«Nachdem Benjen Stark vermißt wird und Ser Jaremy getötet wurde, bin ich der Erste Grenzer«, entgegnete Smallwood unbeirrt.»Diese Patrouille sollte ich anführen.«
Mormont wollte nichts davon hören.»Ich habe Ben Stark und davor Ser Waymar ausgeschickt. Euch werde ich nicht losziehen lassen und tatenlos hier sitzen und mich fragen, wie lange ich warten muß, bis ich Euch ebenfalls als verschollen aufgeben muß. «Er hob den Zeigefinger.»Und solange wir nicht wissen, ob Stark tot ist, bleibt er der Erste Grenzer. Sollten sich unsere Befürchtungen bewahrheiten, werde ich seinen Nachfolger benennen, nicht Ihr. Und nun verschwendet meine Zeit nicht länger. Wir brechen beim ersten Tageslicht auf, oder habt Ihr das bereits vergessen?«
Smallwood erhob sich.»Wie mein Lord befiehlt. «Auf dem Weg zur Tür blickte er Jon finster an, als trage er die Schuld an allem.
«Erster Grenzer!«Der Alte Bär funkelte Sam an.»Eher würde ich dich zum Ersten Grenzer ernennen. Hat er doch die Frechheit, mir ins Gesicht zu sagen, ich sei für einen solchen Ritt zu alt. Findest du mich auch zu alt, Junge?«Das Haar, welches mittlerweile auf seinem Kopf fehlte, hatte sich unter seinem Kinn zu einem grauen Bart versammelt, der den größten Teil der Brust bedeckte. Er schlug sich vor den Brustkorb.»Wirke ich etwa gebrechlich?«
Sam öffnete den Mund, bekam jedoch nur ein leises Quieken heraus. Der Alte Bär jagte ihm schreckliche Angst ein.»Nein, Mylord«, mischte sich Jon rasch ein.»Ihr seht so kräftig aus wie ein… wie ein… «
«Willst du mir schmeicheln, Snow, obwohl du weißt, daß das bei mir nicht ankommt? Kommt, zeigt mir mal eure Karten. «Mormont blätterte sie rasch durch, widmete jeder kaum einen Blick und grunzte nur.»Ist das alles?«
«Ich… M-m-mylord«, stammelte Sam,»da gab es noch mehr, a-a-aber… die U-u-unordnung… «
«Die hier sind alt«, beschwerte sich Mormont, und sein Rabe wiederholte mit scharfem Schrei:»Alt, alt.«
«Die Dörfer mögen verschwunden sein, vielleicht wurden neue gegründet, aber die Berge und Flüsse befinden sich noch an der gleichen Stelle, wo sie früher waren«, gab Jon zu bedenken.»Durchaus richtig. Hast du schon die Raben ausgewählt, Tarly?«»M-m-maester Aemon w-w-will sie heute abend a-a-auswählen, nach dem F-f-füttern.«
«Ich will seine besten. Kluge Vögel, und vor allem stark müssen sie sein.«
«Stark«, wiederholte der Rabe,»stark, stark.«»Falls wir dort draußen alle umkommen, soll mein Nachfolger wenigstens erfahren, wo und wie.«
Bei diesem Gerede vom Sterben blieben Samwell Tarly die Worte im Halse stecken. Mormont beugte sich vor.»Tarly, als ich halb so alt war wie du, hat mir meine Hohe Mutter erklärt, daß mir, wenn ich mit offenem Mund dastehe, versehentlich ein Wiesel hineinlaufen und die Kehle hinunterkrabbeln könnte. Möchtest du etwas sagen? Dann raus damit. Ansonsten hüte dich vor Wieseln. «Mit einer abrupten Handbewegung scheuchte er ihn hinaus.»Ich habe keine Zeit für solche Torheiten. Zweifelsohne hat der Maester Aufgaben für dich.«
Sam schluckte, trat zurück und stürzte davon, wobei er beinahe über die Binsen gestolpert wäre.
«Ist dieser Junge wirklich so dumm, wie er sich gibt?«fragte der Lord Commander, nachdem Sam draußen war.»Dumm«, beschwerte sich der Rabe. Mormont wartete die Antwort nicht ab.»Sein Hoher Vater ist Mitglied in König Renlys Räten, und deshalb könnte ich ihn gut als Boten losschicken… nein, besser nicht. Renly wird sich wohl kaum mit einem zitternden, fetten Knaben abgeben wollen. Ich werde Ser Arnell senden. Er ist wesentlich ruhiger, und seine Mutter war eine Fossoway.«
«Wenn ich fragen dürfte, Mylord, was wollt Ihr von König Renly?«
«Das gleiche wie von allen anderen, Junge. Männer, Pferde, Schwerter, Rüstungen, Getreide, Käse, Wein, Wolle, Nägel… die Nachtwache ist nicht eitel, wir nehmen, was man uns anbietet. «Er trommelte mit den Fingern auf die rauhe Tischplatte.»Wenn ihm die Winde geneigt waren, sollte Ser
Alliser King's Landing beim Mondwechsel erreicht haben, aber ob dieser Junge Joffrey ihm irgendwelche Beachtung schenkt, weiß ich nicht. Das Haus Lannister war nie ein Freund der Nachtwache.«
«Thorne hat doch die Hand dieses untoten Wesens, die er ihnen zeigen kann. «Es war ein grausiges Ding, dessen schwarze Finger in seinem Behältnis noch immer zuckten, als würden sie noch leben.
