Perrin schüttelte den Kopf. Sie muß verrückt sein Ich wünschte, daß ich keiner von uns sei Ich wünschte, ich wäre zu Hause und würde in Meister Luhhans Schmiede arbeiten. Laut sagte er: »Wenn er sich im Stein befindet und dort auf Rand wartet, müssen wir hineingehen, um zu ihm zu kommen. Wie stellen wir das an? Jeder sagt ständig, niemand könne den Stein ohne Erlaubnis der Hochlords betreten, und wenn ich ihn so ansehe, kann ich auch keine andere Möglichkeit entdecken, als durch das Tor hineinzumarschieren.«
»Ihr geht nicht hinein«, sagte Lan. »Moiraine und ich werden die einzigen sein. Je mehr gehen, desto schwieriger wird es. Welchen Weg hinein ich auch immer finde, ich glaube nicht, daß er selbst für nur zwei leicht wird.«
»Gaidin«, begann Moiraine mit entschlossener Stimme, aber der Behüter unterbrach sie genauso entschlossen.
»Wir gehen zusammen, Moiraine. Ich werde diesmal nicht zurückbleiben.« Nach einem Augenblick des Überlegens nickte sie. Perrin glaubte zu bemerken, wie sich Lan entspannte. »Ihr anderen solltet besser etwas schlafen«, fuhr der Behüter fort. »Ich muß nach draußen und den Stein unter die Lupe nehmen.« Er schwieg einen Moment lang. »Da ist noch etwas, das ich über Eurer Neuigkeit beinahe vergessen hätte, Moiraine. Eine Kleinigkeit, und ich weiß nicht, was sie zu bedeuten hat. Es sind Aiel in Tear.«
»Aiel!« rief Loial. »Unmöglich! Die ganze Stadt wäre in Panik, wenn auch nur ein Aiel durchs Tor marschierte!«
»Ich behauptete nicht, daß sie auf der Straße einhermarschieren, Ogier. Auf den Dächern und hinter den Kaminen der Stadt kann man sich genauso gut verbergen wie in der Wüste. Ich habe nicht weniger als drei von ihnen erspäht, obwohl offenbar sonst niemand in Tear sie gesehen hat. Und wenn ich drei sah, könnt Ihr sicher sein, daß es viel mehr sind, die ich nicht erspähen konnte.«
»Das sagt mir nichts«, meinte Moiraine nachdenklich. »Perrin, warum runzelt Ihr so die Stirn?«
Er hatte gar nicht bemerkt, daß er das tat. »Ich habe über diesen Aiel in Remen nachgedacht. Er sagte, wenn der Stein fiele, würden die Aiel das Dreifache Land verlassen. Das ist die Wüste, nicht wahr? Er sagte, das sei eine Prophezeiung.«
»Ich habe jedes Wort der Prophezeiungen des Drachen gelesen«, sagte Moiraine leise, »und das in jeder Übersetzung, und die Aiel werden darin nicht erwähnt.
Wir stolpern blindlings dahin, während Be'lal sein Netz webt, und das Rad webt sein Muster um uns. Aber entstammen die Aiel dem Weben des Rads oder Be'lals Webkunst? Lan, du mußt mir den Weg in den Stein hinein schnell finden. Uns. Spüre uns schnell einen Weg auf.«
»Wie Ihr befehlt, Aes Sedai«, sagte er, aber sein Tonfall war eher warm als zeremoniell. Er verschwand durch die Tür. Moiraine sah den Tisch an und durch ihn hindurch, so war sie in Gedanken versunken.
Zarine kam herüber und blickte auf Perrin herunter. Den Kopf hielt sie ein wenig schief. »Und was wirst du tun, Schmied? Es scheint, sie wollen, daß wir hier sitzen und warten, während sie auf Abenteuer ausgehen. Nicht, daß ich mich beklagen wollte.«
Das letztere bezweifelte er. »Zuerst«, sagte er zu ihr, »werde ich etwas essen. Und dann werde ich über einen Hammer nachdenken.« Und versuchen, meine eigenen Gefühle in bezug auf dich zu enträtseln, Falke.
51
Ein Köder für das Netz
Aus dem Augenwinkel glaubte Nynaeve einen hochgewachsenen Mann mit rötlichem Haar und einem wehenden, braunen Umhang entdeckt zu haben, ein ganzes Stück die sonnenbeschienene Straße hinunter, doch als sie sich dorthin wandte und unter dem breiten Rand des blauen Strohhuts, den ihr Ailhuin gegeben hatte, hervorlugte, befand sich zwischen ihnen bereits ein schwerfälliger Ochsenkarren. Als er aus ihrer Sicht rollte, konnte sie den Mann nirgends mehr sehen. Sie war beinahe sicher gewesen, auf seinem Rücken einen hölzernen Flötenkasten hängen gesehen zu haben, und seine Kleidung stammte bestimmt nicht aus Tear. Das kann doch wohl nicht Rand gewesen sein. Nur, weil ich ständig von ihm träume, muß er ja nicht gleich den ganzen Weg von der Ebene von Almoth nach hier zurückgelegt haben.
