Es würde also auf ein Rennen hinauslaufen, und darauf waren sie nicht vorbereitet. Die Packtiere konnten sie zurücklassen, doch was war mit dem Maultier des Geistlichen? Jetzt schon waren dessen Nüstern weit offen und gerötet, und Schaum stand auf seinem weißen Fell, auf dem Nacken, der Schulter und zwischen den Hinterbeinen. Und trotz der Tritte dy Cabons fiel das Tier immer wieder vom Galopp in einen scharfen Trab, der jeden Knochen im Leib des Geistlichen stauchte. Dy Cabon wurde durchgeschüttelt; seine Gesichtsfarbe wechselte von blutrot zu leichenblass, dann zu grün und wieder zu blutrot. Es schien, als müsste er sich jeden Augenblick vor Angst und Anstrengung übergeben.
Die gegnerische Truppe wirkte wie eine feindliche Heerschar auf Beutezug — doch wie, in der fünf Götter Namen, hatte sie aus dem Süden herankommen können, ganz ohne Vorwarnung? Wenn dem so war, mochte Ista für sich und die Ritter der Tochter ein Lösegeld in Aussicht stellen. Doch ein Geistlicher des fünften Gottes würde als Irrgläubiger behandelt und geschändet werden; sie würden dy Cabon zuerst die Daumen abschneiden, dann die Zunge, dann die Genitalien. Was anschließend geschah, hing von der zur Verfügung stehenden Zeit und dem Einfallsreichtum ab. Irgendeine Todesart — so schrecklich, wie die Anhänger des vierfältigen Glaubens sie sich ausdenken konnten: Erhängen oder Pfählen oder noch Schlimmeres. Drei Nächte lang hatte dy Cabon davon geträumt, wie er berichtet hatte, und jedes Mal war es anders gewesen. Ista fragte sich, welche Todesart schlimmer sein könnte als Pfählung.
Die Landschaft bot nur wenig Deckung. Die Bäume waren klein; selbst wenn die Gefährten einen fanden, der groß genug war, Schatten auf die Straße zu werfen, so zweifelte Ista doch daran, dass sie den Geweihten hinaufheben konnten. Und seine weißen Roben, so schmutzig sie auch waren, würden wie ein Leuchtfeuer zwischen den Blättern schimmern. Auch zwischen den Büschen wären sie eine halbe Meile weit zu sehen, genau wie sein Maultier.
Doch als sie eine weitere Anhöhe überquerten, waren sie eine Zeit lang wieder außer Sicht für ihre Verfolger. Und auf dem Grund der Senke …
Ista trieb ihr Pferd voran, ritt an Ferdas Seite und rief: »Der Geistliche! Sie dürfen ihn nicht bekommen!«
Er blickte nach hinten über seine Truppe hinweg und nickte zustimmend. »Ein anderes Pferd?«, stieß er skeptisch hervor.
»Das reicht nicht«, rief Ista und zeigte nach vorn: »Verstecken wir ihn in dem Durchlass dort!«
Sie zügelte ihr Tier und ließ die anderen vorüberreiten, bis dy Cabons erschöpftes Maultier auf gleicher Höhe mit ihr war. Foix und Liss blieben an ihrer Seite.
»Dy Cabon!«, rief sie. »Habt Ihr jemals geträumt, dass man Euch aus einer Durchflussröhre zerrt?«
»Nein, Majestät«, gab er zwischen den Stößen, die jeder Schritt des Maultieres ihm versetzte, mit zitternder Stimme zurück.
»Dann werden wir Euch in der da verstecken, bis sie alle über Euch hinweggeritten sind.« Auch Foix war im Fall einer Gefangennahme in größter Gefahr, sollten die Anhänger des vierfältigen Glaubens herausfinden, dass er von einem Dämon befallen war. Sie mochten ihn leicht für einen Zauberer halten und bei lebendigem Leibe verbrennen. »Habt Ihr geträumt, dass Foix bei Euch ist?«
»Nein!«
»Foix! Könnt Ihr bei ihm bleiben — ihm helfen? Und haltet die Köpfe unten. Kommt nicht heraus, was auch geschieht!«
Foix blickte die Straße entlang zu dem Versteck, auf das Ista deutete. Er verstand den Plan anscheinend sofort: »Selbstverständlich, Majestät!«
Über dem Durchlass hielten sie rasch an. Der kleine Bach füllte das Rohr nicht gänzlich aus, obwohl es eine sehr beengte, nasse und unbequeme Deckung abgeben würde, insbesondere für dy Cabons massigen, zitternden Leib. Foix sprang vom Pferd, warf Pejar die Zügel zu und fing den keuchenden Geistlichen auf, als dieser beinahe von seinem Reittier kippte. »Wickelt das um Eure weißen Roben!« Foix warf seinen grauen Mantel über dy Cabon und drängte ihn von der Straße. Eine andere Wache zerrte grimmig dy Cabons Maultier hinter sich her; von seiner schweren Last befreit, fiel es wieder in leichten Galopp. Doch ein leichter Galopp würde nicht ausreichen, befand Ista.
