehrte der Sturm mit voller Wucht zurück. Riesige Wellen klatschten auf das Schiff, und heftiger Regen durchnäßte uns bis auf die Haut. Wir mußten uns jedes Wort in die Ohren schreien, wegen des krachenden Donners.
Obwohl Nugeter am Ruder ausharrte, konnte ich mir nicht vorstellen, daß seine Bemühungen irgendwelche Auswirkungen hatten. Die Castor schien wie ein Korken in der Gischt herumgeworfen zu werden. Der Angriff des Blutmeers ließ uns taumeln wie Betrunkene.
Das brodelnde Chaos ließ nicht nach. Am späten Nachmittag erklärte Kapitän Nugeter mit brennenden, rotgeränderten Augen, daß wir in den Strudelring geraten waren. Jetzt, sagte er, war es zwingend notwendig, daß wir den Griff der Strömung durchbrachen und die Castor irgendwie wieder nordöstlich in den äußeren Ring lenkten.
Sonst würden wir in den Mahlstrom gezogen werden.
Nugeter befahl Yuril, von Deck zu gehen. Sie mußte nach unten gehen und schlafen. Bisher hatte sie sich geweigert, sich von irgend jemandem in ihre Arbeit reinreden zu lassen. Allein hielt der Kapitän bis zum Abend die Stellung. Ich werde nie vergessen, wie er an jenem Tag beim Steuern ein herzhaftes Seemannslied schmetterte, das ich noch nie von jemand anderem gehört hatte. Seine unerschütterliche Zuversicht im Kampf mit dem Schiff schien die anderen Seeleute anzustecken, die trotz der Härte der Elemente nicht von ihren Posten wichen.
Der Kapitän beorderte einige aus der Mannschaft an die Ruder und andere ans kleinste Segel. Bestärkt durch Nugeters laute Befehle, gelang es der Mannschaft irgendwie, die Castor in den äußeren Ring zurückzuhieven.
Gegen Mittag tauchte Raistlin an Deck auf. Obwohl er offenbar immer noch müde und erschöpft war, wirkte er dennoch aufgeregt. Ich sah, daß seine Stärke und Entschlossenheit zurückgekehrt waren. Ich fragte ihn, wie lange wir das noch aushalten mußten.
»Meiner Schätzung nach haben wir ungefähr einhundertfünfzig Meilen geschafft«, antwortete der junge Zauberer. »Das heißt, daß wir weitere einhundertfünfzig vor uns haben, bevor wir versuchen, aus dem äußeren Ring auszubrechen, und ins Nördliche Blutmeer gelangen.«
»Noch eine Nacht und ein Tag«, schätzte Kirsig, die hinter dem Majerezwilling aufgetaucht war.
»Wo ist Flint?« fragte ich sie.
»Da drüben.« Die Halbogerin zeigte stolz auf einen Mast, wo Flint im Sitzen völlig durchnäßt mit mürrischem, aber entschlossenem Gesicht eines der Seile festhielt, die die Seitenruder hielten.
FÜNFTER TAG: ABEND
Eine Nacht, die uns an die Grenzen unseres Durchhaltevermögens brachte. Der Wind heulte, als er die See in einen schwarzen Vorhang aus blendendem Sprühregen verwandelte. Der Donner krachte pausenlos, und einmal trafen Blitzkugeln das Deck, fällten einen Nebenmast und brachen den Hals des armen Seemanns, der darunter stand. Wir mußten uns an Stangen und Haken binden, um nicht in das tobende Wasser gespült zu werden. Keiner schlief. Selbst eine kurze Pause wurde durch brutale Unterbrechungen unmöglich gemacht – ein Blitzschlag, ein Donnergrollen, peitschender Regen oder etwas Hartes, das der unaufhörliche Wind uns ins Gesicht schleuderte.
Immer noch klammerten sich Kapitän Nugeter und Yuril am Ruder fest.
SECHSTER TAG
Zwei Mitglieder der Mannschaft haben wir im Kampf mit dem Blutmeer verloren. Der Rest sehnt sich angesichts der Aussichten auf das nicht enden wollende Unwetter fast danach, sich dem wütenden Mahlstrom, zu ergeben.
Raistlin ist fast den ganzen Tag erschöpft in seiner Kabine geblieben. Flint wurde mit tiefliegenden Augen und triefnassen Brauen von Yuril nach unten geschickt, als sie seine Benommenheit bemerkte.
Gegen Mittag flaute der Sturm kurz ab. Inzwischen wußten wir schon, daß es anschließend einen furchtbaren, neuen Ausbruch geben würde.
In der Stille hörten wir Stöhnen, Schreie und gackerndes Lachen, das vom Wind herangetragen wurde. Das Schiff begann, sich mit erschreckender Geschwindigkeit zu drehen. Es war schlimmer als alles, was wir bisher erlebt hatten.
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