Wir warteten alle, aber er hatte nichts mehr zu sagen. Ich fand, dass es ganz entschieden Zeit war, das Thema zu wechseln, und weil ich jeden daran erinnern wollte, dass ich das Sagen hatte, hielt ich mich an etwas, was mir schon eine ganze Weile lang auf die Nerven ging. Ich blickte den Seneschall streng an.
»Wie heißt du? Ich kann dich nicht ständig Seneschall nennen, und ich will verflucht sein, wenn ich dich wie als Kind wieder Sir nenne!«
»Nenn mich Seneschall; das ist mein Titel.«
»Ich könnte es dir von Molly aus deinem lebendigen Hirn reißen lassen!«, sagte ich. Es war ein Bluff, aber das wusste er nicht. Wenn der Seneschall so fest entschlossen war, mir seinen Namen nicht zu verraten, dann wollte ich ihn erst recht wissen: Es musste etwas Gutes sein. Der Seneschall seufzte, nur ein bisschen.
»Ich heiße Cyril.«
Manche Dinge sind einfach zu schön, um wahr zu sein. Ich glaube, das Einzige, was den ganzen Zirkel davon abhielt, in stürmisches und hysterisches Gelächter auszubrechen, war unsere umfassende Kenntnis der Brutalität des Seneschalls und die Tatsache, dass er Waffen aus dem Nichts beschwören konnte, wenn ihm danach war.
»Cyril?«, wiederholte ich begeistert. »Scheiße nochmal, Cyril? Kein Wunder, dass du dich zu einem Schläger und Tyrannen entwickelt hast, bei so einem Namen! Du musst deine Eltern geliebt haben!«
»Sie waren feine, anständige Menschen«, erwiderte der Seneschall mit Nachdruck. »Wenn ich jetzt mit meinem Bericht betreffend der Überschreitungen des Gespensts Jacob fortfahren dürfte?«
»Oh, unbedingt!«, sagte ich. »Lass dich von mir nicht aufhalten, Cyril!«
»Es hat zahlreiche Meldungen gegeben, dass Jacob in den Duschräumen und Umkleidekabinen der Damen herumgegeistert ist.«
»Ich verlaufe mich ständig.«
»Das machst du keinem weis, Jacob«, warf ich ein.
»Und«, fuhr der Seneschall fort, »es hat sogar Meldungen gegeben, dass er den Geist der kopflosen Nonne durch die Katakomben gejagt hat!«
Jacob grinste. »Hey, sie ist das einzige andere Gespenst im Herrenhaus! Kann man mir einen Vorwurf machen, wenn ich mal ein bisschen Ektoplasma tauschen will? Netter Arsch, für eine Nonne. Verdammt, sie ist schnell unterwegs, besonders wenn man sich vor Augen hält, dass sie nicht sehen kann, wo sie hinläuft!«
»Du bist ein Mitglied des Inneren Zirkels!«, fuhr der Seneschall ihn an. »Du solltest mit gutem Beispiel vorangehen!«
»Aber wenn sie doch so flink ist …«
»Hört auf damit!«, sagte ich rasch. »Dein Ektoplasma fängt schon an zu zittern! Lasst uns weitermachen. Haben wir irgendwelche Fortschritte bei der Untersuchung der Frage gemacht, wer hinter den jüngsten Angriffen aufs Herrenhaus stand, kurz bevor ich hierher zitiert wurde? Gibt es irgendwelche neuen Informationen?«
»Nichts. Nicht ein Wort«, sagte der Waffenmeister.
»Vielleicht sollten wir die fremde Materie fragen«, schlug der Seneschall spitz vor. »Weil sie sich ja letzten Endes als verantwortlich für die Zerstörung des Herzens herausgestellt hat.«
»War ich nicht«, sagte eine ruhige und vernünftige Stimme aus dem Inneren des karmesinroten Leuchtens. »Zu diesem Zeitpunkt war ich immer noch auf der Suche nach dem Herzen und wusste nicht einmal, dass es sich in dieser Dimension aufhält. Ihr dürft nicht vergessen: Das Herz hatte sich viele Feinde gemacht, Feinde aus allen Welten und Rassen, die es versklavt hatte, bevor es hierher kam. Manche dieser Feinde haben fast so lang wie ich nach dem Herzen gesucht.«
Das klang ziemlich einleuchtend, aber wenngleich ich der fremden Materie für vieles zu danken hatte und sie immer das Richtige sagte, änderte das dennoch nichts an der Tatsache, dass sie nach wie vor ein nahezu gänzlich unbekannter Faktor war. Alles, was wir über sie wussten, war das, was sie uns zu erzählen beliebt hatte. Wenn sie hinter den anderen Angriffen gesteckt hätte, würde sie das zugeben? Wir hatten kein Mittel, sie zu zwingen, die Wahrheit zu sagen. Ich rieb mir die Stirn, als ein langsamer, quälender Kopfschmerz einsetzte. Paranoid zu sein ist sehr ermüdend, aber wenn man ein Drood ist, ist es die einzige Möglichkeit, immer einen Schritt voraus zu bleiben.
