Geschichtentauscher grinste den Schmied an. »Es gibt keine Bezahlung«, sagte Geschichtentauscher. »Die wird sich der Junge selbst verdienen. Und er bekommt auch seine Schulausbildung.«
»Ein Schmied braucht keine Buchstaben, wie ich weiß.«
»Es wird nicht lange dauern, dann wird Hio Teil der Vereinigten Staaten werden«, sagte Geschichtentauscher. »Dann wird der Junge wählen müssen, schätze ich, und die Zeitungen lesen. Ein Mann, der nicht lesen kann, weiß immer nur, was andere Leute ihm erzählen.«
Makepeace Smith sah Geschichtentauscher mit einem beinahe verstohlenen Grinsen an. »Ach ja? Und seid nicht Ihr es, der mir das erzählt? Weiß ich das nicht also nur deshalb, weil andere Leute, nämlich Ihr, es mir erzählen?«
Geschichtentauscher lachte und nickte. Damit hatte der Schmied ins Schwarze getroffen. »Ich ziehe durch die Welt und erzähle Geschichten«, sagte Geschichtentauscher, »daher weiß ich, daß man mit dem Klang einer Stimme viel erreicht. Alvin liest schon sehr viel für sein Alter, da wird es ihm nicht schaden, ein bißchen die Schule zu schwänzen. Aber seine Ma besteht darauf, daß er lesen und schreiben und rechnen kann wie ein Gelehrter. Also müßt Ihr mir versprechen, daß Ihr Euch nicht gegen ihn und seine Ausbildung stellt, wenn er sie haben will, und dabei wollen wir es belassen.«
»Darauf habt Ihr mein Wort«, sagte Makepeace Smith. »Und das braucht Ihr auch nicht aufzuschreiben. Ein Mann, der sein Wort hält, braucht nicht zu lesen und zu schreiben. Aber ein Mann, der seine Versprechen erst aufschreiben muß, den muß man den ganzen Morgen im Auge behalten. Das ist eine Tatsache, wie ich weiß. Wir haben dieser Tage auch Rechtsanwälte in Hatrack.«
»Die Geißel der zivilisierten Menschheit«, meinte Geschichtentauscher. »Wenn jemand die Leute nicht mehr dazu bekommt, seine Lügen zu glauben, dann heuert er jemanden an, der für ihn berufsmäßig lügt.«
Darüber lachten sie beide, während hinter ihnen das Feuer in seinem Ziegelkamin brannte und draußen die Sonne auf halbgeschmolzenen Schnee herunter schien. Ein Kardinalvogel flog über den grasbewachsenen, mit Dung übersäten Boden vor der Schmiede. Für einen Moment blendete er Geschichtentauschers Augen, so erstaunlich wirkte sein Anblick vor den Weiß- und Brauntönen des Spätwinters.
In diesem Augenblick des Erstaunens über den Flug des Vogels wußte Geschichtentauscher plötzlich, daß es noch eine ganze Weile dauern würde, bevor der Entmacher den jungen Alvin hierherkommen ließ. Und wenn er kam, dann würde er wie ein Kardinalvogel außerhalb der Jahreszeit wirken, der die Leute hier überall verblüffte, die glauben würden, daß er ebenso natürlich sei wie ein fliegender Vogel, ohne zu wissen, welch ein Wunder jede einzelne Minute doch war, die der Vogel in der Luft blieb.
Geschichtentauscher schüttelte sich, und die Vision des Augenblicks verschwand wieder. »Dann ist es also abgemacht, und ich werde ihnen schreiben, daß sie den Jungen schicken sollen.«
»Ich erwarte ihn am ersten April. Nicht später!«
»Wenn Ihr von dem Jungen nicht verlangen wollt, daß er das Wetter beherrscht, solltet Ihr doch etwas beweglicher sein, was das Datum angeht.«
Der Schmied knurrte und winkte zum Abschied. Alles in allem eine erfolgreiche Begegnung. Geschichtentauscher ging mit einem guten Gefühl davon — er hatte seine Pflicht erfüllt. Es würde leicht sein, einem nach Westen ziehenden Siedler einen Brief mitzugeben — jede Woche zogen mehrere Wagen durch die Stadt Hatrack.
Obwohl es schon eine sehr lange Weile her war, seit er das letzte Mal hier durchgekommen war, kannte er noch den Weg von der Schmiede zum Gasthof. Es war eine vielbereiste Straße. Der Gasthof war sehr viel größer als früher, und ein Stück wegaufwärts gab es mehrere Geschäfte. Ein Ausrüster, ein Sattler, ein Schuster. Eben jene Art von Diensten, für die Reisende Verwendung hatten.
Kaum hatte er den Fuß auf die Veranda gesetzt, als sich die Tür öffnete und die alte Peg Guester herauskam, die Arme weit ausgebreitet, um ihn zu umarmen. »Ach, Geschichtentauscher, Ihr seid so lange fortgewesen, kommt herein, kommt nur herein!«
»Es ist schön, Euch wiederzusehen, Peg«, sagte er.
