Nach zwei Schritten in den Schankraum hinein sah Mat ihn. Der große Mann trug einen grünen Mantel mit blauen Längsstreifen an den Puffärmeln. Es war ganz sicher Comar mit seinem kurzgeschnittenen Bart mit der weißen Strähne über dem Kinn und so. Er saß auf einem dieser Stühle mit seltsam niedriger Lehne an einem Tisch auf der anderen Seite des Raums, schüttelte einen ledernen Würfelbecher und lächelte den ihm gegenübersitzenden Mann an. Dieser Bursche trug einen langen Mantel und Pumphosen, und er lächelte nicht. Er blickte auf die Münzen auf dem Tisch herab, als wünsche er sie in seinen Geldbeutel zurück. Ein weiterer Würfelbecher stand neben Comar.
Comar entleerte den Würfelbecher und lachte schon, bevor die Würfel liegen blieben. »Wer ist der nächste?« rief er laut und zog den Einsatz zu sich herüber. Es stapelte sich bereits ein beachtlicher Haufen von Silbermünzen vor ihm. Er schob die Würfel in den Becher und rasselte mit ihnen. »Sicher möchte jemand anders sein Glück versuchen?« Es schien, daß keiner wollte, doch er schüttelte weiter und lachte.
Der Wirt war leicht herauszufinden, auch wenn die Wirte in Tear keine Schürzen zu tragen schienen. Seine Jacke war von der gleichen dunkelblauen Farbe wie die jedes Wirts, mit dem Mat gesprochen hatte. Ein molliger Mann, wenn auch höchstens vom halben Umfang Lopars und mit der Hälfte von dessen Kinnwülsten. Er saß für sich an einem Tisch, polierte mit zornigen Bewegungen einen Zinnkrug und schaute wütend zu Comar hinüber — allerdings nur, wenn der nicht herschaute. Auch einige andere Männer blickten den bärtigen Mann aufgebracht von der Seite her an. Aber nicht, wenn er herschaute.
Mat unterdrückte seinen ersten Impuls, zu Comar hinüberzurennen, ihm mit dem Bauernspieß eins über den Kopf zu braten und zu fragen, wo Egwene und die anderen seien. Hier stimmte etwas nicht. Comar war der erste Mann heute nacht, der ein Schwert trug, aber so, wie ihn die Männer ansahen, fürchteten sie nicht nur den Schwertkämpfer. Selbst die Dienerin, die Comar einen neuen Becher Wein brachte und als Dank für ihre Bemühungen in den Hintern gekniffen wurde, hatte nur ein hysterisches Lachen für ihn übrig.
Betrachte es doch mal von allen Seiten, dachte Mat erschöpft. Die Hälfte aller Schwierigkeiten, in die ich komme, rührt daher, daß ich das nicht tue. Ich muß nachdenken. Vor Erschöpfung schien es ihm so, als sei sein Kopf mit Wolle angefüllt. Er gab Thom ein Zeichen, und sie schlenderten hinüber zum Tisch des Wirts, der sie mißtrauisch musterte, als sie sich hinsetzten.
»Wer ist der Mann mit der Strähne im Bart?« fragte Mat.
»Ihr seid nicht aus der Stadt, oder?« sagte der Wirt. »Er ist auch ein Fremder. Ich habe ihn vorher noch nie gesehen, aber ich weiß, was er ist. Ein Fremder, der hierhergezogen ist und sein Glück beim Handel gemacht hat. Ein Kaufmann, der so reich ist, daß er sogar sein Schwert tragen darf. Aber das ist noch kein Grund dafür, daß er uns so behandelt.«
»Wenn Ihr ihn noch niemals gesehen habt«, fragte Mat, »woher wißt Ihr dann, daß er ein Kaufmann ist?«
Der Wirt betrachtete ihn, als sei er ein Dummkopf. »Sein Mantel, Mann, und sein Schwert! Wenn er von draußen kommt, kann er kein Lord oder Soldat sein, also muß er wohl ein reicher Kaufmann sein.« Er schüttelte den Kopf über soviel Dummheit der Ausländer. »Sie kommen in unsere Häuser und schauen uns von oben herab an. Sie befummeln vor unseren Augen die Mädchen, aber sie haben kein Recht dazu. Wenn ich ins Mauleviertel gehe, dann spiele ich nicht mit einem Fischer um dessen magere Kröten. Wenn ich nach Tavar gehe, spiele ich nicht mit den Bauern, die gekommen sind, ihre Ernte zu verkaufen.« Er polierte noch gewaltsamer drauflos. »Was für ein Glück der Mann hat. So muß er wahrscheinlich an sein Vermögen gekommen sein.«
»Er gewinnt, nicht wahr?« Gähnend fragte sich Mat, wie er wohl mit einem Mann spielen würde, der auch Glück hatte.