»Fremde Materie …«, sagte ich.
»O bitte, nennt mich Ethel!«
»Wir werden dich nicht Ethel nennen!«, erklärte ich sehr bestimmt.
»Wieso nicht? Was ist an Ethel nicht in Ordnung? Das ist ein tadelloser Name. Ich mag ihn. Er ist ehrlich, bezaubernd, er ist … ich.«
»Wir werden dich nicht Ethel nennen!«
»Ist doch nichts verkehrt an Ethel«, meinte die fremde Materie. »Winston Churchill hatte einen zahmen Frosch, der Ethel hieß.«
»Nein, hatte er nicht!«
»Er könnte einen gehabt haben - das weißt du nicht.«
»Ich werde dich Seltsam nennen«, sagte ich. »Das ist der einzige Name, der passt.«
»Du hast keinen Sinn für Humor«, sagte Seltsam.
»Eigentlich …«, setzte Molly an.
»Scht!«, sagte ich schnell.
Der Waffenmeister produzierte einen weiteren seiner beeindruckenden Räusperer. »Wie bist du bei der Matriarchin vorangekommen, Eddie?«
»Nicht besonders«, gab ich zu. »Sie sagte mir, ich solle mich zum Teufel scheren. Sie würde lieber die ganze Familie zusammenbrechen als mit mir an der Spitze gedeihen sehen.«
Der Waffenmeister nickte widerwillig. »Mutter konnte schon immer sehr stur sein. Aber du musst es weiter bei ihr versuchen, Eddie. Du brauchst sie auf deiner Seite, wenn du die ganze Familie dazu bringen willst, an einem Strang zu ziehen. Sie repräsentiert die Vergangenheit und die Tradition und all die Dinge, die der Familie das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit geben.«
»Das wird nicht einfach werden«, prophezeite ich.
»Natürlich wird das nicht einfach werden, Eddie! Du hast ihren Lieblingssohn getötet, meinen Bruder James! Ich weiß, dass du keine andere Wahl hattest, und dennoch habe ich Schwierigkeiten, dir zu verzeihen. Der alte Graue Fuchs war der Beste von uns, so viele Jahre lang. Und vergiss nicht: Er hatte eine Menge Bewunderer auch außerhalb der Familie. Alte Freunde und alte Feinde, denen es ganz und gar nicht gefallen wird, zu hören, dass er durch deine Hand gefallen ist. Sie könnten jederzeit hier auftauchen, bereit und willig, ihrem außerordentlichen Missfallen Ausdruck zu verleihen. Und dann wirst du die ganze Familie zu deiner Unterstützung brauchen.«
»Wir könnten sagen, dass James zum Vogelfreien geworden ist«, schlug Penny zaghaft vor.
»Wer würde das glauben?«, fragte ich. »Der Graue Fuchs war immer der Beste von uns. Du solltest besser die Verteidigungsanlagen des Herrenhauses verstärken, Onkel Jack, für alle Fälle.«
Endlich kam ich zum wesentlichen Punkt des Treffens und berichtete ihnen vom Hinterhalt des MI5 vor meiner alten Wohnung. Der Waffenmeister und der Seneschall bestanden darauf, dass ich ihnen alles erzählte, jede Einzelheit, an die ich mich erinnern konnte. Molly mischte sich hier und da ein, manchmal hilfreich und manchmal nicht. Der Waffenmeister und der Seneschall reagierten beide ausgesprochen heftig, als ich ihnen mitteilte, wer hinter dem Angriff steckte.
»Der Premierminister?«, fragte der Seneschall ungläubig. »Was glaubt er, wer er ist, dass er sich mit den Droods anlegt? Der Mann hält sich wohl für etwas Besseres! Wir dürfen ihn nicht ungestraft davonkommen lassen, Edwin; die Leute könnten denken, dass wir weich werden.«
»Ich habe ihm bereits eine sehr eindeutige Botschaft übermitteln lassen«, entgegnete ich.
»Ein paar MI5-Agenten umzubringen wird ihn nicht stören«, sagte der Waffenmeister. »Soweit es ihn angeht, sind sie alle entbehrlich. Wir müssen ihn dort treffen, wo es wehtut!«
»Genau«, pflichtete der Seneschall ihm bei. »Wir können nicht zulassen, dass der Premierminister frech wird. Wir müssen ihm ordentlich eine verpassen, Edwin. Ein Exempel an ihm statuieren.«
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