»Passt aufeinander auf!«, rief sie verzweifelt. Doch schon zwängten die beiden sich in den niedrigen Einlass der Röhre, und Ista wusste nicht, ob sie ihre Worte überhaupt hörten.
Dann ging es weiter. Noch jemand durfte den rauen Kriegern nicht in die Hände fallen. »Liss!«, rief Ista. Das Mädchen ritt an ihre Seite. Istas Pferd war nass vor Schweiß und keuchte, doch Liss’ langbeiniger Fuchs lief leichtfüßig dahin.
»Reite voraus …«
»Majestät, ich werde Euch nicht im Stich lassen …«
»Hör zu, dummes Ding! Reite voraus und warne jeden, den du triffst: Plünderer aus Jokona sind unterwegs! Du musst das Umland vorwarnen. Suche nach Hilfe, und schicke sie uns!«
»Wie Ihr befehlt, Majestät!«
»Reite schnell wie der Wind, und sieh nicht zurück!«
Liss salutierte, beugte sich tief über den Hals ihres Pferdes und preschte davon. Die drei, vier Meilen Galopp, die schon hinter ihnen lagen, hatten das Tier offensichtlich erst warm werden lassen. Wenige Augenblicke später hatte die Fuchsstute den ganzen Trupp hinter sich gelassen.
Gut, Mädchen, gut! Du musst nicht einmal schneller sein als die Jokoner, solange du nur schneller bist als wir …
Sie gelangten auf den nächsten Hügelkamm, wo die Straße eine Biegung machte. Ista blickte zurück. Weder von dem Geistlichen noch von Foix war etwas zu sehen. Die ersten jokonischen Reiter setzen im Galopp über den Durchlass hinweg, ohne innezuhalten oder auch nur einen Blick nach unten zu werfen. Ihre Aufmerksamkeit war ganz auf die Beute vor ihnen konzentriert. Die Spannung in Istas Brust löste sich ein wenig, auch wenn ihr Atem weiterhin keuchend ging.
Schließlich wandten ihre rasenden Gedanken sich dem eigenen Schicksal zu. Sollte sie ihre Tarnung aufrechterhalten, wenn man sie gefangen nahm? Welchen Wert würden die Jokoner einer entfernten weiblichen Verwandten des wohlhabenden Herzogs von Baocia beimessen? Würde der Rang einer Sera dy Ajelo ausreichen, um nicht nur ihre Sicherheit zu erkaufen, sondern auch die ihrer Männer? Doch die Königinwitwe von Chalion, die leibliche Mutter der Königin Iselle, war ein viel zu kostbarer Preis, als dass er in die schmutzigen Hände irgendwelcher räuberischer Jokoner fallen durfte.
Sie schaute sich um und blickte in die grimmigen, angespannten Gesichter ihrer Begleiter. Ich will nicht, dass diese treuen jungen Männer für mich sterben. Ich will nicht, dass irgendjemand für mich stirbt, nie wieder.
Ferda lenkte sein Pferd an ihre Seite und wies nach hinten. »Majestät, wir müssen die Maultiere zurücklassen!«
Sie nickte und rang nach Luft. Ihre Beine schmerzten, so krampfhaft hatte sie sich an die bebenden Flanken ihres Reittiers geklammert. »Dy Cabons Satteltaschen … müssen sie loswerden … verstecken. Seine Bücher und Aufzeichnungen … würden ihn verraten. Sie könnten umkehren und nach ihm suchen! Und meine Papiere auch … Ich habe Briefe unter meinem wirklichen Namen …«
Ferdas Miene zeigte, dass er alles mitbekommen hatte. Er richtete sich in den Steigbügeln auf und ließ sich zurückfallen. Ista drehte sich halb im Sattel und nestelte an den Schnüren aus ungegerbtem Leder, mit denen die Taschen über dem Pferderücken befestigt waren. Zum Glück hatte Liss kunstvolle Knoten geknüpft: Sie hielten zwar fest, ließen sich aber leicht lösen, als Ista daran zog.
Ferda erschien wieder neben ihr. Nun lagen die beiden schweren Gepäckstücke des Geistlichen über seinem Sattelknopf. Ista blickte zurück: Die losgebundenen Packtiere und dy Cabons weißes Maultier fielen hinter ihnen zurück, kamen stolpernd zum Stehen und trotteten erleichtert von der Straße.
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