»Keine Freiheit«, endete Coll finster.
»Keine Freiheit«, wiederholte Par. Er lehnte sich zurück und zog die Beine bis zur Brust an. »Ich wünschte, ich wüßte, was mit den Elfensteinen geschehen ist. Und dem Schwert. Was ist mit dem Schwert von Shannara geschehen?«
Coll zuckte die Schultern. »Das Gleiche, was mit allen Dingen irgendwann geschieht. Es ging einfach verloren.«
»Was willst du damit sagen? Wie kann es einfach verloren gehen?«
»Niemand hat sich darum gekümmert.«
Par ließ sich diesen Gedanken durch den Kopf gehen. Es war etwas Wahres dran. Niemand kümmerte sich mehr um die Magie, nachdem Allanon tot und die Druiden verschwunden waren. Die Magie wurde einfach totgeschwiegen, ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit, das gefürchtet und zum großen Teil mißverstanden wurde. Es war einfacher, so zu tun, als gäbe es sie nicht, und genau das taten alle. Auch die Ohmsfords – denn andernfalls hätten sich die Elfensteine noch in ihrem Besitz befunden. Alles, was sie an Zauberkraft besaßen, war das Wunschlied.
»Wir kennen die Geschichten, die Sagen, die uns davon erzählen, wie es einmal war; wir kennen die Geschichte, und doch wissen wir im Grunde genommen gar nichts«, sagte Par leise.
»Wir wissen, daß die Föderation nicht will, daß wir darüber sprechen«, meinte Coll abschließend. »Wenigstens das wissen wir.«
»Es gibt Zeiten, in denen ich mich frage, welchen Unterschied das schon macht.« Pars Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. »Es ist doch so, daß die Menschen uns zwar zuhören, aber wer erinnert sich anderntags noch daran? Und selbst wenn sie sich erinnern? Für sie ist das, was wir erzählen, Geschichte und für manche wahrscheinlich nicht einmal das. Manche halten es wahrscheinlich für Legenden und Mythen, für einen Haufen Unsinn.«
»Aber nicht alle«, erwiderte Coll ruhig.
»Was nützt schon das Wunschlied, wenn unsere Geschichten doch nichts bewirken? Vielleicht hatte der Fremde ja recht. Vielleicht gibt es eine bessere Verwendung für die Zauberkraft.«
Als sie plötzlich ein Geräusch im Fluß vernahmen, drehten sich beide um. Aber sie hörten nur das Schäumen des durch den Regen angeschwollenen Flusses und sonst nichts.
»Alles scheint sinnlos«, sagte Par. »Was glaubst du, Coll? Man hat uns wie Geächtete aus Varfleet hinausgetrieben, hat uns gezwungen, dieses Boot zu stehlen.« Er hielt inne und schaute seinen Bruder an. »Warum, glaubst du, verfügen wir immer noch über Zauberkräfte?«
Coll wandte sein eckiges Gesicht Par zu. »Was meinst du damit?«
»Warum haben wir sie? Warum sind sie nicht mit allem anderen verschwunden? Glaubst du, es gibt einen Grund dafür?«
Beide schwiegen geraume Zeit. »Ich weiß nicht«, meinte Coll endlich. Er zögerte. »Ich weiß nicht, wie es ist, wenn man Zauberkräfte besitzt.«
Par starrte ihn an, und als er plötzlich begriff, was er da gefragt hatte, schämte er sich seiner Frage.
»Nicht daß ich sie wirklich haben wollte, verstehst du«, fuhr Coll eilig fort, als er das Unbehagen seines Bruders bemerkte. »Einer von uns mit Zauberkräften reicht vollkommen.« Er grinste.
Par grinste zurück. »Ich glaube, du hast recht.« Er blickte Coll dankbar an und gähnte. »Möchtest du dich schlafen legen?«
Coll schüttelte den Kopf und trat in den Schatten zurück.
»Nein, ich möchte gerne noch weiterreden. Diese Nacht ist zum Reden da.«
Dennoch verfiel er in Schweigen, so als hätte er trotz allem nichts zu sagen. Par ließ seinen Blick auf ihm ruhen, bevor beide wieder auf den Mermidon hinaussahen und beobachteten, wie ein riesiger Ast eines Baumes, der offensichtlich vom Sturm abgebrochen worden war, vorbeitrieb. Der Wind, der zuerst stürmisch geweht hatte, hatte sich gelegt, der Regen verursachte, während er durch die Bäume auf den Boden tropfte, ein gleichmäßiges, wohltuendes Geräusch.
