»In diesem Punkt laßt Euch belehren, Anshelm. Auch wenn ich Inquisitor bin, so habe ich doch niemals das Amt eines Geweihten bekleidet.«
»Sehr ungewöhnlich ...« Der Hochgeweihte hatte den Kopf leicht schief gelegt und musterte Marcian. »Trotzdem halte ich es für schädlich, wenn Ihr bei einer Frau liegt, die sich diesen Tieren hingegeben hat. Findet Ihr das nicht auch abstoßend? Allein die Vorstellung, daß sich eine Frau freiwillig mit einem Ork einlassen könnte, erscheint mir ungeheuerlich.«
»Es sind noch weitaus ungeheuerlichere Dinge in dieser Stadt geschehen...«
»Lenkt nicht ab, Marcian. Ich muß Euch sagen, daß ich über diese Enthüllungen zutiefst erschüttert bin. Meine Pflicht als Hochgeweihter der Stadt ist es, alle Verstöße gegen Sitte oder Natur strengstens zu ahnden. Nur so läßt sich die Moral der Bürger wieder herstellen. Wäre Frieden, würde ich Euch von meinen Tempelgardisten verhaften lassen und gemeinsam mit Eurer Buhle in Ketten nach Gareth schaffen, doch in Anbetracht Eurer besonderen Lage werde ich Gnade vor Recht ergehen lassen. Sorgt dafür, daß diese Cindira die Stadt verläßt, und wir werden diese Angelegenheit zumindest so lange ruhen lassen, bis Frieden herrscht.«
Einen Moment lang war Marcian versucht, nach seinem Schwert zu greifen. Was bildete sich dieser feiste, kleine Mann eigentlich ein? Was wußte er schon vom Krieg? Wahrscheinlich hatte dieser Anshelm bislang kaum die schützenden Mauern seines Tempels verlassen. Warum sollte er sich ihm fügen?
Doch wer würde ihm folgen, wenn er gegen den neuen Hochgeweihten aufbegehrte? Die Truppen, die mit den Schiffen gekommen waren, bestimmt nicht, und auch die Städter würden nicht auf seiner Seite stehen.
»Begreift Ihr nicht, was für ein großmütiges Angebot ich Euch mache?«
Anshelm stand jetzt unmittelbar vor ihm. Kleine Tröpfchen Speichel trafen den Inquisitor ins Gesicht, während sich der Hochgeweihte ereiferte. »Schickt sie fort! Nur dann kann ich Euch beiden den Prozeß ersparen. Wenn sie nicht mehr aufzufinden ist, könnt nur Ihr ganz allein angeklagt werden, Marcian. Ich respektiere, was Ihr hierin den vergangenen Monaten geleistet habt. Kaum ein anderer hätte die Stadt so lange gegen die Orks halten können. Aber jetzt seid klug! Wenn Ihr diese Frau tatsächlich so sehr liebt, wie Ihr sagt, dann schickt sie fort. Nur so könnt Ihr wenigstens sie retten.«
Es war, als sei alle Kraft aus seinen Gliedern gewichen. Marcian konnte nicht mehr kämpfen. Anshelm hatte recht! Wenn der Hochgeweihte wirklich die Verbindung zwischen ihm und Cindira in Gareth zur Anklage bringen würde, dann stand das Urteil schon jetzt fest. Er mußte sich fügen. Seine Geliebte zu retten war der letzte Sieg, den er in diesem Krieg noch erringen konnte.
»Warum kämpfst du nicht um mich? Ich hatte gedacht, daß du mich liebst.«
Cindira standen die Tränen in den Augen. Sie konnte kaum fassen, was er ihr gesagt hatte.
»Ich muß dich opfern, weil ich dich liebe, begreifst du das denn nicht?«
Wie sollte er sie mit Argumenten überzeugen, die für ihn selber schal klangen? Marcian war verzweifelt. Ohne Cindira wollte er nicht mehr leben. Aber es ging nicht allein um ihn. Er durfte nicht auch noch sie ins Unglück stürzen.
»Was ist so falsch daran, wenn ein Inquisitor eine Frau liebt? Verlangt es dein Amt, daß du keine Liebe kennst?«
»Das ist nicht verboten, aber ...« Marcian wußte nicht, wie er ihr erklären sollte, was Anshelm ihm vorgehalten hatte, ohne sie zutiefst zu verletzen.
