Tom bahnte sich eine blutige Schneise durch die Angreifer, während Cara sie reihenweise mit ihrem Strafer fällte. Überraschte Schmerzensschreie zerrissen die nächtliche Stille, während Richard einem vom Wind getragenen Schatten gleich unter seinen Gegnern wütete.
Augenblicke später senkte sich bereits wieder Stille über die Nacht. Richard, Tom und Cara hatten den gegnerischen Mob ausgeschaltet, ehe auch nur einer ihrer Begleiter auf die Gefahr reagieren konnte, die völlig unvermittelt aus der Dunkelheit über sie hereingebrochen war. Sie hatten kaum Zeit zu verschnaufen, da stürmte Richard bereits weiter Richtung Brücke.
Dort stießen sie auf zwei Soldaten der Imperialen Ordnung, die, ihre Lanzen senkrecht neben sich, nachlässig Wache standen. Zwei Schwerthiebe später überquerte die kleine Gruppe die Brücke, ohne auf weiteren Widerstand zu stoßen, und tauchte in die dunklen Schatten zwischen den eng beieinander stehenden Gebäuden ein. Bei jeder Abzweigung wies Owen Richard die Richtung, während sie weiter auf die Stelle zuhielten, wo Owen das Gegenmittel versteckt und an seiner Stelle jenen Brief vorgefunden hatte.
Als sie das düstere Zentrum dieser Stadt aus winzigen, gedrungenen und meist einstöckigen Häusern erreicht hatten, riß Owen Richard plötzlich zurück und zwang ihn, stehen zu bleiben. »Lord Rahl, dort vorn an der Ecke müssen wir nach rechts abbiegen. Kurz dahinter befindet sich ein Platz, auf dem öfters Versammlungen abgehalten werden. Auf der gegenüberliegenden Seite dieses Platzes werdet ihr ein Gebäude sehen, das höher ist als alle anderen ringsum. Dort ist es. Von einer kleinen Seitenstraße unmittelbar daneben geht eine Gasse ab, die hinter dem Gebäude vorbeiführt. Auf diesem Weg bin auch ich beim ersten Mal in das Gebäude gelangt.«
Richard nickte. »Gehen wir.«
Er brach auf ohne abzuwarten, ob die übermüdeten Männer ihm folgten. Es dauerte nicht lange, und geradeaus vor ihm lag der von Bäumen und Bänken gesäumte Platz. Das Gebäude drüben auf der anderen Seite lag in Trümmern; nur noch ein paar rauchende Balken waren von ihm übrig. Eine kleine Menschenmenge hatte sich eingefunden und begaffte die Stelle, wo Stunden zuvor offenbar noch ein gewaltiges Feuer gewütet hatte.
»Bei den Gütigen Seelen«, entfuhr es Jennsen entsetzt. Sie schlug sich die Hand vor den Mund, um den quälenden Gedanken, der jedem von ihnen sofort durch den Kopf schoß, nicht laut auszusprechen.
»Sie war bestimmt nicht dort«, antwortete Richard auf ihre unausgesprochene Befürchtung. »Nicholas hätte sie gewiß nicht hierher gebracht, nur um sie umzubringen.«
»Aber warum dann das?«, fragte Anson. »Warum sollte er das Gebäude niedergebrannt haben?«
Richard sah zu, wie die Rauchfahnen in der kühlen Nachtluft langsam kräuselnd gen Himmel stiegen, wie all seine Hoffnungen sich in Rauch auflösten. »Um mir zu verstehen zu geben, daß er sie in seiner Gewalt hat und ich sie niemals finden werde.«
»Lord Rahl«, raunte Cara ihm leise zu, »ich denke, wir sollten besser von hier verschwinden.«
Erst jetzt bemerkte Richard, daß in den Schatten rings um das niedergebrannte Gebäude Hunderte Soldaten lauerten, die zweifellos nur darauf warteten, sie zu ergreifen.
»Genau das hatte ich befürchtet«, sagte Owen. »Deswegen habe ich uns auf Umwegen in die Stadt geführt. Seht ihr die Straße dort drüben, wo es von Soldaten nur so wimmelt? Das ist die Verlängerung der Brücke, über die wir gekommen sind.«
»Wieso sind sie stets bestens informiert, wo wir uns befinden, wohin wir gehen und wann?«, flüsterte Jennsen verzweifelt.
Cara packte Richard am Hemd und wollte ihn zurückziehen. »Es sind zu viele; abgesehen davon wissen wir nicht wie viele außerdem noch in der Nähe sind. Wir müssen uns zurückziehen.«
Richard gestand es sich nur äußerst widerstrebend ein, aber sie hatte recht.