Par ertappte sich dabei, wie er an den Fremden dachte, der sie vor den Suchern der Föderation gerettet hatte. Den größten Teil des Tages hatte er damit zugebracht, sich über die Identität des Mannes klar zu werden, doch er hatte immer noch nicht die leiseste Ahnung, wer der Mann war. Trotzdem kam er ihm irgendwie vertraut vor. Er erinnerte ihn an jemand aus den Geschichten, die er erzählte, aber er konnte sich nicht entscheiden, an wen genau. Es gab so viele Sagen, und so viele handelten von Männern wie ihm, von Helden in den Tagen der Magie, von Helden, die Par in der jetzigen Zeit vermißte. Vielleicht hatte Par sich geirrt. Der Fremde im Bierhaus schien gewillt, es mit der Föderation aufzunehmen. Vielleicht bestand doch noch Hoffnung für die Vier Länder.
Par beugte sich vor, legte Holzscheite in das kleine Feuer nach und sah zu, wie der Rauch aufstieg. Plötzlich wurde der Himmel im Osten von einem Blitz erhellt.
»Wir könnten jetzt ganz gut trockene Sachen gebrauchen«, murmelte Par. »Meine sind allein schon von der Luft feucht.«
Coll nickte. »Und vielleicht auch eine heiße Suppe und Brot.«
»Ein Bad und ein warmes Bett.« »Vielleicht den Duft von frischen Kräutern.« »Und Rosenwasser.« Coll seufzte. »Ich wäre schon zufrieden, wenn dieser verflixte Regen ein Ende nähme.« Sein Blick schweifte in die Nacht hinaus. »Ich glaube, in einer Nacht wie heute könnte ich fast an Schattenwesen glauben.«
Ganz unvermittelt beschloß Par, Coll von seinen Träumen zu erzählen. Er wollte darüber sprechen und sah jetzt keinen Grund mehr, es nicht zu tun. Er überlegte kurz, dann sagte er: »Ich habe dir bis jetzt nichts davon erzählt, aber ich habe diese Träume. Eigentlich ist es immer der gleiche Traum, den ich träume.« In kurzen Worten beschrieb er ihn, wobei er im besonderen auf die dunkelgekleidete Gestalt, die jedesmal zu ihm sprach, einging. »Ich sehe ihn jedoch nicht deutlich genug, um mit Sicherheit sagen zu können, wer es ist«, erklärte er vorsichtig. »Aber es könnte sich um Allanon handeln.«
Coll zuckte die Achseln. »Es könnte aber auch jemand anderes sein. Es ist ein Traum, Par. Träume sind immer ein Rätsel.«
»Aber ich habe diesen Traum jetzt schon ein dutzendmal, vielleicht sogar zwei dutzendmal geträumt. Zuerst habe ich angenommen, daß er irgendwie mit der Magie zusammenhängt, aber…« Par biß sich auf die Lippen. »Was ist, wenn…« Er hielt wieder inne.
»Was ist, wenn was?«
»Was ist, wenn es nicht nur mit der Magie zusammenhängt? Was ist, wenn Allanon oder jemand anders versucht, mir durch den Traum eine Botschaft zu schicken?«
»Eine Botschaft wozu? Vielleicht um dich dazu zu bringen, zum Hadeshorn zu gehen oder zu einem anderen ähnlich gefährlichen Ort?« Coll schüttelte den Kopf. »Ich würde mir darüber an deiner Stelle nicht den Kopf zerbrechen. Und ich würde ganz sicherlich keinen Gedanken an eine solche Aufforderung verschwenden.« Er runzelte die Stirn. »Du doch auch nicht, oder etwa doch? Denkst du ernsthaft darüber nach zu gehen?«
»Nein«, antwortete Par ohne zu überlegen. Ich muß zumindest vorher darüber nachdenken, fügte er in Gedanken hinzu und war selbst überrascht über dieses Eingeständnis.
»Da fällt mir aber ein Stein vom Herzen. Wir haben auch so schon genügend Probleme, ohne daß wir uns auf die Suche nach toten Druiden begeben.« Für Coll war die Sache damit ganz offensichtlich erledigt.
Par erwiderte nichts. Jetzt wurde ihm klar, daß er tatsächlich mit dem Gedanken spielte, sich auf die Suche zu begeben. Bis jetzt hatte er nicht wirklich ernsthaft daran gedacht, doch mit einemmal hatte er das Bedürfnis herauszufinden, was die Träume bedeuteten. Es spielte keine Rolle, ob Allanon sie geschickt hatte oder nicht. Eine Stimme in seinem Inneren bedeutete ihm, daß er auf der Suche nach dem Ursprung seiner Träume gleichzeitig etwas über sich selbst und seine Zauberkräfte erfahren würde. »Ich wünschte nur, ich könnte sicher sein«, murmelte er.
Читать дальше