Ein Grinsen ging über Sabars Gesicht. »Dann war es also gar nicht so unvernünftig von mir, mich zu fürchten.«
»Ganz und gar nicht. Konntest du erkennen, wie weit dieses Gebiet reichte? War es dort, an dieser einen Stelle, mehr als nur ein kleiner Flecken nackten Felsgesteins? Konntest du sehen, ob dieser Streifen gerade verlief, entlang einer Linie mit eindeutiger Richtung?«
»Ja, ganz recht, es war eine gerade Linie, genau wie Ihr sagt.« Sabar deutete mit einer unbestimmten Handbewegung Richtung Osten. »Sie kam von den fernen Bergen dort, etwas nördlich des Einschnitts dort.« Die Hand flach wie ein Hackmesser, wies er mit einer scharfen Abwärtsbewegung in die entgegengesetzte Richtung. »Nach Südwesten verlief sie sich dort drüben in der Ödnis.«
Bei den Säulen der Schöpfung.
Kahlan beugte sich zu den beiden und meinte mit leiser Stimme: »Demnach verlief sie nahezu parallel jener Grenze, die wir nicht sehr weit südlich von hier passiert haben. Aber warum sollte es in unmittelbarer Nachbarschaft zwei solcher Grenzen geben? Das ergibt doch keinen Sinn.«
»Das weiß ich auch nicht«, raunte Richard ihr zu. »Vielleicht war das, wovor die Grenze schützen sollte, so gefährlich, daß, wer immer sie dort eingerichtet hat, eine für nicht ausreichend hielt.«
Kahlan rieb sich fröstelnd die Oberarme, enthielt sich aber einer Erwiderung. Richard glaubte ihrem Gesichtsausdruck ohnehin entnehmen zu können, welche Gefühle diese Vorstellung bei ihr auslöste – insbesondere, wenn man bedachte, daß die Grenzen jetzt nicht mehr existierten.
»Wie auch immer«, sagte Sabar und zuckte verlegen die Achseln. »Ich war jedenfalls froh, nicht umgekehrt zu sein.«
»Ich bin auch froh, Sabar. Ich glaube, das Gebiet, das du durchquert hast, ist schon seit geraumer Zeit nicht mehr gefährlich, jedenfalls nicht mehr so wie einst.«
Jennsen konnte ihre Neugier nicht länger bezähmen. »Wer ist eigentlich diese Nicci?«
»Nicci ist eine Hexenmeisterin«, erklärte Richard, »die früher einmal eine Schwester der Finsternis war.«
Jennsen machte ein erstauntes Gesicht. »Früher?«
Richard nickte. »Sie war Jagang bei der Durchsetzung seiner Ziele behilflich, bis sie ihren Irrtum erkannte und sich auf unsere Seite schlug.« Es war eine Geschichte, auf die er nur ungern näher eingehen mochte. »Jedenfalls kämpft sie jetzt für uns. Sie hat uns schon unschätzbare Hilfe geleistet.«
Als sie sich erneut vorbeugte, schien sie noch erstaunter als zuvor. »Aber kannst du einem solchen Menschen trauen, einem Menschen, der sich mit seiner ganzen Kraft bereits für Jagang eingesetzt hat? Noch dazu einer Schwester der Finsternis? Ich habe einige dieser Frauen aus nächster Nähe erlebt, Richard, ich weiß, wie skrupellos sie sind. Mag sein, daß sie tun müssen, was Jagang ihnen befiehlt, aber eigentlich sind sie dem Hüter der Unterwelt ergeben. Glaubst du wirklich, du kannst bei deinem Leben darauf vertrauen, daß sie dich nicht verrät?«
Richard blickte Jennsen tief in die Augen. »Dir habe ich ein Messer anvertraut, während ich schlief.«
Jennsen richtete sich lächelnd wieder auf – mehr aus Verlegenheit denn aus einem anderen Grund, vermutete Richard. »Ich denke, ich verstehe, was du meinst.«
»Was hat Nicci sonst noch gesagt?«, drängte Kahlan, ungeduldig, zum eigentlichen Thema zurückzukehren.
»Nur, daß ich mich an ihrer Stelle mit Euch treffen soll«, antwortete Sabar.
Richard wußte, daß Nicci aus Vorsicht so gehandelt hatte und diesem jungen Mann, für den Fall, daß er aufgegriffen wurde, nicht zuviel hatte erzählen wollen.
»Woher wußte sie denn, wo ich mich befinde?«
»Sie sagte, sie könne mit Hilfe von Magie feststellen, wo Ihr gerade seid. Nicci ist ebenso mächtig im Umgang mit Magie wie schön.«
Sabar hatte dies im Tonfall ehrfürchtiger Scheu gesagt, dabei konnte er ihre wahren Fähigkeiten nicht einmal ahnen. Nicci war eine der mächtigsten Hexenmeisterinnen, die je gelebt hatten. Ebenso wenig wußte er, daß Nicci als sie sich noch für die Ziele der Imperialen Ordnung eingesetzt hatte, unter dem Namen Herrin des Todes bekannt gewesen war.
