Zu Throwers Erstaunen lächelte der Junge jetzt, und sein Brustkorb schüttelte sich in stummem Lachen. »Und Ihr nennt uns abergläubisch«, sagte er.
Thrower hätte nie geglaubt, wie fest der Teufel eine Kinderseele im Griff haben konnte, hätte er nicht diesen Jungen bei der Beschreibung des Ungeheuers Luzifer vor Freude lachen sehen. Diesem Lachen mußte ein Ende gesetzt werden! Es war ein Vergehen gegen Gott!
Thrower schlug mit seiner Bibel gegen die Brust des Jungen, worauf Alvin erschrocken ausatmete. Dann, mit der Hand auf das Buch drückend, spürte Thrower, wie Worte der Eingebung ihn erfüllten, und er rief mit mehr Leidenschaft, als er jemals zuvor in seinem Leben verspürt hatte: »Satan, im Namen des Herrn, ich wehre dich ab! Ich befehle dir, von diesem Jungen abzulassen, von diesem Raum, von diesem Haus auf alle Zeiten! Strebe nie wieder danach, an diesem Ort eine Seele zu besitzen, sonst wird die Macht Gottes die Vernichtung bis an die äußersten Grenzen der Hölle tragen!«
Dann folgte Schweigen. Nur das angestrengte Atmen des Jungen war zu hören. Soviel Friede herrschte im Raum, soviel erschöpfte Rechtschaffenheit in Throwers eigenem Herzen, daß er überzeugt war, der Teufel hatte sein Gebet tatsächlich beachtet und war prompt verschwunden.
»Reverend Thrower«, sagte der Junge.
»Ja, mein Sohn?«
»Könntet Ihr jetzt bitte die Bibel von meiner Brust nehmen? Ich schätze, wenn da irgendwelche Teufel waren, dann sind sie jetzt weg.«
Dann begann der Junge wieder zu lachen, so daß die Bibel unter Throwers Hand auf und ab hüpfte.
In diesem Augenblick verwandelte sich Throwers Jubel in bittere Enttäuschung. In der Tat, schon die bloße Tatsache, daß der Junge so teuflisch lachen konnte, da doch die Bibel noch immer auf seinem Körper lag, war Beweis genug, daß keine Macht der Erde ihm das Böse austreiben konnte. Der Besucher hatte recht gehabt. Thrower hätte niemals das mächtige Werk verweigern dürfen, das zu tun der Besucher ihm aufgetragen hatte. Es hatte in seiner Macht gestanden, das Tier der Apokalypse zu töten, und er war zu schwach gewesen, um den göttlichen Ruf anzunehmen. Ich hätte ein Samuel sein können, der den Feind Gottes in Stücke haut. Statt dessen aber bin ich ein Saul, ein Schwächling, der nicht töten kann, was zu sterben der Herr befohlen hat. Nun werde ich mitansehen müssen, wie dieser Junge sich mit der Macht Satans in ihm erhebt, und ich werde wissen, daß er nur gedeiht, weil ich schwach war.
Der Raum war plötzlich unerträglich heiß. Er glaubte förmlich zu ersticken. Erst jetzt merkte er, wie schweißgetränkt seine Kleider waren. Das Atmen fiel ihm schwer. Doch was hatte er erwarten können? Es war der heiße Atem der Hölle, der in diesem Raum wehte. Keuchend nahm er die Bibel, hielt sie zwischen sich und das satanische Kind, das unter seiner Decke lag und fieberhaft kicherte, und floh.
Im großen Raum blieb er stehen rang nach Atem. Er hatte ein Gespräch unterbrochen, doch achtete er kaum darauf. Was zählten die Gespräche dieser unwissenden Menschen schon, verglichen mit dem, was er soeben erfahren hatte? Ich habe in der Gegenwart des Dieners Satans dagestanden, der sich als kleiner Junge maskiert; doch sein Hohn hat ihn mir offenbart. Ich hätte schon vor Jahren wissen müssen, was dieser Junge ist, als ich seinen Kopf befühlte und feststellte, wie vollkommen ausgewogen er war. Nur eine Fälschung konnte so vollkommen sein. Das Kind war niemals wirklich. Ach, wenn ich doch nur die Kraft der großen alten Propheten besäße, auf daß ich den Feind schlagen und meinem Herrn die Trophäe zurückbringen könnte!
