Kaum auf den Beinen, wünschte sich Richard, er wäre nicht ganz so überhastet aufgesprungen – die hektische Bewegung hatte ein Schwindelgefühl bei ihm ausgelöst. Dieses seltsam losgelöste Gefühl, so als sähe er jemand anderen reagieren, sprechen und sich bewegen, schien er überhaupt nicht mehr ablegen zu können. Manchmal, wenn er sich zusammenriß und sich voll auf eine Sache konzentrierte, ließ das Gefühl wenigstens teilweise nach, bis er sich zu fragen begann, ob er es sich nicht doch nur eingebildet hatte.
Er spürte Kahlans Hand auf seinem Arm, die ihn festhielt, so als glaubte sie, ihn stützen zu müssen.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte sie sich leise.
Er nickte, ohne Cara und den Fremden aus den Augen zu lassen. Vermutlich hatte er einen leichten Fieberanfall, was auch erklären würde, warum ihn fröstelte, während alle anderen schwitzten.
Ein Fieberanfall wäre allerdings so ziemlich das Letzte, was er in diesem Augenblick gebrauchen konnte. Es standen so wichtige ... wichtige Dinge an – was genau, war ihm offenbar im Augenblick entfallen. Er konzentrierte sich ganz auf den Versuch, sich an den Namen des jungen Fremden zu erinnern, oder zumindest, wo er ihn schon einmal gesehen hatte.
Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne überzogen die Berge im Osten mit einem rosafarbenen Schimmer, während die näheren Hügel in der aufkommenden Dämmerung zu einem zarten Grau verblaßten. Jetzt, da es allmählich dunkel zu werden begann, tauchte das niedrig brennende Lagerfeuer die unmittelbare Umgebung in ein warmes, gelbliches Licht. Richard hatte ihr Kochfeuer klein gehalten, um ihren Standort nicht deutlicher als unbedingt nötig preiszugeben.
»Lord Rahl«, grüßte der Fremde ehrfurchtsvoll, als er das Lager betrat, und senkte zögernd kurz das Haupt, offenbar unsicher, ob es angebracht sei, sich zu verbeugen oder nicht. »Es ist mir eine Ehre, Euch wiederzusehen.«
Er mochte ein paar Jahre jünger sein als Richard und hatte schwarzes, lockiges Haar, das bis knapp auf die breiten Schultern seiner ledernen Jacke fiel. In seinem Gürtel trug er ein langes Messer, aber kein Schwert. Seine Ohren standen weit vom Kopf ab, so daß es aussah, als lauschte er angestrengt auf jedes noch so feine Geräusch. Richard vermutete, daß er sich als kleiner Junge wegen seiner Ohren eine Menge Hänseleien hatte anhören müssen, jetzt aber als Erwachsenem, verliehen ihm seine Ohren einen Ausdruck ernster Aufmerksamkeit. Kräftig wie er war, bezweifelte Richard, daß er sich noch immer irgendwelchen Spott deswegen gefallen lassen mußte.
»Ich ... tut mir leid, aber ich kann mich offenbar nicht recht erinnern ...«
»Oh, wie solltet Ihr auch, Lord Rahl. Ich war doch nur...«
Plötzlich fiel es Richard wieder ein. »Sabar, richtig? Du hast die Schmelzöfen in Priskas Gießerei in Altur’Rang befeuert.«
Sabar strahlte über das ganze Gesicht. »Das ist richtig. Ich kann gar nicht glauben, daß Ihr Euch an mich erinnert.«
Sabar war einer der Männer in Priskas Gießerei, die hatten weiterarbeiten können, weil Richard Priska mit Material belieferte, als niemand sonst sich dazu in der Lage sah. Er hatte begriffen, wie hart Priska schuften mußte, um trotz der unablässigen willkürlichen und oft widersprüchlichen Verordnungen der Imperialen Ordnung den Betrieb in seiner Gießerei aufrechtzuerhalten. Er war bei der Enthüllung der von Richard aus Stein gemeißelten Statue anwesend gewesen und hatte sie noch vor ihrer Zerstörung gesehen. Er hatte auch die Anfänge der Revolution in Altur’Rang miterlebt und an der Seite von Victor, Priska und all den anderen gekämpft, die die entsprechende Gelegenheit sofort beim Schopf ergriffen hatten. Tapfer hatte er für seine persönliche Freiheit, die seiner Freunde und seiner Stadt gekämpft.
Jener eine Tag hatte alles verändert...
