»Ich muß an meine Mutter schreiben«, sagte Elayne. Als sie die Blicke wahrnahm, die sie trafen, verteidigte sie sich: »Ich bin schon einmal verschwunden, ohne ihr zu sagen, wo ich war. Wenn ich das noch einmal mache... Ihr kennt Mutters Temperament nicht. Es könnte sein, daß sie dann Gareth Bryne mit dem ganzen Heer gegen Tar Valon aussendet. Oder daß sie uns suchen läßt.«
»Du kannst ja hierbleiben«, sagte Egwene.
»Nein. Ich werde euch doch nicht alleine losziehen lassen. Und ich bleibe nicht hier und frage mich die ganze Zeit, ob die Schwester, die mich gerade unterrichtet, nun eine Schwarze ist oder nicht, und ob der nächste Graue Mann zur Abwechslung mich aufs Korn nimmt.« Sie lachte ein wenig verlegen. »Außerdem will ich nicht in der Küche arbeiten, während ihr beiden auf Abenteuer aus seid. Ich muß nur meiner Mutter mitteilen, daß ich mich im Auftrag der Amyrlin außerhalb der Burg befinde, damit sie nicht durchdreht, wenn sie es erst aus Gerüchten erfährt. Ich muß ihr aber nicht mitteilen, wo wir uns befinden und warum.«
»Das solltest du wirklich nicht«, sagte Nynaeve. »Sie würde uns wahrscheinlich hinterherkommen, wenn sie von den Schwarzen Ajah wüßte. Aber natürlich kannst du nicht wissen, durch welche Hände dein Brief gehen wird, bevor er sie erreicht, oder was fremde Augen darin entdecken werden. Am besten schreibst du nichts, von dem du andere nichts wissen lassen willst.«
»Da ist aber noch etwas anderes«, seufzte Elayne. »Die Amyrlin weiß nichts davon, daß ihr mich eingeweiht habt. Ich muß eine Möglichkeit finden, den Brief abzuschicken, ohne daß sie davon erfährt.«
»Da muß ich mir etwas einfallen lassen.« Nynaeve runzelte die Stirn. »Vielleicht schickst du ihn erst ab, wenn wir unterwegs sind. Du könntest ihn auf dem Weg flußabwärts in Aringill abschicken, falls wir genug Zeit haben, dort jemanden aufzuspüren, der nach Caemlyn geht. Wenn wir diese Papiere vorzeigen, die uns die Amyrlin gegeben hat, können wir vielleicht jemanden für diese Aufgabe gewinnen. Wir müssen hoffen, daß die Papiere auch bei den Kapitänen von Flußschiffen wirken, außer, eine von euch hat erheblich mehr Geld als ich.« Elayne schüttelte bedauernd den Kopf.
Egwene dachte noch nicht einmal darüber nach. Alles Geld, das sie besessen hatten, hatte die Reise von der Toman-Halbinsel hierher verschlungen, bis auf ein paar Kupfermünzen vielleicht. »Wann... « Sie unterbrach und räusperte sich. »Wann brechen wir auf? Heute abend?«
Nynaeve sah sie einen Moment lang nachdenklich an, schüttelte dann aber den Kopf. »Du brauchst Schlaf nach... « Ihre Geste umfaßte alles, sogar den Steinring, der noch an dem Fleck lag, auf den er von der Wand her zurückgeprallt war. »Wir geben der Amyrlin noch eine Chance, mit uns zu sprechen. Wenn wir nach dem Frühstück fertig sind, packt ihr alles ein, was ihr mitnehmen wollt. Macht eure Bündel aber leicht. Denkt daran: Wir müssen die Burg ungesehen verlassen. Wenn die Amyrlin uns bis Mittag nicht erreicht hat, will ich bereits auf einem Handelsschiff sein. Notfalls stopfe ich dem Kapitän diese Papiere in den Rachen, bevor die EinUhr-Glocke läutet. Wie findet ihr das?«
»Das klingt ausgezeichnet«, sagte Elayne entschlossen, und Egwene stellte fest: »Heute abend oder morgen — je eher, desto besser, wie ich die Dinge sehe.« Sie wünschte, sie klänge genauso selbstsicher wie Elayne.
»Dann sollten wir jetzt noch etwas schlafen.«
»Nynaeve«, sagte Egwene mit ganz kläglicher Stimme, »ich... ich möchte heute nacht nicht allein sein.« Es tat ihr weh, das zugeben zu müssen.
»Ich auch nicht«, sagte Elayne. »Ich muß immer an die Seelenlosen denken. Ich weiß nicht, warum, aber vor ihnen fürchte ich mich noch mehr als vor den Schwarzen Ajah.«
»Ich glaube«, sagte Nynaeve bedächtig, »ich lege auch keinen Wert darauf, allein zu sein.« Sie beäugte das Bett, auf dem Egwene lag. »Das sieht groß genug aus für drei, wenn jede die Ellbogen einzieht.«
Später, als sie sich herumwälzten und versuchten, trotz der Enge eine gute Lage zum Schlafen zu finden, mußte Nynaeve plötzlich lachen.