»Bin ich denn eine schlechtere Frau als irgendein Bürgermädchen?«
»Nein ... Bitte, glaube nicht, daß ich das denke, aber ...«
»Wie kannst du dann zulassen, daß dieser Hochgeweihte mich aus der Stadt treibt?«
»Wenn du nicht gehst, wird er dich in Ketten legen lassen. Was glaubst du denn, was er mit dir machen läßt? Sobald Frieden ist, wird er dich nach Gareth schaffen lassen. Dort habe ich viele Feinde, die nur auf eine solche Gelegenheit warten. Wenn man dich erst einmal der hochnotpeinlichen Befragung unterzieht, wirst du denen alles erzählen, was sie hören wollen.«
»Du meinst, ich werde gefoltert? Warum?«
»Weil sie dich zu dem Werkzeug machen wollen, mit dem sie mich vernichten. Selbst wenn das nicht in der Absicht von Anshelm liegt. Bist du erst einmal in den Verliesen der Inquisition, ist unser beider Schicksal besiegelt.«
Cindira blickte ihn fassungslos an. »Ich kann verstehen, daß man dich aus den Reihen der Inquisition verstoßen wird, weil dein Umgang mit mir nicht dem Bild eines Inquisitors entspricht. Aber was habe ich getan, daß man uns beide mit dem Tod bedroht?«
Marcian nahm sie in die Arme und streichelte ihr sanft durchs Haar. Nur mühsam gelang es ihm die Fassung zu bewahren. »Gar nichts hast du getan. Aber man wird dir vorwerfen, daß du dich mit den Orks eingelassen hast. Sie werden behaupten, daß du eine Spionin der Schwarzpelze seist. Vielleicht wird man auch sagen, daß du vom Liebesdämon Laraan besessen bist, weil keine menschliche Frau sich freiwillig einem Ork hingeben würde. Auch in diesem Fall wird unser beider Urteil der Tod sein, denn ein Inquisitor, der sich einer von Dämonen Besessenen hingegeben hat, ist untragbar.«
»Aber das ist doch alles nicht wahr. Das weißt du doch!« Cindira klammerte sich an ihn.
»Natürlich weiß ich das ... Aber sie werden dich mißbrauchen, um mich zu vernichten. Glaub mir!«
»Und wenn ich stark bleibe und alles leugne. Müssen sie mich dann nicht gehen lassen?«
Marcian lächelte zynisch. »Nein. Dann werden sie sagen, daß nur eine Besessene so stark sein kann, der Folter zu widerstehen, und du wirst dennoch sterben.«
Cindira begann zu schluchzen. »Ich will dich nicht verlieren ...« Ihre Hände verkrampften sich.
»Du wirst mich nicht verlieren! Verlaß die Stadt und geh nach Süden. Ich werde dich wiederfinden, wenn das hier alles vorbei ist. Man hat mich gelehrt, Leute und Dinge zu finden, die nicht gefunden werden wollen. Wie leicht wird es mir dann erst fallen, die Spur meiner Geliebten aufzunehmen.«
»Ich habe Angst. Ich will dich nicht verlassen. Ich habe das Gefühl, daß wir beide uns nie Wiedersehen werden, wenn ich der Stadt den Rücken kehre.«
»Du brauchst dich nicht zu fürchten.« Marcians Hände glitten über ihre langen Haare. »Ich werde meinen Dienst bei der Inquisition aufgeben.«
»Du lügst!« Cindira stieß ihn von sich.
»Nein! Glaub mir. Ich werde den Greifenring ablegen und nur noch für dich da sein.«
»Du weißt, daß sie dich nicht gehen lassen. Wenn sie deinen Kopf fallen sehen wollen, dann wirst du ihnen nicht entkommen. Du lügst, damit ich mich rette.«
»Vertrau mir ...« Marcian hatte ihre Hand gegriffen. »Ich schwöre dir bei Praios, daß ich für dich zum Verräter werde. Bevor nicht die letzte Schlacht geschlagen ist, wird man mir nichts tun. Ich werde im Schlachtgetümmel fliehen. Man wird mich dann für tot halten ...«
»Wirklich?« Cindira standen noch immer Tränen in den Augen.
Statt einer Antwort küßte er sie. »Laß uns diese Nacht nicht streiten. Wir werden uns so lange nicht mehr sehen.«
»Mach das Feuer im Kamin an. Mir ist kalt, ganz so, als spürte ich den eisigen Atem Borons.«
»Was redest du für einen Unsinn!« Marcian warf einige Scheite in die Glut, doch wurde es kaum wärmer in dem großen Turmzimmer.
Als er sich umdrehte, konnte er sehen wie Cindira betete. Sie bemerkte seinen Blick, erhob sich und schaute ihn traurig an. Dann ließ sie ihr Kleid zu Boden gleiten und streckte ihm die Hand entgegen. »Komm!«
Arthag hatte den ganzen Abend getrunken. Er verstand nicht, was in der Stadt vor sich ging. Warum wurden die Bürger gegen ihren Willen fortgebracht? Warum riß man Familien auseinander?
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