Friedrich musterte ihn argwöhnisch. Schließlich fing er an zu schmunzeln. »Dann hat sie Euch auch zugelächelt.«
»Ich krieg keine Luft«, ertönte die gedampfte Stimme unter dem Felsbrocken. »Bitte, es tut weh. Ich kann mich kaum bewegen. Laßt mich raus.«
Richard deutete mit ausgestreckter Hand auf den Fels. Man hörte ein knirschendes Geräusch, und plötzlich kam ein Schwert unter dem Fels zum Vorschein. Gleich darauf bückte er sich, zog seine Scheide heraus und gleich dahinter seinen Waffengurt. Er wischte den Staub ab und streifte den Waffengurt in gewohnter Manier über seine Schulter.
Jennsen bemerkte das funkelnde, güldene Wort WAHRHEIT auf dem Heft des prachtvollen Schwertes.
»Ihr habt all den Soldaten die Stirn geboten und hattet nicht mal Euer Schwert dabei«, sagte Jennsen. »Aber vermutlich war Eure Magie ein besserer Schutz.«
Richard schüttelte lächelnd den Kopf. »Mein Talent funktioniert über Verlangen und Zorn. Da Kahlan entführt worden war empfand ich ein starkes Verlangen, und mein Zorn war jederzeit verfügbar.« Er zog das Heft weit genug aus der Scheide, so daß sie das aus Goldbuchstaben gebildete Wort noch einmal sehen konnte. »Diese Waffe funktioniert immer.«
»Woher wußtet Ihr, wo wir waren?«, fragte Jennsen ihn. »Woher wußtet Ihr, wo Kahlan sich befand?«
Richard rieb mit dem Daumen über das eine, aus Gold gebildete Wort auf dem Heft seines Schwertes. »Es ist ein Geschenk meines Großvaters. Unser König Oba hier hat es gestohlen, als er Kahlan mit Hilfe des Hüters in seine Gewalt brachte. Dieses Schwert ist etwas ganz Besonderes. Ich stehe in Kontakt mit ihm und spüre, wo es sich befindet. Ohne Zweifel hat der Hüter Oba veranlaßt, es mir wegzunehmen, um mich hierher zu locken.«
»Bitte«, jammerte Oba, »ich kriege keine Luft.«
»Euer Großvater?«, fragte Jennsen, ohne Oba zu beachten. »Ihr meint Zauberer Zorander?«
Richard strahlte über das ganze Gesicht. »Dann bist du Zedd also begegnet. Er ist ein prächtiger Kerl, nicht wahr?«
»Er hat versucht, mich umzubringen«, murmelte Jennsen.
»Zedd?«, meinte Richard belustigt. »Zedd ist absolut harmlos.«
»Harmlos? Er...«
Unvermittelt versetzte die Mord-Sith Jennsen einen Stoß mit ihrem roten Stab – dem Strafer.
»Was soll das?«, empörte sich Jennsen. »Laßt das sein.«
»Ihr spürt nichts dabei?«
»Nein«, antwortete Jennsen und runzelte mißbilligend die Stirn. »Nicht mehr als bei Nyda, als sie es versuchte.«
Caras Augenbrauen schnellten hoch. »Ihr seid Nyda begegnet?« Sie sah Richard an. »Und sie kann sich noch immer auf den Beinen halten. Ich bin beeindruckt.«
»Sie ist gegen Magie immun«, erklärte Richard. »Deswegen funktioniert Euer Strafer nicht bei ihr.«
Cara sah listig lächelnd zu Kahlan hinüber.
»Habt Ihr denselben Gedanken wie ich?«, fragte Kahlan.
»Möglicherweise könnte sie unser kleines Problem lösen«, sagte Cara, deren boshaftes Grinsen immer breiter wurde.
»Ich nehme an«, meinte Richard übellaunig, »jetzt werdet Ihr sie ihn ebenfalls berühren lassen.«
»Nun«, meinte Cara, »irgend jemand muß es tun. Ihr wollt doch nicht, daß ich es noch einmal mache, oder?«
»Auf keinen Fall!«
»Wovon redet Ihr überhaupt?«, fragte Jennsen.
»Wir haben einige dringende Probleme«, erklärte Richard. »Vorausgesetzt, du möchtest uns helfen, dann könnte es, denke ich, sein, daß du genau über das entsprechende Talent verfügst, um uns aus einem ernsthaften Dilemma herauszuhelfen.«
»Wirklich? Soll das heißen, Ihr wollt, daß ich Euch begleite?«
»Wenn du dazu bereit wärst«, sagte Kahlan. Sie mußte sich auf Richard stützen.
