Nervös folgte das Einhorn der Frau in den Stall, blieb aber immer auf Distanz. Es ging zur hintersten Box und legte sich dort aufs Stroh, während das Mädchen von seinem Rücken kletterte, tropfnaß und erschöpft.
Billy war ein weißbärtiger, wortkarger Geselle. Er trug das Mädchen ins Gasthaus und setzte es vor dem prasselnden Holzfeuer auf einen dreibeinigen Hocker.
»Du armes Hascherl«, sagte die Gastwirtsfrau, die ihnen nach drinnen gefolgt war. »Du bist naß wie ein Wassernixchen, sieh nur, du sitzt schon in einer Pfütze, und dein schönes Kleid, wie das zugerichtet ist, du mußt ja bis auf die Haut durchnäßt sein…« Nachdem sie ihren Mann weggeschickt hatte, half sie dem Sternmädchen, das tropfnasse Kleid auszuziehen. Sie hängte es an einen Haken neben dem Feuer, und jeder Tropfen, der herabfiel, zischte auf den heißen Backsteinen des Kamins.
Vor dem Feuer stand eine Zinnwanne, um welche die Gastwirtsfrau jetzt einen papiernen Wandschirm stellte. »Wie badest du gern?« erkundigte sie sich eifrig, »warm, heiß oder zum Krebse kochen?«
»Ich weiß nicht«, antwortete die Sternfrau, nackt bis auf den Topas, der an seiner Silberkette um ihre Taille hing, ganz wirr im Kopf von der seltsamen Wendung der Dinge. »Ich habe nämlich noch nie gebadet.«
»Du hast noch nie gebadet?« Die Gastwirtsfrau musterte sie erstaunt. »So was, du armes Hascherl. Na, dann machen wir’s nicht zu heiß. Ruf mich, wenn du noch mehr Wasser brauchst, ich hab’ noch welches auf dem Küchenherd. Wenn du fertig bist, bring’ ich dir ein Gläschen Glühwein und süß gebratene Rüben.«
Ehe das Sternmädchen einwenden konnte, daß es weder aß noch trank, war die Frau schon hinausgeeilt. Nun saß die Sternschnuppe allein in dem Zinnzuber, das gebrochene Bein mit seiner Schiene auf dem dreibeinigen Hocker ruhend. Anfangs war das Wasser tatsächlich zu heiß, aber als sie sich an die Hitze gewöhnt hatte, entspannte sie sich und fühlte sich zum ersten Mal, seit sie vom Himmel gefallen war, durch und durch glücklich.
»So ist’s recht«, rief die Frau des Gastwirts, als sie zurückkam. »Wie geht’s uns denn jetzt?«
»Viel, viel besser, danke«, antwortete das Sternmädchen.
»Und dein Herz? Was macht das?« fragte die Frau.
»Mein Herz?« Eine seltsame Frage, aber die Frau schien ehrlich an einer Antwort interessiert. »Es fühlt sich viel glücklicher. Erleichtert. Weniger ängstlich.«
»Gut. Sehr gut. Laß es uns dazu bringen, daß es in dir glüht, ja? Schön warm und hell.«
»Ich bin sicher, daß mein Herz unter Eurer Fürsorge vor lauter Glück rasch warm wird«, sagte die Sternschnuppe.
Die Frau beugte sich zu ihr herab und faßte sie unters Kinn. »Das ist aber lieb, so ein braver Schatz, und was er alles Schönes sagt.« Die Frau lächelte wohlwollend und fuhr sich mit der Hand durch das graugesträhnte Haar. Dann hängte sie einen dicken Frotteebademantel über den Wandschirm. »Der ist für dich, wenn du fertig bist – oh nein, kein Grund zur Eile, Süße – , damit du nicht frierst, denn dein hübsches Kleidchen ist noch ganz naß. Ruf einfach, wenn du aus der Wanne steigen möchtest, dann helfe ich dir.« Erneut beugte sie sich herab, berührte das Sternmädchen mit ihrem kalten Finger zwischen den Brüsten und lächelte. »Ein gutes starkes Herz«, sagte sie.
Es gibt also doch freundliche Menschen auf dieser Welt, dachte die Sternfrau zufrieden. Draußen prasselte weiterhin der Regen, der Wind pfiff durch den Bergpaß, aber im Gasthaus war es warm und gemütlich.
Schließlich kehrte die Frau des Gastwirts mit ihrer etwas dümmlich wirkenden Tochter zurück, und die beiden halfen der Sternfrau aus der Wanne. Der Feuerschein schimmerte in dem silbergefaßten Topas an ihrer Taille, bis sowohl der Stein als auch der Körper unter dem dicken Bademantel verschwanden.