Horace Guester knurrte ihn hinter der Theke der Gastwirtschaft an, wo er gerade einige durstige Gäste bediente. »Was ich hier drin nicht gebrauchen kann, das ist noch so einen Abstinenzler, der bloß Tee trinkt!«
»Dann habe ich gute Nachricht für Euch, Horace«, erwiderte Geschichtentauscher fröhlich. »Den Tee habe ich nämlich inzwischen auch aufgegeben.«
»Was trinkt Ihr denn dann, etwa Wasser?«
»Wasser und das Blut fettiger alter Männer«, erwiderte Geschichtentauscher.
Horace gestikulierte seiner Frau. »Halt mir bloß diesen Mann vom Leib, Old Peg, hast du gehört?«
Old Peg half ihm dabei, seine Kleider abzulegen.
»Schaut Euch doch bloß an«, sagte Old Peg und blickte ihn abschätzend an. »An Euch ist doch nicht einmal mehr genügend Fleisch, um daraus einen Eintopf zu kochen.«
»Die Bären und Panther lassen mich in der Nacht in Ruhe, sie suchen sich lieber üppigere Beute«, behauptete Geschichtentauscher.
»Kommt herein und erzählt mir Geschichten, während ich das Abendessen für die Gäste koche.«
Es gab viel Gerede und Geplapper, vor allem als Altpapi hereinkam, um zu helfen. Er wurde allmählich gebrechlich, doch kümmerte er sich immer noch um die Küche, was allen Gästen zum Vorteil gereichte, die hier aßen; Old Peg meinte es zwar gut und arbeitete auch schwer, aber manche Menschen hatten eben das Talent und andere nicht. Doch es war nicht das Essen, weswegen Geschichtentauscher gekommen war. Nach einer Weile begriff er, daß er das Thema selbst ansprechen mußte. »Wo ist Eure Tochter?«
Zu seiner Überraschung versteifte sich Old Peg etwas und ihre Stimme wurde kalt und hart. »Sie ist nicht mehr so klein. Sie hat ihren eigenen Willen, und das würde sie Euch auch auf den Kopf zusagen.«
Und dir gefällt es nicht sehr, dachte Geschichtentauscher. Doch sein Geschäft mit der Tochter war wichtiger als aller Familienstreit. »Ist sie immer noch eine…«
»Eine Fackel? O ja, sie tut ihre Pflicht, aber es ist kein Vergnügen für die Leute, zu ihr zu kommen. Schnippisch und kalt ist sie. Sie hat den Ruf erworben, eine scharfe Zunge zu haben.«
Einen Augenblick lang hellte sich Old Pegs Miene auf. »Sie war einmal so ein weichherziges Kind.«
»Ich habe noch nie gesehen, daß ein weiches Herz hart geworden wäre«, sagte Geschichtentauscher. »Jedenfalls nicht ohne guten Grund.«
»Nun, was immer ihr Grund sein mag, ihr Herz hat sich jedenfalls verhärtet wie ein Wassereimer in der Winternacht.«
Geschichtentauscher zügelte seine Zunge und sprach nicht davon, daß Eis immer wieder zusammenfror, wenn man es aufschlug, daß man es aber nur nach innen zu bringen brauchte, damit es sich aufwärmte und auftaute, daß es eine wahre Freude war. Es hatte keinen Sinn, sich in einen Familienstreit einzumischen. Geschichtentauscher wußte genug über die Art und Weise, wie die Menschen lebten, um diesen besonderen Streit als Naturereignis hinzunehmen wie kalte Winde und kurze Tage im Herbst. Die meisten Eltern hatten nicht viel Verständnis für halberwachsene Kinder.
»Ich muß etwas mit ihr besprechen«, erklärte Geschichtentauscher. »Ich werde es schon riskieren, daß sie mir den Kopf abreißt.«
Er fand sie in Dr. Whitleys Arztzimmer, wo sie gerade seine Bücher führte. »Ich wußte gar nicht, daß du eine Buchhalterin bist«, sagte er.
»Und ich wußte nicht, daß Ihr viel für die Heilkunst übrig habt«, erwiderte sie. »Oder seid Ihr nur gekommen, um das Wundermädchen zu begutachten, das Rechnen und Schreiben kann?«
O ja, sie war so scharfzüngig, wie sie nur sein konnte. Geschichtentauscher konnte begreifen, wie ein solcher Witz einige Leute befremden mochte, die erwarteten, daß eine junge Frau die Augen senkte und leise sprach, um nur ab und an unter tief gesenkten Augenlidern emporzublicken. Peggy hatte nichts von dieser jungen Damenhaftigkeit an sich. Sie sah Geschichtentauscher offen ins Gesicht.
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