»Ich bin froh, daß du dich entschlossen hast, auch zu kommen, Bauernjunge«, sagte Zarine sarkastisch. »Moiraine wollte nichts sagen, bis du da warst. Sie sieht uns nur an, als wolle sie entscheiden, wer von uns sterben wird. Ich... «
»Schweigt«, sagte Moiraine in scharfem Ton zu ihr. »Einer der Verlorenen befindet sich in Tear. Der Hochlord Samon ist in Wirklichkeit Be'lal.« Perrin schauderte.
Loial preßte die Augen zu und stöhnte. »Ich hätte im Stedding bleiben können. Ich wäre vielleicht sehr glücklich gewesen und hätte geheiratet, wen meine Mutter für mich aussuchte. Meine Mutter ist eine feine Frau, und sie würde mir keine schlechte Frau verschaffen.« Seine Ohren hatten sich anscheinend ganz in seinen zerzausten Haaren versteckt.
»Ihr könnt zum Stedding Schangtai zurückkehren«, sagte Moiraine. »Geht jetzt gleich, wenn Ihr das wünscht. Ich werde Euch nicht aufhalten.«
Loial öffnete ein Auge. »Ich kann gehen?«
»Wenn Ihr wünscht«, sagte sie.
»Oh.« Er öffnete das andere Auge und kratzte sich mit wurstgroßen, dicken Fingern die Wange. »Ich denke... ich denke... wenn ich die Wahl habe... daß ich lieber bei Euch allen bleibe. Ich habe sehr viele Aufzeichnungen gemacht, aber noch lange nicht genug, um mein Buch fertigzuschreiben, und ich möchte Perrin und Rand nicht verlassen und... «
Moiraine schnitt ihm mit kalter Stimme das Wort ab: »Gut, Loial. Ich bin froh, daß Ihr bleibt. Ich werde gern all Eure Kenntnisse gebrauchen. Aber bis alles erledigt ist, habe ich keine Zeit mehr, mir Eure Klagen anzuhören!«
»Ich schätze«, sagte Zarine mit unsicherer Stimme, »daß es für mich keine Chance gibt, zu gehen?« Sie sah Moiraine an und schauderte. »Ich dachte es mir. Schmied, wenn ich das überlebe, wirst du dafür bezahlen.«
Perrin starrte sie an. Ich? Diese närrische Frau glaubt, daß es meine Schuld ist? Habe ich sie vielleicht gebeten, mitzukommen? Er öffnete den Mund, sah Moiraines Blick und schloß ihn schnell wieder. Einen Augenblick später sagte er: »Ist er hinter Rand her? Um ihn aufzuhalten oder zu töten?«
»Ich glaube nicht«, sagte sie ruhig. Ihre Stimme klang wie kalter Stahl. »Ich fürchte, er will, daß Rand das Herz des Steins betritt und Callandor nimmt. Dann will er es ihm abnehmen. Ich fürchte, er will den Wiedergeborenen Drachen mit der gleichen Waffe töten, die dafür bestimmt ist, ihn zu kennzeichnen.«
»Laufen wir wieder weg?« fragte Zarine. »Wie in Illian? Ich wollte niemals weglaufen, aber ich habe nicht daran gedacht, daß ich auf die Verlorenen stoßen würde, als ich den Jägereid ablegte.«
»Diesmal«, sagte Moiraine, »laufen wir nicht weg. Wir wagen es nicht, davonzulaufen. Welten und Zeiten ruhen auf Rands Schultern, auf dem Wiedergeborenen Drachen. Diesmal kämpfen wir.«
Perrin holte sich nervös einen Stuhl heran. »Moiraine, Ihr sprecht eine Menge Dinge offen aus, von denen Ihr uns sagtet, wir dürften noch nicht einmal daran denken. Ihr habt diesen Raum doch gegen Lauscher abgeschirmt, oder?« Als sie den Kopf schüttelte, packte er die Tischkante so hart an, daß das dunkle Eichenholz ächzte.