»Wir haben Männer die auf uns warten«, erinnerte ihn Tom. »Und zu denen noch viele weitere stoßen werden.«
Richards Gedanken rasten. Wo konnte sie nur sein?
Schließlich nickte er. Noch im selben Augenblick packte Cara ihn beim Arm, und schon hasteten sie zusammen in den Schutz der Dunkelheit.
Was ihnen hier bevorstand, war etwas völlig anderes als bisher. Es würde eine Schlacht von einer Größenordnung werden, wie sie ihnen bislang unbekannt war. Schlimmer, sie würde in einer Stadt stattfinden, die sich den Zielen der Imperialen Ordnung größtenteils freiwillig verschrieben hatte. Von der Bevölkerung war demnach keine große Hilfe zu erwarten.
Richard stand vor den Männern und hoffte, ihnen irgend etwas an die Hand geben zu können, das ihnen half, den Sieg davonzutragen.
»Ich hatte gehofft, wir würden nicht gezwungen sein, es auf diese Weise zu tun«, begann er. »Ich hatte gehofft, wir könnten so ähnlich vorgehen wie zuvor, als wir Feuer und Gift eingesetzt haben, so daß keiner von euch verletzt würde. Doch diese Möglichkeit ist uns nun verwehrt. Nicholas weiß, daß wir hier sind; wenn wir zu fliehen versuchen, werden seine Leute uns verfolgen. Einigen von uns würde die Flucht vielleicht sogar gelingen ... für eine Weile jedenfalls.«
»Wir sind es leid, immer nur davonzulaufen«, warf Anson ein.
»Das stimmt«, bestätigt Owen. »Nach unseren Erfahrungen führt fortzulaufen und sich zu verkriechen stets zu noch größerem Leid.«
Richard nickte. »Dem kann ich nur zustimmen. Aber über eins müßt ihr euch im Klaren sein: Einige von uns werden am heutigen Tag wahrscheinlich sterben, vielleicht sogar die meisten. Möglicherweise sogar wir alle. Wenn also jemand nicht kämpfen möchte, müssen wir das jetzt wissen. Sind wir erst in der Stadt, müssen wir uns blind aufeinander verlassen können.«
Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, ging er langsam vor ihnen auf und ab. In dem trüben Licht war es schwierig, ihre Gesichter zu erkennen. Andererseits wußte Richard, daß ihm die Zeit davonlief. Sein Augenlicht würde zunehmend schlechter werden, und das Gleiche galt für sein Schwindelgefühl.
Er wußte auch, daß er nie wieder gesund werden würde. Wenn er also eine Chance haben wollte, Kahlan aus der Gewalt der Imperialen Ordnung zu befreien, dann würde dies sofort geschehen müssen – entweder mit Hilfe dieser Männer oder ohne sie.
Als niemand erklärte, er wolle aufgeben, fuhr Richard fort: »Aus zwei Gründen müssen wir an ihre Befehlshaber herankommen: zum einen, um herauszufinden, wo die Mutter Konfessor gefangen gehalten wird, und zweitens, um sie auszuschalten, damit sie ihre Soldaten nicht im Kampf gegen uns anführen können. Mittlerweile ist jeder von euch im Besitz einer Waffe; darüber hinaus haben wir euch, in der wenigen Zeit, die uns zur Verfügung stand, nach besten Kräften in ihrem Gebrauch unterrichtet. Aber da ist noch etwas, was ihr wissen müßt. Ihr werdet Angst haben. Genau wie ich auch. Und um diese Angst zu überwinden, müßt ihr euch eure Wut zunutze machen.«
»Wut?«, unterbrach ihn einer. »Wie sollen wir wütend werden, solange wir Angst haben?«
»Diese Soldaten haben eure Frauen vergewaltigt, eure Schwestern, Mütter, Töchter, Tanten, Nichten und Nachbarn«, fuhr Richard fort, indem er weiter auf und ab ging. »Denkt daran, wenn ihr den Feinden in die Augen seht. Sie haben fast alle eure Frauen verschleppt. Jeder von euch weiß, zu welchem Zweck. Sie haben Kinder gefoltert, um euch zur Aufgabe zu zwingen. Denkt an das Grauen eurer Kinder, als sie, vor Angst und Schmerzen schreiend, mutterseelenallein in einer Lache ihres eigenen Blutes sterben mußten, nachdem diese Soldaten sie verstümmelt hatten.«
Richards flammender Zorn übertrug sich auf seine Ansprache. »Denkt daran, wenn ihr sie mit siegesgewissem Grinsen auf euch zukommen seht. Diese Männer haben Menschen gefoltert, die ihr liebtet, Menschen, die ihnen nie ein Leid angetan haben. Denkt daran, wenn diese Männer sich mit ihren Händen, an denen Blut klebt, auf euch stürzen.
Читать дальше