»Würde ich schon, wenn ich eines davon hätte.« Mutter Guenna kramte einen Augenblick lang in dem Schrank und holte dann ein Steingefäß heraus. »Da ich in letzter Zeit keine Gelegenheit hatte, etwas zu sammeln, werde ich Euch einen Aufguß von Sumpfweißchenblättern geben.«
»Das kenne ich nicht«, sagte Nynaeve bedächtig.
»Es wirkt genauso gut wie Kettenblatt, aber der Geschmack ist ein wenig beißend, und das mögen halt viele nicht.« Die große Frau zerbröselte getrocknete und zerteilte Blätter in eine blaue Teekanne hinein und trug sie zum Herd hinüber, um das Gemisch mit heißem Wasser aufzugießen. »Seid Ihr denn auch auf diesem Gebiet tätig? Setzt Euch.« Sie deutete mit einer Hand, in der sie zwei blauglasierte Teetassen hielt, die sie vom Kaminsims genommen hatte, auf den Tisch. »Setzt Euch, und wir unterhalten uns. Welcher von Euch ist es auch übel?«
»Mir geht's gut«, sagte Egwene leichthin, als sie sich einen Stuhl heranholte. »Ist dir schlecht, Caryla?« Die Tochter-Erbin schüttelte unwillig den Kopf.
»Spielt keine Rolle.« Die grauhaarige Frau goß Nynaeve eine Tasse der dunklen Flüssigkeit ein und setzte sich dann ihr gegenüber an den Tisch. »Ich habe genug für zwei gemacht, aber Tee aus Sumpfweißchenblättern hält sich länger als Stockfisch. Er wirkt auch besser, wenn er abgestanden ist, wenn er auch dabei ein wenig bitterer wird. Die Frage ist: Wieviel braucht Ihr, um Euren Magen zu beruhigen, und wieviel könnt Ihr eurer Zunge zumuten? Trinkt, Mädchen.« Einen Augenblick später goß sie die zweite Tasse ein und nippte selbst daran. »Seht Ihr? Es tut nicht weh.«
Nynaeve hob ihre Tasse, und beim ersten Schluck seufzte sie angewidert. Als sie die Tasse wieder abstellte, sah man ihr aber nichts mehr an. »Es schmeckt halt nur ein wenig bitter. Sagt mir, Mutter Guenna, wird es noch lange andauern, daß wir diesen Regen und Matsch ertragen müssen?«
Die alte Frau runzelte die Stirn und verteilte dann wenig erfreute Blicke an alle drei Frauen. Schließlich sah sie wieder Nynaeve an. »Ich bin kein Windsucher des Meervolks, Mädchen«, sagte sie ruhig. »Wenn ich das Wetter vorhersagen könnte, würde ich mir lieber lebendige Hechte ins Kleid stecken, als es zugeben. Die Verteidiger betrachten diese Art von Dingen als beinahe so schlimm wie das, was die Aes Sedai tun. Also, seid Ihr im gleichen Gewerbe tätig oder nicht? Ihr seht aus, als wärt Ihr weit gereist. Was ist gut gegen Erschöpfung?« fuhr sie plötzlich Nynaeve an.
»Plattwurztee«, antwortete Nynaeve gelassen, »oder Andilay-Wurzel. Da Ihr schon fragt, was würdet Ihr denn tun, um eine Geburt zu erleichtern?«
Mutter Guenna schnaubte: »Gewärmte Handtücher auflegen, Kind, und vielleicht ein wenig Weißfenchel geben, falls die Geburt außergewöhnlich schwer ist. Mehr braucht eine Frau nicht, außer einer lindernden Hand. Könnt Ihr euch nicht eine Frage ausdenken, die nicht jede Bauersfrau beantworten kann? Was gebt Ihr bei Herzschmerzen? Bei den wirklich tödlichen?«
»Zerstoßene Gheandin-Blüte auf die Zunge«, sagte Nynaeve knapp. »Wenn eine Frau stechende Magenschmerzen hat und Blut im Speichel, was tut Ihr dann?«
So überprüfte nun jede die andere. Schneller und schneller jagten sich Fragen und Antworten. Manchmal wurde das Frage-und-Antwort-Spiel kurz unterbrochen, wenn eine von einer Pflanze sprach, die die andere nur unter einem anderen Namen kannte, aber dann wurden sie wieder schneller, erörterten die Vorteile von Tinkturen gegenüber Aufgüssen, Salben gegenüber Packungen, und wann das eine oder das andere besser sei. Langsam häuften sich die Fragen zu Kräutern und Wurzeln, die einer bekannt und der anderen unbekannt waren. Beide waren äußerst lernbegierig. Egwene wurde beim Zuhören ganz kribbelig.