»Nun, meine Süße«, sagte die Gastwirtin, »komm hier herüber und mach es dir bequem.« Damit führte sie das Sternmädchen zu einem langen Holztisch, auf dessen Kopfende sich ein Hackmesser und ein Schneidemesser befanden, beide mit Knochengriffen und Klingen aus dunklem Glas. Auf die Frau gestützt, humpelte der Stern zum Tisch und nahm auf der Bank daneben Platz.
Draußen kam ein heftiger Wind auf, und das Feuer im Kamin brannte grün und blau und weiß. Auf einmal erscholl vor dem Gasthaus eine Stimme, die tief und dröhnend das Toben der Elemente übertönte. »Bedienung! Essen! Wein! Feuer! Wo ist der Stallbursche?«
Der Gastwirt Billy und seine Tochter rührten sich nicht vom Fleck, sondern glotzten nur die Frau an, als warteten sie auf Anweisungen. Die Gastwirtin spitzte die Lippen. Dann sagte sie: »Wir haben Zeit. Jedenfalls ein wenig. Schließlich kannst du ja nicht davonlaufen, was, meine Süße?« wandte sie sich an das Sternmädchen und fügte hinzu: »Nicht mit deinem gebrochenen Bein und ganz bestimmt nicht, bevor der Regen aufhört.«
»Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich über Eure Gastfreundschaft freue«, beteuerte der Stern schlicht und mit Überzeugung.
»Selbstverständlich«, entgegnete die Gastwirtin und berührte nervös und ungeduldig die beiden Messer, als hätte sie etwas Dringendes vor. »Wir haben reichlich Zeit, wenn die Nervensägen wieder weg sind, ja?«
* * *
Das Licht des Gasthauses war das Fröhlichste und Beste, was Tristran auf seiner Reise durchs Feenland bisher gesehen hatte. Während Primus noch Anweisungen gab, schirrte Tristran die erschöpften Pferde ab und führte eins nach dem anderen zum Stall neben dem Gasthaus. In der hintersten Box schlief ein großes weißes Pferd, aber Tristran war zu beschäftigt, um es genauer in Augenschein zu nehmen.
Irgendwo in seinem Innern, an der Stelle, wo er unbekannte Routen und Entfernungen abrufen konnte, wußte er, daß der Stern ganz in der Nähe war, und das tröstete ihn, machte ihn aber auch ein wenig unruhig. Da die Pferde erholungsbedürftiger und hungriger waren als er selbst, mußte sein Abendessen – und vermutlich das Wiedersehen mit der Sternfrau – warten. »Ich reibe die Pferde trocken«, informierte er Primus. »Sonst holen sie sich womöglich eine Erkältung.«
Der große Mann legte seine mächtige Pranke auf Tristrans Schulter. »Guter Junge. Ich schicke dir den Küchenjungen mit einem Becher warmen Wein.«
Während Tristran die Pferde abrieb und ihre Hufe auskratzte, dachte er an den Stern. Was würde er zu dem Mädchen sagen? Was würde sie zu ihm sagen? Als er beim letzten Pferd angekommen war, erschien ein Dienstmädchen mit ausdruckslosem Gesicht und brachte ihm einen Humpen dampfenden Wein.
»Stell ihn da drüben hin«, sagte er zu ihr. »Ich trinke ihn gern, sobald ich die Hände frei habe.« Das Mädchen stellte den Becher auf eine Werkzeugkiste und ging ohne ein weiteres Wort hinaus.
In diesem Augenblick erhob sich das Pferd in der letzten Box und begann gegen die Tür derselben zu treten.
»Nun, nun, beruhige dich«, rief Tristran, »ganz ruhig, ich sehe gleich mal, ob ich nicht irgendwo warmen Hafer und Kleie für euch alle auftreiben kann.«
Im Vorderhuf des Hengstes steckte ein Stein fest, den Tristran behutsam entfernte. Er wußte nun, was er sagen würde: Madam, ich bitte Euch inständig und untertänigst um Verzeihung Sir, würde die Sternfrau antworten, ich verzeihe Euch von Herzen. Nun laßt uns zu Eurem Dorf wandern, damit Ihr mich Eurer Liebsten vorstellen könnt, als Beweis Eurer Zuneigung …
Seine Grübeleien wurden jäh von einem höllischen Krachen unterbrochen, als das riesige weiße Pferd – das, wie er nun sah, gar kein Pferd war – die Tür zu seiner Box zertrümmerte und verzweifelt auf ihn zustürmte, das Horn tief gesenkt.
Tristran warf sich aufs Stroh, die Arme schützend über dem Kopf.
Sekunden verstrichen. Vorsichtig blickte er hoch. Das Einhorn stand vor dem Humpen Wein und war dabei, sein Horn hineinzustecken.
Читать дальше