Irgend jemand zupfte an seinem Ärmel. »Seid Ihr gesund, Reverend?«
Es war Goody Faith, doch Reverend Thrower dachte nicht daran, ihr zu antworten. Er drehte sich herum und blickte auf die Feuerstelle. Dort auf dem Sims sah er ein geschnitztes Bild; in seinem verwirrten Zustand konnte er es nicht sofort erkennen. Es schien das Gesicht einer gequälten Seele zu sein, umgeben von zuckenden Fangarmen. Flammen, dachte er, und da ist eine Seele, die in Pech und Schwefel ertrinkt, im Höllenfeuer verbrennt. Das Bild war ihm eine Qual, und erfüllte ihn gleichzeitig mit Befriedigung, denn seine Gegenwart in diesem Haus zeigte, wie eng diese Familie mit der Hölle verbunden war. Er stand inmitten seiner Feinde. Ein Satz des Psalmisten kam ihm in den Sinn: Stiere von Bashan zieht mich an, und ich kann all meine Knochen zählen. Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?
»Hier«, sagte Goody Faith. »Nehmt Platz.«
»Ist der Junge in Ordnung?» wollte Miller wissen.
»Der Junge?» fragte Thrower. Er konnte kaum sprechen. Der Junge ist ein Ungeheuer aus Sheol, und du fragst, wie es ihm geht? »Den Umständen entsprechend«, sagte Thrower.
Da wandten sie sich ab und kehrten zu ihrem Gespräch zurück. Nach und nach verstand er, worüber sie sprachen. Es schien, als wollte Alvin, daß jemand ihm den erkrankten Teil seines Knochens wegsägte. Measure hatte sogar eine feinzahnige Knochensäge aus dem Schuppen mitgebracht. Der Streit fand zwischen Faith und Measure statt, weil Faith nicht wollte, daß irgend jemand ihren Sohn aufschnitt, und zwischen Miller und den beiden anderen, weil Miller sich weigerte, es zu tun, während Faith nur bereit war einzuwilligen, wenn Alvins Vater das Schneiden selbst übernahm.
»Wenn du glaubst, daß es getan werden sollte«, sagte Faith, »dann verstehe ich nicht, wie du wollen kannst, daß irgend jemand außer dir selbst es tut.«
»Ich nicht«, sagte Miller.
»Er hat nach dir gefragt, Pa. Er hat gesagt, er wird die Schnitte vorher auf dem Bein markieren. Du brauchst nur ein Stück Haut aufschneiden und zurücklegen, darunter liegt dann der Knochen, und schneidest du die schlimme Stelle heraus.«
»Normalerweise falle ich eigentlich nicht in Ohnmacht«, sagte Faith, »aber mir wird gerade schwindlig.«
»Wenn Al Junior sagt, es soll getan werden, dann tut es!» sagte Miller. »Aber nicht ich!«
Und da schaute Reverend Thrower, wie einen Lichtstrahl in einem dunklen Zimmer, seine Erlösung. Der Herr bot ihm genau die Gelegenheit, die der Besucher ihm prophezeit hatte. Die Gelegenheit, ein Messer in der Hand zu halten, damit in das Bein des Jungen hineinzuschneiden und aus Versehen die Arterie zu durchtrennen und das Blut so lange zu vergießen, bis das Leben aus ihm gewichen war. Wovor er in der Kirche zurückgeschreckt war, weil er Alvin für einen einfachen Jungen gehalten hatte, das würde er nun freudig tun, jetzt, da er den Teufel in einer Kindergestalt geschaut hatte.
»Ich bin bereit«, sagte Thrower.
Sie sah ihn an.
»Ich bin zwar kein Arzt«, sagte er, »aber ich verstehe etwas von Anatomie. Ich bin schließlich Wissenschaftler.«
»Kopfhöcker«, sagte Miller.
»Habt Ihr schon jemals Rinder oder Schweine geschlachtet?» fragte Measure.
»Measure«, rief seine Mutter entsetzt. »Dein Bruder ist doch kein Tier!«
»Ich wollte nur wissen, ob er sich gleich übergibt, sobald er Blut sieht.«
»Ich habe schon Blut gesehen«, sagte Thrower. »Und ich habe auch keine Furcht, wenn das Schneiden der Erlösung dient.«
»Oh, Reverend Thrower, das können wir doch nicht von Euch verlangen«, sagte Goody Faith.
»Nun erkenne ich, daß es vielleicht doch die Eingebung war, die mich heute hierher geführt hat, nachdem ich diesem Hause so lange ferngeblieben bin.«
»Was Euch hierher geführt hat, war mein törichter Schwiegersohn«, brummte Miller.
»Nun«, sagte Thrower, »es war ja nur ein Gedanke. Ich kann verstehen, daß Ihr nicht wollt, daß ich es tue, und kann es Euch gewiß nicht verübeln. Auch wenn es bedeutet, das Leben Eures Sohnes zu retten, so ist es doch immer eine gefährliche Sache, einem Fremden zu gestatten, in den Körper Eures Kindes hineinzuschneiden.«
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