»Nachdem man einen Knochen gerichtet hat«, sagte Mutter Guenna, »wickelt man das gebrochene Glied in nasse Handtücher. In dem Wasser, das man in die Handtücher ziehen läßt, hat man vorher blaue Ziegenblumen ausgekocht — nur die blauen aber, das ist wichtig!« Nynaeve nickte ungeduldig. »Und der Wickel muß so heiß sein, daß es gerade noch auszuhalten ist. Ein Teil blaue Ziegenblumen auf zehn Teile Wasser. Schwächer darf es nicht sein. Sobald die Handtücher nicht mehr dampfen, muß man den Wickel erneuern, und das den ganzen Tag lang. Der Knochen wird doppelt so schnell heilen und wird auch doppelt so fest danach.«
»Das werde ich mir merken«, sagte Nynaeve. »Ihr habt erwähnt, daß Ihr Schafszungenwurz gegen Augenschmerzen verwendet. Ich habe noch nie gehört... «
Egwene hielt es nicht länger aus. »Maryim«, unterbrach sie die beiden, »glaubst du wirklich, daß du all dieses Wissen noch jemals benötigen wirst? Du bist keine Seherin mehr, oder hast du das vergessen?«
»Ich habe überhaupt nichts vergessen«, sagte Nynaeve in scharfem Ton. »Ich erinnere mich an Zeiten, wo du genauso darauf aus warst, alles Neue zu lernen, wie ich.«
»Mutter Guenna«, fragte Elayne übertrieben freundlich, »was gebt Ihr zwei Frauen, die mit dem Streiten nicht aufhören können?«
Die grauhaarige Frau spitzte die Lippen und blickte nachdenklich die Tischplatte an. »Normalerweise, ob es sich nun um Männer oder Frauen dreht, rate ich ihnen, sich voneinander fernzuhalten. Das ist am besten und am einfachsten.«
»Normalerweise?« hakte Elayne nach. »Und wenn sie einen Grund haben, warum sie sich nicht voneinander fernhalten können? Wenn sie beispielsweise Schwestern sind?«
»Ich habe schon ein Mittel, um jemanden zu bremsen, der streitsüchtig ist«, sagte die große Frau bedächtig. »Es ist nichts, was ich jemandem weiterempfehlen würde, aber manche kommen halt damit zu mir.« Egwene glaubte, die Andeutung eines Lächelns um ihre Lippen spielen zu sehen. »Ich verlange von beiden Frauen je eine Silbermark. Bei Männern zwei, denn Männer machen mehr Aufhebens. Außerdem kaufen manche Leute einfach alles, wenn der Preis hoch genug ist.«
»Aber was ist nun das Heilmittel?« fragte Elayne.
»Ich sage ihnen, daß sie ihre Kontrahentin hierher mitbringen müssen. Beide erwarten, daß ich die andere zur Ruhe bringe.« — Unwillkürlich lauschte Egwene doch. Sie bemerkte, daß auch Nynaeve ganz genau aufpaßte. »Wenn sie mich bezahlt haben«, fuhr Mutter Guenna fort, und dabei streckte sie einen kräftigen Arm aus und spannte ihre Muskeln an, »bringe ich sie hinten auf den Hof hinaus und stecke ihre Köpfe solange in meine Regentonne, bis sie sich darauf einigen, mit der Streiterei aufzuhören.«
Elayne lachte schallend los.
»Ich glaube, etwas Ähnliches hätte ich an Eurer Stelle auch getan«, sagte Nynaeve in etwas zu lockerem Tonfall. Egwene hoffte, ihr Gesichtsausdruck sähe dem Nynaeves nicht zu ähnlich.
»Das würde mich keineswegs überraschen.« Mutter Guenna grinste jetzt ganz offen. »Ich sage ihnen, wenn ich wieder höre, daß sie sich streiten, mache ich es für sie umsonst, aber ich benütze den Fluß dafür. Es ist bemerkenswert, wie gut diese Kur wirkt, besonders bei Männern. Aus irgendeinem Grund erzählt keine der Personen, die ich auf diese Art geheilt habe, anderen die Einzelheiten meiner Kur. Deshalb fragt mich alle paar Monate jemand danach. Wenn man dumm genug war, Schlammspringer zu essen, rennt man nicht herum und erzählt es allen Leuten. Ich nehme an, keine von Euch will eine Silbermark ausgeben?«
»Ich glaube nicht«, sagte Egwene, und sie blickte Elayne finster an, die schon wieder in Gelächter ausbrach.
»Gut«, sagte die grauhaarige Frau. »Diejenigen, die ich von ihrer Streitsucht kuriere, scheinen mich später zu meiden wie Nesseltang im Netz, außer, sie werden wirklich krank, und ich genieße Eure Anwesenheit. Die meisten, die zur Zeit kommen, wollen etwas haben, um ihre Alpträume zu verscheuchen, und sie werden böse, wenn ich ihnen nichts dagegen geben kann.« Einen Augenblick lang runzelte sie wieder die Stirn und rieb ihre Schläfen. »Es tut gut, drei Gesichter zu sehen, die nicht wirken, als ob alles zu spät sei und nichts anderes mehr bliebe, als ins Wasser zu gehen. Falls Ihr länger in Tear bleibt, müßt Ihr mich unbedingt wieder besuchen. Das Mädchen hat Euch Maryim genannt? Ich heiße Ailhuin. Beim nächsten Mal trinken wir einen guten Tee von den Inseln des Meervolks, wenn wir uns unterhalten, und nichts, was einem beim Trinken die Strümpfe auszieht. Licht, ich hasse den Geschmack von Sumpfweißchen; Schlammspringer schmecken da noch besser. Und falls Ihr jetzt noch Zeit habt, ein wenig zu bleiben, brühe ich uns einen Schwarzen von Tremalking. Es ist auch nicht mehr lang, bis das Essen fertig ist. Ich habe nur Brot und Suppe und Käse, aber Ihr seid herzlich willkommen.«
Читать дальше