»Ich spreche nicht von einem Myrddraal, Perrin. Niemand weiß, wie stark die Verlorenen sind, außer, daß Ishamael und Lanfear die stärksten unter ihnen waren, doch selbst der schwächste unter ihnen könnte meine Abschirmung aus mehr als einer Meile Entfernung noch spüren. Und uns in Sekunden in Stücke reißen. Möglicherweise, ohne sich von dem Fleck zu rühren, an dem er steht.«
»Also, damit sagt Ihr doch, daß er Euch zu Knoten verarbeiten kann«, knurrte Perrin. »Licht! Was sollen wir denn tun? Wie können wir irgend etwas bewirken?«
»Selbst die Verlorenen können Baalsfeuer nicht widerstehen«, sagte sie. Er fragte sich, ob es das war, was sie gegen die Schattenhunde eingesetzt hatte. Was er da gesehen und was sie damals gesagt hatte, erfüllte ihn heute noch mit Unbehagen. »Ich habe im letzten Jahr eine Menge gelernt, Perrin. Ich bin... gefährlicher als damals, als ich nach Emondsfeld kam. Wenn ich Be'lal nahe genug kommen kann, kann ich ihn vernichten. Aber wenn er mich zuerst sieht, kann er uns alle vernichten, lange bevor ich eine Möglichkeit habe.« Sie wandte sich Loial zu. »Was könnt Ihr mir über Be'lal sagen?«
Perrin zwinkerte verwirrt. Loial? »Warum fragt Ihr ihn?« brach es zornig aus Zarine hervor. »Zuerst erzählt Ihr dem Schmied, Ihr wolltet uns gegen einen der Verlorenen kämpfen lassen, der uns alle töten kann, bevor wir auch nur einen Gedanken zu Ende denken, und nun fragt Ihr Loial über ihn aus?« Loial murmelte mit eindringlicher Hummelstimme den Namen, den sie für sich selbst gebrauchte — »Faile! Faile!« —, aber sie konnte sich nicht zurückhalten. »Ich glaubte, die Aes Sedai wüßten alles! Licht, ich bin wenigstens noch schlau genug, um nicht zu sagen, daß ich gegen jemanden kämpfen werde, bis ich alles überhaupt Mögliche über ihn weiß! Ihr... « Unter Moiraines Blick hörte sie mit mürrischer Miene zu sprechen auf.
»Ogier«, sagte Moiraine kühl, »haben ein gutes Gedächtnis, Mädchen. Für die Menschen sind mehr als hundert Generationen seit der Zerstörung der Welt vergangen, aber für die Ogier waren es weniger als dreißig. Wir erfahren aus ihren Geschichten ständig immer noch Dinge, die wir nicht wußten. Nun berichtet, Loial. Was wißt Ihr über Be'lal? Und bitte, faßt Euch diesmal kurz. Ich brauche keine langatmigen Geschichtchen.«
Loial räusperte sich. Es klang, als lasse man Feuerholz durch einen Schlauch rutschen. »Be'lal.« Seine Ohren zuckten aus dem Haar wie die Flügel einer Hummel empor und klappten dann wieder nach vorn. »Ich weiß nicht, was in den Geschichten noch vorhanden sein könnte, das Ihr noch nicht wißt. Er wird nicht oft erwähnt, außer bei der Zerstörung der Halle der Diener, kurz bevor Lews Therin Brudermörder ihn mit Hilfe der Hundert Gefährten zusammen mit dem Dunklen König einschloß. Jalanda, Sohn des Aried, Sohn des Coiam, schrieb, daß man ihn den Neidischen nannte, daß er dem Licht abschwor, weil er Lews Therin beneidete, und daß er auch Ishamael und Lanfear beneidete. In Eine Studie des Schattenkriegs nannte Moilin, Tochter der Hamada, Tochter der Juendan, Be'lal den Netzweber, aber ich weiß nicht, warum. Sie erwähnte, daß er mit Lews Therin ein Brettspiel spielte und gewann, und daß er sich dessen immer brüstete.« Er sah Moiraine an und grollte: »Ich bemühe mich ja, mich kurz zu fassen. Ich weiß nichts Wichtiges über ihn. Mehrere Autoren behaupten, Be'lal und Sammael seien Anführer im Kampf gegen den Dunklen König gewesen, bevor sie dem Licht abschworen, und beide waren Meister im Schwertkampf. Das ist wirklich alles, was ich weiß. Er wird vielleicht noch in anderen Büchern und Geschichten erwähnt, aber ich habe sie nicht gelesen. Be'lal wird einfach nicht oft erwähnt. Es tut mir leid, daß ich Euch nichts Nützliches erzählen konnte.«
»Aber vielleicht habt Ihr das ja«, sagte Moiraine zu ihm. »Ich habe diese Bezeichnung nicht gekannt: Netzweber. Oder daß er den Drachen genauso beneidete wie seine Kumpane im Schatten. Das stärkt meinen Glauben daran, daß er Callandor haben will. Das dürfte der Grund dafür sein, warum er sich zum Hochlord von Tear gemacht hat. Und Netzweber — das ist eine Bezeichnung für einen Intriganten, einen, der geduldig und schlau Intrigen spinnt. Das habt Ihr gut gemacht, Loial.« Einen Augenblick lang verzog sich der breite Mund des Ogiers zu einem geschmeichelten Lächeln, aber dann senkten sich die Mundwinkel wieder.
»Ich kann nicht behaupten, daß ich keine Angst hätte«, gab Zarine plötzlich zu. »Nur ein Narr würde sich nicht vor den Verlorenen fürchten. Aber ich habe geschworen, daß ich einer von Euch sein will, und das werde ich auch halten. Das ist alles, was ich sagen wollte.«
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