Einer der barfüßigen Männer, die an ihr vorbeiliefen, trug auf dem Rücken einen Korb, aus dem die sichelförmigen Schwänze von einem Dutzend großer Fische herausragten. Plötzlich stolperte er, und silberngeschuppte Fische flogen im hohen Bogen über seinen Kopf weg, als er zu Boden stürzte. Er landete auf Händen und Knien im Schlamm und starrte die Fische an, die aus seinem Korb gefallen waren. Jeder dieser langen, schmalen Fische stand aufrecht mit dem Kopf im Schlamm und dem Schwanz hoch in der Luft. Sie bildeten einen sauberen Kreis. Selbst ein paar Passanten starrten dieses Bild fassungslos an. Langsam erhob sich der Mann. Offensichtlich war er sich gar nicht bewußt, daß er voller Schlamm war. Er ließ den Korb von seinem Rücken gleiten und sammelte seine Fische wieder ein. Dabei schüttelte er den Kopf und knurrte etwas in sich hinein.
Nynaeve zwinkerte, doch sie war gerade mit diesem kuhgesichtigen Räuber beschäftigt, der ihr an der Tür seines Ladens gegenüberstand. Hinter ihm hingen blutige Fleischstücke an Haken. Sie zupfte an ihrem Zopf und warf dem Burschen einen scharfen Blick zu.
»Also gut«, sagte sie streng. »Ich nehme es, aber wenn Ihr soviel für ein derart armseliges Stück verlangt, werdet Ihr mich als Kundin verlieren.«
Er zuckte gelassen die Achseln, als er ihr Geld entgegennahm. Dann wickelte er das fettige Hammelfleisch in ein Tuch, das sie aus ihrem Korb geholt hatte. Sie sah ihn böse an, während er ihr das Fleisch in den Korb steckte, doch das machte ihm offensichtlich nichts aus.
Sie wirbelte herum, um davonzustolzieren — und wäre beinahe gestürzt. Sie hatte sich noch immer nicht an die Klogs gewöhnt. Die blieben ihr ständig im Schlamm stecken, und ihr war nicht klar, wie die Leute, die so etwas trugen, damit fertigwurden. Sie hoffte, die Sonne würden den Boden bald trocknen, doch wurde sie das Gefühl nicht los, daß der Schlamm mehr oder weniger zum Mauleviertel dazugehöre.
Vorsichtig schritt sie weiter in Richtung auf Ailhuins Haus zu und fluchte dabei in sich hinein. Die Preise für alles und jedes waren einfach empörend, die Qualität miserabel, und trotzdem schien es niemanden zu kümmern — weder die Käufer noch die Verkäufer. Es war eine Erleichterung für sie, im Vorbeigehen eine Frau zu beobachten, die einen Ladenbesitzer anschrie und mit einer leicht lädierten, rötlichgelben Frucht in jeder Hand vor seiner Nase herumfuchtelte. Nynaeve kannte die hiesigen Obstsorten nicht, und auch von vielen Gemüsesorten aus diesem Land hatte sie noch nie gehört. Jedenfalls rief die Frau alle Umstehenden auf, sich anzusehen, was für einen Abfall der Mann verkaufe. Doch der Ladeninhaber sah sie nur müde an und machte sich nicht einmal die Mühe, mit ihr zu streiten.
Es gab natürlich eine Entschuldigung für diese Preise, wie sie wußte. Elayne hatte ihr erklärt, daß in den Lagerhäusern das Getreide von den Ratten gefressen wurde, weil in Cairhien niemand etwas kaufen konnte, und welch enorme Bedeutung der Getreidehandel mit Cairhien nach dem Aiel-Krieg erlangt hatte. Aber diese Weltuntergangsstimmung war durch nichts zu erklären. Sie hatte an den Zwei Flüssen erlebt, wie der Hagel die ganze Ernte zerschlagen hatte, oder wie Heuschrecken sie gefressen hatten, wie die Schwarzzungenkrankheit die Schafherden und der Rotfleck den Tabak dezimiert hatten, so daß es nichts zu verkaufen gab, als die Kaufleute aus Baerlon heruntergekommen waren. Sie konnte sich an zwei Jahre hintereinander erinnern, als es bis auf Zwiebelsuppe und alten Hafer kaum etwas zu essen gab. Damals waren selbst die Jäger froh gewesen, ein mageres Kaninchen mit nach Hause zu bringen. Aber die Menschen von den Zwei Flüssen rissen sich trotz aller Niedergeschlagenheit zusammen und kehrten an ihre Arbeit zurück. Diese Leute hier hatten nur ein schlechtes Jahr erlebt, und der Fischfang und auch der übrige Handel schien zu florieren. Sie hatte einfach keine Geduld mit ihnen. Das Dumme daran war, daß sie wußte, sie müßte eigentlich etwas Geduld aufbringen. Es waren eigenartige Leute mit eigenartigen Sitten, und das, was sie für Resignation hielt, schien selbst für Ailhuin und Sandar etwas ganz Normales zu sein. Sie sollte also wirklich ein bißchen mehr Verständnis für sie zeigen.
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