»Manchmal verliert er«, knurrte der Wirt, »wenn der Einsatz nur ein paar Silberpfennige beträgt. Manchmal. Aber wenn es um eine Silbermark geht... Ich habe ihn heute beim Kronenspiel nicht weniger als ein Dutzend Mal mit drei Kronen und zwei Rosen gewinnen sehen. Und beim Gipfelspiel noch um die Hälfte häufiger mit drei Sechsern und zwei Fünfern. Beim Dreierspiel wirft er immer nur Sechser und beim Kompaß mit jedem Wurf drei Sechser und einen Fünfer. Wenn er schon solches Glück hat, dann hat er meinen Segen, aber er soll es gefälligst an anderen Kaufleuten auslassen, wie es sich gehört. Wie kann ein Mann solches Glück haben?«
»Gezinkte Würfel«, sagte Thom und hustete wieder. »Wenn er sichergehen will, daß er gewinnt, benützt er Würfel, die immer auf dieselbe Seite fallen. Er ist schlau genug, nicht gerade die höchsten Würfe zu benützen, denn die Leute werden mißtrauisch, wenn man immerzu einen König würfelt« — dabei zog er eine Augenbraue in Richtung Mat hoch —, »aber halt ein Ergebnis, das kaum zu schlagen ist. Er kann es aber nicht dazwischen abändern, damit sie einmal auf eine andere Seite fallen.«
»Von so was habe ich schon gehört«, sagte der Wirt bedächtig. »Ich hörte, die Illianer verwenden das.« Dann schüttelte er den Kopf. »Aber beide Männer benützen die gleichen Würfel und den gleichen Becher. Es ist unmöglich.«
»Bringt mir zwei Würfelbecher«, sagte Thom, »und zwei Sätze Würfel. Kronen oder Augen, das spielt keine Rolle, solange es die gleichen sind.«
Der Wirt runzelte die Stirn, aber er ging, wobei er vorsichtigerweise den Zinnbecher mitnahm, und kam mit zwei Lederbechern zurück. Thom ließ die aus Knochen gefertigten Würfel vor Mat auf den Tisch rollen. Ob mit Augen oder Symbolen — jeder Satz Würfel, den Mat je gesehen hatte, war entweder aus Knochen oder Holz gefertigt. Diese hatten Augen. Er nahm sie in die Hand und sah Thom finster an. »Sollte ich daran etwas entdecken?«
Thom kippte sich die Würfel aus dem anderen Becher auf die Handfläche, und dann bewegte er sich so schnell, daß das Auge kaum folgen konnte. Er ließ sie wieder hineinfallen und drehte den Becher um, so daß er umgestülpt auf dem Tisch stand, bevor die Würfel herausfallen konnten. Er behielt seine Hand oben auf dem Becher. »Mache ein Zeichen auf jeden, Junge. Etwas Kleines, aber du mußt es als dein Zeichen erkennen.«
Mat tauschte fragende Blicke mit dem Wirt. Dann blickten beide den Becher an, der umgestülpt unter Thoms Hand stand. Er wußte, daß Thom irgendeinen Trick vorhatte. Die Gaukler vollbrachten immer unmögliche Sachen, wie Feuer zu schlucken oder Seidentücher aus der Luft zu pflücken. Aber er wußte nicht, wie Thom etwas anstellen sollte, wenn sie ihn so genau beobachteten. Also nahm er sein Messer aus der Scheide und machte einen kleinen Kratzer auf jeden Würfel, und zwar genau über die sechs Augen.
»In Ordnung«, sagte er und legte sie auf den Tisch zurück. »Zeig mir deinen Trick.«
Thom griff sich die Würfel, und dann legte er sie etwa einen Fuß entfernt wieder hin. »Schau nach deinen Markierungen, Junge.«
Mat runzelte die Stirn. Thoms Hand befand sich noch immer auf dem umgestülpten Lederbecher. Der Gaukler hatte sie nicht bewegt und auch nicht Mats Würfel auch nur in die Nähe gebracht. Er nahm also die Würfel in die Hand... und zwinkerte überrascht. Es war kein Kratzer darauf zu sehen. Der Wirt schnappte nach Luft.
Thom drehte seine freie Hand um und zeigte ihnen, daß er darin fünf Würfel hielt. »Deine Markierungen befinden sich auf diesen hier. Und genau das macht Comar. Es ist kinderleicht, obwohl ich nicht glaube, daß er die nötige Fingerfertigkeit besitzt.«
»Ich glaube nicht, daß ich mich mit dir auf ein Würfelspiel einlasse«, sagte Mat bedächtig. Der Wirt starrte die Würfel an, aber es schien nicht so, als habe er den Trick begriffen. »Ruft die Wache oder wie Ihr das hier nennt«, sagte Mat zu ihm. »Laßt ihn festnehmen.« In einer Gefängniszelle kann er niemanden umbringen. Aber — wenn sie schon tot sind? Er versuchte, den eigenen Gedanken zu verdrängen, aber der blieb hartnäckig. Dann sorge ich dafür, daß auch er stirbt und Gaebril, gleich, was ich dazu tun muß. Aber das stimmt doch alles nicht, seng mich! Sie können nicht tot sein!
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