Vollblütige D’Haraner wie Cara vermochten über die Bande den Aufenthaltsort des Lord Rahl festzustellen. Kahlan hatte ihm einmal gestanden, wie entnervend sie es bisweilen fand, daß Cara stets wußte, wo er sich befand. Nicci war zwar keine D’Haranerin, aber sie war Hexenmeisterin und deshalb auch über die Bande mit Richard verbunden; möglicherweise hatte sie die Bande also dahingehend beeinflussen können, daß sie ihr seinen Aufenthaltsort verrieten.
»Aber Nicci hat dich doch gewiß nicht nur zu uns geschickt, um uns ausrichten zu lassen, daß sie am Treffpunkt nicht auf uns warten kann.«
»Ja. natürlich«, erwiderte Sabar unter heftigem Nicken, so als wäre es ihm peinlich, daran erinnert zu werden. »Als ich fragte, was ich Euch denn nun ausrichten soll, erklärte sie, sie habe alles in einem Brief aufgeschrieben.« Sabar schlug die Lederklappe an seiner Gürteltasche zurück. »Sie sagte, als ihr bewußt wurde, wie weit Ihr tatsächlich entfernt seid, sei sie bestürzt gewesen, da sie die Zeit nicht erübrigen könne. Euch persönlich aufzusuchen. Um so wichtiger sei es deshalb, daß ich Euch auf jeden Fall finde und den Brief aushändige. Dann meinte sie noch, der Brief würde erklären, warum sie nicht warten konnte.«
Sabar zog den Brief vorsichtig mit Daumen und Zeigefinger aus der Tasche; dabei machte er ein Gesicht, als hielte er eine tödliche Viper in den Fingern und nicht eine kleine, mit Wachs versiegelte Papierrolle.
»Nicci hat mich darauf hingewiesen, wie überaus gefährlich der Brief ist«, fügte er erklärend hinzu, als er Richards Blick bemerkte. »Sie meinte, falls nicht Ihr, sondern jemand anderer ihn öffnete, sollte ich nicht in der Nähe bleiben, da ich sonst ebenfalls getötet würde.«
Er legte den zusammengerollten Brief behutsam in Richards geöffnete Hand, wo er sich sofort spürbar erwärmte. Obwohl es längst dämmerte, leuchtete das rote Siegelwachs auf, als wäre ein Sonnenstrahl darauf gefallen. Das Leuchten breitete sich vom Siegelwachs über den Brief aus, bis es diesen der Länge nach erfaßt hatte. Plötzlich bildeten sich feine Risse im roten Wachs, gleich dem ersten, noch dünnen Eis eines Teiches, das unter dem Gewicht eines darauf tretenden Fußes zerspringt. Schließlich platzte das Wachs auf und zerfiel in kleine Brocken.
Sabar schluckte. »Ich möchte mir lieber nicht vorstellen, was passiert wäre, hätte ein anderer ihn zu öffnen versucht.«
Jennsen steckte erneut den Kopf vor. »War das etwa Magie?«
»Ich wüßte nicht, was sonst«, meinte Richard, während er daranging, den Brief auseinander zu rollen.
»Aber ich habe doch gesehen, wie das Wachs zersprang«, raunte sie ihm in vertraulichem Ton zu.
»Hast du außerdem noch etwas beobachtet?«
»Nein, nur wie es ganz plötzlich zerfiel.«
Mit Daumen und Zeigefinger pflückte Richard ein kleines Stückchen des zerborstenen Siegels von seiner Handfläche. »Vermutlich hat sie den Brief mit einem magischen Netz umgeben und den Zauber auf meine Berührung abgestimmt. Hatte ein anderer versucht, das Netz aufzubrechen und den Brief zu öffnen, wäre der Zauber ausgelöst worden. Ich schätze, meine Berührung hat das Siegel geöffnet. Demnach hast du nur das Ergebnis der Magie gesehen – das erbrochene Siegel –, nicht aber die Magie selbst.«
»Augenblick!« Sabar schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Wo bin ich nur mit meinen Gedanken? Das hier soll ich Euch ebenfalls geben.«
Er ließ die Gurte von seinen Schultern gleiten, streifte sie über seine Arme und nahm den Rucksack auf den Schoß. Mit hastigen Bewegungen löste er die Lederriemen, langte hinein und nahm behutsam einen in schwarzen, gesteppten Stoff gehüllten Gegenstand heraus. Er war nur etwa einen Fuß lang und nicht übermäßig umfangreich. So, wie Sabar mit ihm hantierte, schien er nicht ganz leicht zu sein.
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