Lächelnd sagte Richard zu Cara: »Schon gut, ich kenne diesen Mann.«
»Das hat er mir bereits erzählt.« Sie legte Sabar eine Hand auf die Schulter und drückte ihn hinunter. »Setz dich doch.«
»Genau,«, sagte Richard, froh, daß Cara dabei halbwegs freundlich geblieben war. »Setz dich hin und erzähl uns, was dich herführt.«
»Nicci schickt mich.«
Richard erhob sich, abermals mit einer zu schnellen Bewegung, und auch Kahlan war sofort wieder aufgesprungen. »Nicci? Wir sind doch gerade auf dem Weg zu ihr.«
Sabar nickte und erhob sich halb von seinem Platz, unschlüssig, ob er, weil Richard und Kahlan aufgesprungen waren, aufstehen oder sitzen bleiben sollte.
Cara hatte sich gar nicht erst hingesetzt, sondern, einem Scharfrichter gleich, hinter Sabar Stellung bezogen. Sie hatte den Beginn der Revolution in Altur’Rang miterlebt und erinnerte sich möglicherweise sogar an ihn, im Zweifel spielte dies jedoch keine Rolle. Wenn es um Kahlans oder Richards Sicherheit ging, traute Cara niemandem.
Richard bedeutete Sabar. sitzen zu bleiben. »Wo befindet sie sich jetzt?«, erkundigte er sich.
»Nicci trug mir auf, Euch auszurichten, sie hätte so lange gewartet, wie es nur ging, doch dann hätten dringende Ereignisse sie gezwungen aufzubrechen.«
Richard stieß einen enttäuschten Seufzer aus. »Uns ist auch einiges dazwischengekommen. Wir waren bereits auf dem Weg zu Nicci, mußten dann aber einen Umweg machen. Wir hatten keine andere Wahl.«
Sabar nickte verständnisvoll. »Ich war ziemlich besorgt, als sie zurückkehrte und berichtete, Ihr wärt am vereinbarten Treffpunkt nicht erschienen, bis sie uns schließlich erklärte, Ihr wärt bestimmt wegen einer dringenden Angelegenheit verhindert.
Auch Victor Cascella, der Schmied, war überaus besorgt, als Nicci uns davon erzählte. Er war davon ausgegangen, Ihr würdet mit Nicci zurückkommen, und sagte, er kenne noch andere Orte, Orte, wo er und Priska gelegentlich zu tun hätten, um Materialien und Ähnliches zu besorgen, die ebenfalls kurz vor einem Aufstand stünden. Die Menschen dort hätten von den Geschehnissen in Altur’Rang und vom Sturz der Imperialen Ordnung gehört und daß es den Menschen dort allmählich besser gehe. Er kenne ein paar freiheitsliebende Männer in diesen Orten, die, wie wir früher auch, größte Mühe hätten, unter der Tyrannei der Imperialen Ordnung ihr Auskommen zu finden, und die sich nach Freiheit sehnen. Sie haben Victor um Hilfe gebeten.
Einigen Ordensbrüdern der Bruderschaft der Imperialen Ordnung ist es gelungen, aus Altur’Rang zu fliehen. Sie sind in diese Orte gegangen, um sicherzustellen, daß der Aufstand sich nicht bis dort ausweitet. Dabei gehen sie mit ungeheurer Grausamkeit gegen jeden vor, der sich eines Umsturzversuches verdächtig macht, was schon zahllose Menschen das Leben gekostet hat – Unschuldige, aber auch solche, die im Kampf für den Sturz der Imperialen Ordnung unverzichtbar sind.
Mittlerweile sind die Ordensbrüder in sämtliche wichtigen Städte ausgeschwärmt, um sich die Kontrolle über die Regierungseinrichtungen zu sichern. Einige dieser Priester haben sich bestimmt bereits auf den Weg gemacht, um Jagang vom Fall der Stadt Altur’Rang, vom Verlust zahlreicher Beamten während der Kämpfe dort und vom Tod Bruder Narevs sowie des engsten Kreises seiner Anhänger zu unterrichten.«
»Jagang weiß längst von Bruder Narevs Tod«, warf Jennsen ein und reichte ihm einen Becher Wasser.
Sabars Lächeln war seine Genugtuung über ihre Bemerkung anzusehen. Er dankte ihr für das Wasser, dann beugte er sich vor zu Richard und Kahlan und fuhr mit seiner Geschichte fort.
»Priska ist überzeugt, daß die Imperiale Ordnung den Erfolg des Aufstandes in Altur’Rang mit aller Gewalt wieder rückgängig machen will; etwas anderes kann sie sich auch gar nicht erlauben. Seiner Meinung nach sollten wir uns nicht um die Ausweitung der Revolution sorgen, sondern Vorkehrungen zu unserer Verteidigung treffen und jeden Mann bereithalten, da die Imperiale Ordnung gewiß zurückkehren wird, um die Bevölkerung Altur’Rangs bis auf den letzten Mann niederzumetzeln.«
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