Der Lotse nickte.
»Und vergessen Sie nicht, was passiert ist. Wir waren auf der Eli Reynolds , und deren Kessel ist explodiert. Dabei sind alle ums Leben gekommen — außer uns. Sie ist sofort gesunken, ziemlich weit weg von hier flußaufwärts, wo der Fluß am tiefsten ist. Das ist alles, was Sie wissen, klar? Den Rest erzähle ich.«
»Das ist mehr, als ich weiß«, sagte Framm. »Wie, zum Teufel, bin ich hierhergekommen?«
»Das soll Sie jetzt nicht interessieren. Befolgen Sie nur, was ich Ihnen gesagt habe.« Marsh wandte sich ab und stampfte die Treppe hinauf, während Toby Framm dabei behilflich war, sich in einen Sessel zu setzen.
Sie hatten Joshua auf ein breites Baldachinbett gelegt und waren gerade im Begriff, ihn auszuziehen, als Marsh hereinkam. Joshuas Gesicht und seine Hände sahen am schlimmsten aus, schrecklich verbrannt, doch selbst unter der Kleidung war die weiße Haut leicht gerötet. Er bewegte sich schwach, während sie ihm die Stiefel auszogen, und stöhnte. »Jesus, ist der Mann schlimm verbrannt«, meinte einer der Sklaven kopfschüttelnd.
Marsh blickte finster drein und trat an die Fenster, die weit geöffnet waren. Er schloß sie und legte auch die Läden vor. »Besorgt mir eine Decke oder so etwas«, befahl er, »damit ich sie davorhängen kann. Hier ist zuviel verdammtes Licht. Und zieht auch die Vorhänge um das Bett zu.« Er sagte das im polternden Ton eines Dampferkapitäns, der jeden Widerspruch im Keim erstickte.
Erst als es in dem Zimmer so finster war, wie Marsh es sich vorstellte, und eine gebeugte hagere Schwarze heraufgekommen war, um Yorks Verbrennungen mit Kräutern, Wundsalben und kalten feuchten Handtüchern zu behandeln, verließ Abner Marsh das Zimmer. Im Erdgeschoß saßen der Plantagenbesitzer — ein stämmiger hartgesichtiger Mann mit ausgeprägtem Kinn, der sich als Aaron Gray vorstellte — und zwei seiner Söhne mit Karl Framm bei Tisch. Der Duft der Speisen erinnerte Marsh daran, wie lange es her war, seit er das letztemal gegessen hatte. Er fühlte sich ausgehungert. »Setzen Sie sich zu uns, Cap’n«, bat Gray, und Marsh zog sich dankbar einen Stuhl heran und ließ sich Brathuhn, Maisbrot, süße Erbsen und Kartoffeln auf den Teller laden.
Joshua hat mit seiner Angst vor Fragen durchaus recht gehabt, dachte Marsh bei sich, während er seine Mahlzeit hinunterschlang. Die Grays stellten mindestens hundert Fragen, und Marsh beantwortete sie, so gut er konnte, wenn sein Mund nicht gerade voll war. Framm entschuldigte sich, während Marsh sich eine zweite Portion nahm — der Lotse sah immer noch sehr mitgenommen aus —, und ließ sich ein Bett zeigen. Je mehr Fragen Marsh beantwortete, desto unbehaglicher fühlte er sich. Er war kein geborener Lügner wie einige Flußleute, die er kannte, und das wurde mit jedem verdammten Wort deutlicher, das er hervorstotterte. Trotzdem überstand er die Mahlzeit irgendwie, obgleich Marsh sehr wohl bemerkte, daß Gray und sein ältester Sohn ihn einigermaßen seltsam betrachteten, als er seinen Nachtisch verzehrt hatte.
»Ihrem Nigger geht es gut«, sagte der zweite Sohn, während sie vom Tisch aufstanden, »und Robert ist losgefahren, um Doktor Moore zu holen, damit er die anderen beiden behandelt. Unterdessen wird Sally sich um sie kümmern. Es hat keinen Sinn, wenn Sie sich jetzt aufregen, Cap’n. Wahrscheinlich wollen Sie sich auch etwas ausruhen. Sie haben schließlich eine Menge durchgemacht, haben Ihren Dampfer und alle Ihre Freunde verloren.«
»Ja, das ist wahr«, gab Abner Marsh zu. Und kaum war ihm dieses Geständnis entschlüpft, da fühlte Marsh sich unendlich müde. Er hatte nun seit dreißig Stunden kein Auge mehr zugetan. »Das wäre jetzt genau das richtige für mich«, sagte er dankbar.