»Tom«, sagte Richard, »könnten wir...«
»Natürlich!«, rief Tom und kam herbeigeeilt, um Kahlan seinen Arm zu bieten. »Kommt mit. Hinten im Wagen habe ich ein paar gemütliche Decken, auf die Ihr Euch legen könnt – Ihr braucht nur Jennsen zu fragen, sie sind wirklich bequem. Ich fahre Euch auf dem einfachen Weg wieder hinauf.«
»Dafür wären wir Euch sehr dankbar«, sagte Richard. »Es ist fast dunkel. Am besten, wir bleiben über Nacht hier und fahren los, sobald es hell genug ist – und hoffentlich, bevor die Hitze zu groß wird.«
»Die anderen werden wahrscheinlich hinten bei der Mutter Konfessor Platz nehmen wollen«, raunte Tom Jennsen zu. »Wenn Ihr nichts dagegen habt könntet Ihr vorn bei mir auf dem Bock mitfahren.«
»Zuerst müßt Ihr mir etwas verraten – und sagt mir jetzt bitte die Wahrheit«, erwiderte Jennsen. »Wenn Ihr ein Beschützer des Lord Rahl seid, was hättet Ihr von dort drüben aus getan, wenn ich versucht hätte, Richard Rahl etwas anzutun?«
Tom blickte sie mit ernster Miene an. »Jennsen, wenn ich ernstlich geglaubt hätte, daß Ihr das wollt oder dazu imstande seid, hättet Ihr mein Messer zu spüren bekommen, bevor Ihr Gelegenheit dazu gehabt hättet.«
Jennsen lächelte. »Gut. Dann werde ich neben Euch mitfahren. Mein Pferd steht dort oben«, fügte sie hinzu und zeigte an den Säulen der Schöpfung vorbei. »Rusty und ich haben uns richtig aneinander gewöhnt!«
Betty meckerte, als sie den Namen des Pferdes hörte. Lachend kraulte Jennsen den dicken Bauch der Ziege. »Na, erinnerst du dich noch an Rusty?«
Betty bestätigte es mit einem fröhlichen Meckern, während ihre Zicklein ganz in der Nähe ausgelassen herumtollten. Etwas weiter entfernt konnte Jennsen hören, wie der mörderische Oba Rahl danach rief, befreit zu werden. Als ihr klar wurde, daß auch er ihr Halbbruder war, wenn auch ein durch und durch böser, blieb sie stehen und sah sich um.
»Tut mir leid, daß ich so entsetzliche Dinge von Euch gedacht habe«, sagte sie mit einem Blick auf Richard.
Er lächelte, Kahlan im Arm, dann zog er Jennsen mit dem anderen Arm zu sich. »Du hast deinen Verstand gebraucht, als du mit der Wahrheit konfrontiert wurdest. Mehr kann ich von keinem Menschen verlangen.«
Das Gewicht des herabgestürzten Felsens begann die Sandsteinfindlinge zu zermalmen, die die Steinsäule stützten, unter der Oba in der Falle saß. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Oba in seinem unentrinnbaren Gefängnis zerquetscht werden oder andernfalls verdursten würde.
Diese Niederlage auf ganzer Linie würde ihm der Hüter wohl kaum damit vergelten, daß er ihm half. Statt dessen hätte er eine Ewigkeit lang Zeit, ihn für sein Versagen büßen zu lassen.
Oba war ein Mörder. Jennsen vermutete, daß Richard Rahl für einen solchen Menschen oder jemanden, der Kahlan ein Leid zufügte, keinen Funken Erbarmen aufbringen würde. Gegenüber Oba hatte er jedenfalls keines gezeigt.
Oba lag für immer begraben unter den Säulen der Schöpfung.
Am nächsten Morgen nahm Tom sie mit; zwischen den Säulen der Schöpfung hindurch ging es hinaus aus dem Tal. Der Blick in den ersten Morgenstunden, als die Sonne lange Schatten warf und die Landschaft mit eindrucksvollen Farben überzog, war grandios. Sie würden die Ersten sein, die das Tal jemals wieder verlassen konnten, um von diesem Anblick zu berichten.
Rusty – und auch Pete – freuten sich, Jennsen wiederzusehen, und waren völlig ausgelassen, als sie Betty und ihre beiden Zicklein erblickten.
Jennsen betrat in Begleitung von Richard und Kahlan das niedrige Gebäude und stellte fest, daß Sebastian, unfähig seinen Glauben und seine Gefühle miteinander in Einklang zu bringen, Jennsens letzten Wunsch erfüllt hatte.
Er mußte seinen gesamten Vorrat an Bergfieberrosen eingenommen haben und saß nun, die Dose als stummen Zeugen vor sich, tot am Tisch.
Jennsen saß neben Tom und lauschte Richards und Kahlans ausführlichen Erzählungen, wie sie einander gefunden hatten. Jennsen konnte kaum glauben, daß er so ganz anders war. als sie stets angenommen hatte. Nach ihrer Vergewaltigung durch Darken Rahl war seine Mutter zusammen mit Zedd geflohen, um Richard in Sicherheit zu bringen. Richard war in völliger Unkenntnis über das Land namens D’Hara, das Haus Rahl und irgendwelcher magischen Kräfte im fernen Westland aufgewachsen. Kahlan, von echten Quadronen verfolgt, hatte deren Oberbefehlshaber getötet. Unter Richards Herrschaft als Lord Rahl – nachdem er die Schreckensherrschaft Darken Rahls beendet hatte – gab es keine Quadronen mehr.
Читать дальше