Der alte Loguire erhob sich. Er verbeugte sich ernst vor Catherine. Sie dankte ihm mit einem erstaunten, wütenden Blick.
„Nichts kann zur Verteidigung eines Rebellen gesagt werden“, rief Loguire. „Doch wenn ein Mann sich heißen Blutes erhebt, um sich für das zu rächen, was er für ehrenrührige Beleidigung an seinem Vater und seinem Haus erachtet, kann viel gesagt werden, denn selbst wenn sein Vorgehen unüberlegt, ja sogar von Hochverrat gezeichnet gewesen sein mochte, war es doch von gekränkter Ehre und Liebe zum Vater geleitet. Da er nun das Ergebnis vorschnellen Handelns kennt, und ihn sein Herzog und Vater belehren wird, dürfte es durchaus nicht unwahrscheinlich sein, daß er sich seiner Treue und seiner Pflichten gegenüber seiner Herrscherin wieder voll bewußt wird.“
Catherine lächelte süßlich. „Ihr wollt also, Mylord, daß ich diesen Mann begnadige, der den Tod vieler Tausender auf sich geladen hat, und daß ich ihn zur Belehrung und Protektion in Eure Hände gebe, obgleich Ihr Euch diese Aufgabe — wie der heutige Tag nur zu gut beweist — schon einmal nicht gewachsen gezeigt habt!“
Lord Loguire zuckte zusammen, als hätte er einen Schlag ins Gesicht bekommen.
„Nein, Mylord!“ rief sie heftig. „Ihr habt bereits Rebellen gegen mich großgezogen und wollt es nun wieder tun!“
Loguires Gesicht verhärtete sich, während Tuan mit vor Grimm gerötetem Gesicht aufsprang.
Von oben herab wandte sie sich an ihn. „Hat der Lord der Bettler auch etwas zu sagen?“
Tuan kämpfte mit knirschenden Zähnen um seine Fassung.
Dann verbeugte er sich. „Meine Königin, Vater und Sohn haben heute tapfer für Euch gekämpft. Habt die Gnade, uns schon deshalb das Leben unseres Sohnes und Bruders zu schenken.“
Catherines Gesicht wurde noch blasser, und ihre Augen verengten sich.
„Ich danke meinem Vater und Bruder“, sagte Anselm mit klarer, ruhiger Stimme.
„Still!“ schrie Catherine schrill. „Verräterrischer, schurkischer, dreimal verhaßter Hund!“
Die Augen der Loguires funkelten, doch sie hielten die Lippen zusammengepreßt.
Keuchend umklammerte Catherine die Armlehnen ihres Thrones. „Ihr werdet erst reden, wenn ich es Euch befehle. Bis dahin habt Ihr Euren Mund zu halten!“
„Das werde ich nicht! Ihr könnt mir gar nicht noch mehr anhaben, denn Ihr, niederträchtige Königin, habt beschlossen, daß ich sterben muß, und nichts wird Euren einmal gefaßten Entschluß ändern. So tötet mich doch und bringt es hinter Euch!“
„Das Urteil kommt aus seinem eigenen Mund“, sagte Catherine spöttisch. „Es ist das Gesetz des Landes, daß ein des Hochverrats Schuldiger sterben muß.“
„Das Gesetz des Landes bestimmt die Königin“, brummte Brom. „Wenn sie einem Rebellen das Leben schenkt, ist es ihr Recht!“
Sie drehte sich zu ihm um. „Was, auch Ihr verratet mich? Steht kein einziger meiner Generale an meiner Seite?“
„Genug!“ donnerte Rod, der plötzlich neben ihr stand und auf sie hinabschaute. „Kein einziger Eurer Generale wird Euch jetzt unterstützen. Sollte Euch das nicht vielleicht auf den
Gedanken bringen, daß Ihr im Unrecht seid? Aber nein, nein, doch nicht die Königin! Weshalb haltet Ihr überhaupt noch Gericht? Ihr habt doch bereits beschlossen, daß er sterben muß!“ Er spuckte vor ihr aus.
„Auch Ihr?“ stöhnte sie. „Auch Ihr wollt einen Verräter verteidigen, der den Tod von dreitausend Männern verursacht hat!“
„Ihr tragt die Schuld am Tod der dreitausend!“ brüllte Rod.