»Was ist los?« fragte Egwene. »Du bist doch sonst nicht kitzlig.«
»Ich habe gerade jemanden gefunden, der glücklich wäre, Elaynes Brief überbringen zu dürfen. Und auch glücklich, Tar Valon verlassen zu können. Darauf wette ich!«
Mat hatte nur seine Hose an und beendete gerade einen kleinen Nachfrühstücks-Imbiß — etwas Schinken, drei Äpfel, Brot und Butter —, als sich die Tür zu seinem Zimmer öffnete und Nynaeve, Egwene und Elayne eintraten. Sie lächelten ihn strahlend an. Er stand auf, um sich ein Hemd zu holen, setzte sich dann aber doch wieder hin. Sie hätten ja wenigstens anklopfen können. Aber es tat gut, ihre Gesichter zu sehen. Jedenfalls im ersten Augenblick.
»Also, du siehst wirklich besser aus«, sagte Egwene.
»Als hättest du dich einen Monat lang ausgeruht und gut gegessen«, sagte Elayne.
Nynaeve legte ihm eine Hand auf die Stirn. Er zuckte zusammen, bevor er sich sagte, daß sie das gleiche mindestens fünf Jahre lang zu Hause getan hatte. Damals war sie eben nur unsere Seherin, dachte er. Da hat sie diesen Ring nicht getragen.
Sie hatte sein Zucken bemerkt. Nun lächelte sie ihn bedauernd an. »So wie ich das sehe, bist du wieder fit und könntest weg. Hast du die Nase voll von diesem Eingesperrtsein? Du hast es sonst nie auch nur zwei Tage hintereinander zu Hause ausgehalten.«
Er betrachtete zögernd den letzten Apfelbutzen und ließ ihn dann auf den Teller fallen. Beinahe hätte er sich noch den Saft von den Fingern geleckt, aber alle drei blickten ihn an. Und lächelten nach wie vor. Ihm wurde bewußt, daß er sich bemühte, zu entscheiden, welche von ihnen die hübscheste sei, aber das brachte er nicht fertig. Wären sie jemand anders gewesen, als eben sie selbst, dann hätte er wohl alle drei um einen Tanz gebeten. Mit Egwene hatte er ja oft genug getanzt, damals in Emondsfeld, und sogar auch einmal mit Nynaeve, aber das schien alles so schrecklich lange her.
»›Eine hübsche Frau bedeutet Spaß beim Tanzen. Zwei hübsche Frauen bringen Probleme ins Haus. Drei hübsche Frauen, und man sollte besser wegrennen.‹« Er lächelte Nynaeve noch bedauernder an als sie ihn. »Das hat mein Pa immer gesagt. Du hast etwas vor, Nynaeve. Ihr lächelt alle wie Katzen, die beobachten, wie sich ein Fink im Dornbusch verfangen hat, und ich glaube, diesmal bin ich der Fink.«
Das Lächeln verflog von ihren Gesichtern. Er bemerkte ihre Hände und fragte sich, warum die wirkten, als hätten alle drei immer nur Geschirr abgewaschen. Die TochterErbin von Andor nahm sicher kein Spültuch in die Hand, und er konnte sich das auch bei Nynaeve nur schwer vorstellen, obwohl sie sich ja zu Hause in Emondsfeld selbst versorgt hatte. Alle drei trugen jetzt Ringe mit der Großen Schlange. Das war neu. Und es war keine besonders angenehme Überraschung. Licht, das mußte ja mal kommen. Es geht mich nichts an, basta. Geht mich nichts an. Nein!
Egwene schüttelte den Kopf, aber wie es schien, ebenso als Zeichen für die beiden anderen wie für ihn. »Ich habe euch gesagt, wir sollten ihn einfach geradeheraus fragen. Wenn er will, ist er stur wie ein Maulesel und hinterhältig wie eine Katze. Das stimmt, Mat. Das weißt du selbst, also laß das Stirnrunzeln.«
Er setzte schnell sein Grinsen wieder auf.
»Pscht, Egwene«, sagte Nynaeve. »Mat, nur weil wir dich um einen Gefallen bitten wollen, heißt das ja noch nicht, daß wir nicht an deinem Wohlergehen interessiert wären. Wir fühlen mit dir und das weißt du, wenn du nicht gerade noch wollköpfiger bist als sonst. Geht es dir gut? Du siehst bemerkenswert gut aus, verglichen mit dem letzten Mal, als ich dich sah. Es wirkt wirklich eher, als hättest du einen ganzen Monat Erholungszeit gehabt, und nicht nur zwei Tage.«
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