»Zeig ihm ein Zimmer, Jim!« bat der Pflanzer. »Und noch eins, Cap’n, Robert benachrichtigt auch noch den Totengräber. Wegen dieser armen Frau. Eine ganz tragische Sache, wirklich. Wie, sagten Sie, lautet ihr Name?«
»Valerie«, sagte Marsh. Er konnte sich absolut nicht an ihren Nachnamen erinnern, den sie genannt hatte. »Valerie York«, improvisierte er daher.
»Sie bekommt ein anständiges christliches Begräbnis«, versprach Gray, »es sei denn, Sie wollen sie zu ihrer Familie bringen, oder?«
»Nein«, sagte Marsh, »nein.«
»Gut. Jim, bring Cap’n Marsh nach oben. Gib ihm ein Zimmer gleich neben seinem bedauernswerten verbrannten Freund.«
»Klar, Daddy.«
Marsh schaute sich kaum in dem Zimmer um, in das man ihn führte. Er schlief wie ein Murmeltier.
Als er erwachte, war es dunkel.
Marsh richtete sich schwerfällig in seinem Bett auf. Das lange Rudern forderte seinen Tribut. Seine Gelenke knackten, wenn er sich bewegte, er hatte einen furchtbaren Krampf in den Schultern, und seine Arme fühlten sich an, als hätte jemand ständig mit einem dicken Eichenknüppel darauf eingeschlagen. Er stöhnte, rutschte vorsichtig zum Matratzenrand und stellte behutsam die nackten Füße auf den Boden. Jeder Schritt löste in ihm eine Schmerzwoge aus, als er zum Fenster ging und es weit öffnete, um etwas kühle Nachtluft ins Zimmer zu lassen. Draußen befand sich ein kleiner Steinbalkon, dahinter ein Streifen Chinabäume, und dann waren da noch die Felder, kahl und verlassen im Mondschein. In der Ferne konnte Marsh den matten Schein des Bagassehaufens erkennen, von dem noch immer ein Rauchschleier aufstieg. Jenseits davon war der Fluß aus dieser Entfernung nur ein winziger Schimmer.
Marsh fröstelte, schloß das Fenster und kehrte ins Bett zurück. In dem Zimmer war es jetzt ziemlich kühl; daher wickelte er sich in die Decken und drehte sich auf die Seite. Das Mondlicht schuf überall dunkle Nischen und Schatten, und die Möbel, die ihm allesamt fremd waren, wurden in dem vagen Licht beinahe unheimlich. Er konnte nicht schlafen. Seine Gedanken gingen auf die Reise, wanderten zu Damon Julian und der Fiebertraum und warfen die drängende Frage auf, ob der Dampfer immer noch an der Stelle lag, wo er ihn verlassen hatte. Er dachte auch an Valerie. Er hatte sie eingehend betrachten können, als sie sie unter dem Boot hervorgezogen hatten, und sie hatte keinen besonders schönen Anblick geboten. Niemals hätte man geglaubt, daß sie eine Schönheit war, blaß, voller Grazie und sinnlich, mit großen violetten Augen. Abner Marsh hatte Mitleid mit ihr und fand dies eine seltsame Reaktion angesichts der Tatsache, daß er einen Abend vorher um die gleiche Zeit versucht hatte, sie mit seiner Büffelflinte zu erlegen. Die Welt ist schon ein furchtbar seltsamer Ort, dachte, wenn sich an einem einzigen Tag so vieles so gründlich verändern kann.
Schließlich schlief er wieder ein.
»Abner«, erklang das Flüstern und störte seine Träume, »Abner, lassen Sie mich hinein!«
Abner Marsh setzte sich jäh auf. Joshua York stand auf seinem Balkon und klopfte mit der bleichen wunden Hand gegen die Fensterscheibe.
»Moment!« murmelte Marsh. Es war draußen noch stockfinster, und im Haus war alles still. Joshua lächelte, als Marsh aus dem Bett stieg und auf ihn zutappte. Sein Gesicht war von Rissen und Falten gezeichnet und wies Fetzen abgestorbener Haut auf. Marsh öffnete die Balkontüren, und Joshua trat ein, bekleidet mit seinem ramponierten weißen Anzug, der nun fleckig und zerknittert war. Erst als er sich im Zimmer befand, fiel Abner Marsh die leere Flasche ein, die er in den Fluß geschleudert hatte. Er wich plötzlich zurück. »Joshua, Sie haben doch — keinen Durst , oder?«
»Nein«, erwiderte Joshua York. Sein grauer Umhang wehte und flatterte im Wind, der durch die offenen Balkontüren hereinblies. »Ich wollte nicht das Schloß zerstören oder die Scheiben einschlagen. Haben Sie keine Angst, Abner.«
»Das war auch gut so«, sagte Marsh und betrachtete ihn. Yorks Lippen waren immer noch aufgesprungen, die Augen lagen in tiefen rotschwarzen Schächten, aber er hatte sich deutlich erholt. Noch gegen Mittag hatte er ausgesehen wie der leibhaftige Tod.
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