«Ich wünschte, wir hätten eine zweite Hand, die wir zu Renly schicken könnten.«
«Dywen sagt, jenseits der Mauer könnte man alles mögliche finden.«
«Ja, das sagt Dywen. Und bei seiner letzten Patrouille will er einen fünf Meter großen Bären gesehen haben. «Mormont schnaubte.»Von meiner Schwester wurde behauptet, sie habe einen Bären als Liebhaber. Das würde ich eher glauben als die Geschichte von einem, der fünf Meter groß ist. Obwohl, in einer Welt, wo die Toten frei umherwandeln… ach, auch dann muß sich ein Mann auf seine eigenen Augen verlassen. Ich habe niemals einen Riesenbären gesehen. «Er blickte Jon lange forschend an.»Wo wir gerade von Händen sprechen, wie geht es deiner?«
«Besser. «Jon zog sich den Handschuh aus und zeigte sie ihm. Die Narben bedeckten seinen Arm bis zum Ellbogen, und in der frischen Haut verspürte er ein kräftiges Ziehen, doch immerhin heilte sie.»Es juckt sehr. Maester Aemon meint, das sei ein gutes Zeichen. Er hat mir eine Salbe für den Ritt gegeben.«
«Kannst du Longclaw trotz des Schmerzes halten?«
«Ja, das kann ich. «Jon öffnete die Hand und ballte sie zur Faust, wie es ihm der Maester gezeigt hatte.»Ich soll die Finger jeden Tag bewegen, damit sie geschmeidig bleiben.«
«Aemon mag blind sein, aber mit solchen Dingen kennt er sich aus. Ich bete zu den Göttern, daß sie ihn uns noch zwanzig Jahre erhalten. Weißt du, daß er fast einmal König geworden wäre?«
Das überraschte Jon.»Er hat mir erzählt, sein Vater sei König gewesen, aber nicht… Ich habe gedacht, er wäre einer der jüngeren Söhne gewesen.«
«So war es auch. Seines Vaters Vater war Daeron Targaryen, der Zweite Seines Namens, und er hat Dorne dem Reich angeschlossen. Ein Teil des Bündnisses bestand darin, daß er eine dornische Prinzessin heiratete. Sie schenkte ihm vier Söhne. Aemons Vater war der jüngste, und Aemon dessen dritter Sohn. Nun ja, all das trug sich zu, bevor ich geboren wurde, auch wenn Smallwood mich immer viel älter macht.«
«Maester Aemon wurde nach dem Drachenritter benannt.«
«Genau. Manche behaupten, Prinz Aemon sei König Daerons wirklicher Vater gewesen, nicht Aegon der Unwerte. Mag es sein, wie es will, unserem Aemon fehlte es an der kriegerischen Natur des Drachenritters. Er sagt gern, er führe das Schwert langsam, doch sein Verstand schneide scharf und schnell. Kein Wunder, daß sein Großvater ihn zur Citadel geschickt hat. Er war erst neun oder zehn, glaube ich… und zudem der neunte oder zehnte in der Thronfolge.«
Maester Aemon zählte über hundert Namenstage, das wußte Jon. Gebrechlich, verhutzelt, runzlig und blind war er, und so konnte Jon ihn sich kaum als einen Jungen in Aryas Alter vorstellen.
Mormont fuhr fort:»Aemon saß also bereits über seinen Büchern, da starb der älteste seiner Onkel, der wahrscheinlichste Erbe, bei einem Unfall während eines Turniers. Er hatte zwei Söhne, doch diese folgten ihm bald ins Grab, während der Großen Frühjahrsseuche. König Daeron fand ebenfalls den Tod, und so ging die Krone an Daerons zweiten Sohn Aerys.«
«Den Irren König?«Jon war verwirrt. Aerys war vor Robert König gewesen, und das war doch noch nicht so lange her.
«Nein, an Aerys den Ersten. Der, den Robert gestürzt hat, war der zweite dieses Namens.«
«Vor wie langer Zeit war das?«
«Vor ungefähr achtzig Jahren«, sagte der Bär,»und ich war noch immer nicht geboren, aber Aemon hatte schon ein halbes Dutzend Glieder seiner Maesterkette geschmiedet. Aerys heiratete seine Schwester, wie es bei den Targaryens Sitte ist, und herrschte zehn oder zwölf Jahre. Aemon legte sein Gelübde ab und trat in die Dienste eines kleinen Lords… bis sein königlicher Onkel ohne Nachkommen verschied. Der Eiserne Thron ging an den letzten von König Daerons vier Söhnen. Das war Maekar, Aemons Vater. Der neue König rief seine Söhne an den Hof und hätte Aemon in seinen Rat aufgenommen, aber dieser weigerte sich, da dieser Sitz rechtmäßig einem Grand Maester zustände. Statt dessen diente er im Turm seines ältesten Bruders, eines anderen Daeron. Nun, er starb ebenfalls und hinterließ lediglich eine schwachsinnige Tochter als Erbin. Er hatte sich irgendeine Krankheit von einer Hure geholt, glaube ich. Der nächste Bruder war Aerion.«
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