„Ein edler Mann niedriger Geburt liegt tot auf dem Feld, seine rechte Seite ist weggerissen, und die Mäuse nagen an ihm. Und warum? Um ein eigensinniges Balg zu verteidigen, das auf dem Thron sitzt und nicht das Leben eines Bettlers wert ist. Ein Balg, das eine so schlechte Königin ist, daß es eine Rebellion heraufbeschwor!“
Catherine duckte sich auf ihrem Thron und drückte sich gegen die Rückenlehne. Zitternd rief sie: „Seid still! War vielleicht ich es, die rebellierte?“
„Wer gab denn den Edlen mit zu hastigen Reformen und zu hochnäsigen Manieren Grund, sich aufzulehnen? Die Ursache ist es, Catherine. Ohne sie gibt es keine Rebellion! Und wer anders als die Königin hat diese Ursache gegeben?“
„Seid still! Still!“ Sie drückte die Hand auf den Mund, als wollte sie verhindern, laut hinauszuschreien. „So dürft Ihr mit einer Königin nicht reden!“
Rod schaute voll Verachtung auf die sich immer noch vor ihm duckende Königin. Er wendete sich zu Gekab um. „Mir dreht sich der Magen um! Gewährt ihnen Pardon. Viel zu viele mußten heute sterben. Laßt sie leben. Sie werden der Krone treu sein, ohne ihre Ratgeber, die sie aufhetzten. Laßt sie alle leben! Sie haben ihre Lektion gelernt, auch wenn man das von Euch nicht behaupten kann!“
„Ihr geht zu weit!“ keuchte Catherine.
„Ja, das tut Ihr!“ Tuan sprang auf und legte die Hand um den Schwertgriff. „Die Königin gab den Anlaß, das stimmt, aber sie
hat die Gefallenen nicht getötet!“
Catherine blickte ihn dankbar an.
„Solange Ihr die Wahrheit sprecht“, fuhr Tuan fort, „dürft Ihr sie tadeln. Doch wenn Ihr sie beschuldigt, etwas getan zu haben, was nicht so ist, dann darf ich Euch nicht sprechen lassen!“
Rod hatte gute Lust, ihm ins Gesicht zu spucken. Doch statt dessen wandte er sich erneut Catherine zu, die nun wieder hocherhobenen Hauptes auf dem Thron saß und ihre arroganteste Miene aufsetzte.
„Vergeßt nicht“, knurrte er, „daß eine Königin, die ihre Launen nicht unter Kontrolle hat, eine schwache Regentin ist.“
Wieder erblaßte sie.
„Hütet Eure Zunge!“ grollte Tuan.
Die Wut in Rod wurde so mächtig, daß er einen Augenblick erstarrte, bis sie alle Bande in ihm brach und davonflutend eine eisige Ruhe in ihm zurückließ und ihm klar zeigte, was er tun mußte und weshalb — und was die Folgen für ihn sein würden…
Catherine lächelte nun wieder selbstzufrieden und überheblich, als sie sah, daß Rod bei Tuans Drohung zögerte. „Habt Ihr noch etwas zu sagen, Herr?“ fragte sie spöttisch von oben herab.
„Ja! Was ist das für eine Königin, die ihr eigenes Volk verrät?“
Er holte aus und schlug ihr die Hand ins Gesicht.
Sie heulte und schlug gegen die Rückenlehne des Thrones.
Schon war Tuan heran und stieß die Faust vor.
Rod duckte sich unter dem Hieb, packte Tuan und brüllte: „Gekab!“
Tuans Fäuste hämmerten auf ihn ein, aber Rod ließ ihn nicht los. Er sah, daß die anderen Generale herbeistürmten. Doch Gekab war schneller. Rod versuchte zu vergessen, was für ein netter Junge Tuan im Grund genommen war, und hieb ihm das Knie zwischen die Beine. Jetzt gab er ihn frei und sprang in den Sattel, als Tuan fiel und sich vor Schmerzen wand.
Gekab wirbelte herum und sprang über die Köpfe der herbeieilenden Gardesoldaten. Als er davongaloppierte, hörte Rod, wie Catherine Tuans Namen schrie. Grinsend ließ er sich von Gekab weitertragen, doch plötzlich wurde das Grinsen zu einem stummen Schrei, als seine verwundete Schulter zu explodieren schien. Er drehte den Kopf. Der Schaft eines Armbrustge schosses ragte am Rücken heraus. Nachdem sie einen weiten Kreis durch Wald und Feld gezogen hatten und Kilometer weit durch einen Bach gewatet waren, um ihre Spuren zu verwischen, kehrten Rod und Gekab in der Abenddämmerung zu einem Hügel über dem Schlachtfeld zurück.
Am Rand eines Wäldchens ließ Rod sich aus dem Sattel fallen und lehnte sich gegen einen Baum. Er schaute hinunter auf die Lagerfeuer und lauschte dem fröhlichen Lärm der Siegesfeier. Er seufzte und wandte sich dem dringlichsten Problem, nämlich seiner Schulter zu. Trotz des schmerzstillenden Mittels, das er genommen hatte, machte sie ihm zu schaffen. Der Widerhaken des Geschosses schien vor dem Schlüsselbein neben dem Schultergelenk zu stecken. Wie durch ein Wunder hatte es sowohl den Knochen als auch die Schlagader verfehlt. Ein leiser Knall wie von einer Miniaturschockwelle war zu hören. Er schaute hoch und sah Gwendylon sich mit Tränen in den Augen zu ihm herabbeugen. „Mein Lord! Mein Lord! Seid Ihr schwer verletzt?“
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