»Demnach können wir dem Tag, da die Burg wieder in unsere Hände fällt und Jagang endgültig jede Hilfe beim Durchbruch des Passes nach D’Hara verwehrt wird, also mit einiger Zuversicht entgegensehen.«
Verna gab ein Zeichen mit ihrem Arm, worauf die vier Paare, die an der Rückseite des Wagens standen, zögernden Schritts mit ihren Kindern näher kamen.
»Willkommen in D’Hara«, begrüßte sie Verna. »Hier seid Ihr in Sicherheit.«
»Vielen Dank, daß Ihr uns bei der Flucht aus dem Lager geholfen habt«, sagte einer der Männer mit einer höflichen Verbeugung zu Adie. »Jetzt schäme ich mich, was für schreckliche Dinge ich über Euch gedacht habe.«
Adie lächelte amüsiert, während sie seine Schulter mit ihren dürren Fingern drückte. »Mag sein. Aber das kann ich Euch nicht vorwerfen.«
Das Mädchen, das schon beim letzten Mal die Nachricht überbracht hatte, zupfte an Vernas Kleid. »Das sind meine Eltern. Ich hab ihnen erzählt, wie nett du zu mir warst.«
Verna ging in die Hocke und nahm das Mädchen in die Arme. »Willkommen, Kleines. Herzlich willkommen.«
Aus einem unerfindlichen Grund war Richard nicht minder angespannt als seine Bogensehne. Deutlich spürte er, daß etwas nicht stimmte, ohne jedoch zu wissen, was. Man hätte glauben können, dies sei eine idyllische Mondscheinnacht im Wald, doch Richards Verhalten, gepaart mit der bedrückenden Stille, bewirkte, daß über allem ein Gefühl dunkler Vorahnung lag.
Dank des Gegenmittels aus Northwick hatte sich Richards Zustand leicht gebessert; eine Weile hatte sich die Ausbreitung seiner Vergiftungssymptome verzögert, mittlerweile jedoch klang die vorübergehende Besserung bereits wieder ab. Kahlan war so in Sorge um ihn, daß es ihr den Appetit verschlagen hatte.
Mittlerweile begleitete sie mehr als die doppelte Anzahl Männer; zudem näherte sich eine noch weit größere Zahl auf anderen Wegen der Stadt Hawton. Diese anderen Gruppen beabsichtigten, die kleineren, in den Dörfern entlang der Strecke stationierten Einheiten der Soldaten der Imperialen Ordnung auszuschalten, während Richard, Kahlan und ihr Trupp so schnell wie möglich Richtung Hawton vorstoßen und dabei ganz bewußt jede Feindberührung vermeiden wollten, um dort zu sein, ehe Nicholas und seine Soldaten überhaupt Wind davon bekamen, daß sie unterwegs waren. Solange sie unbemerkt blieben, war ihre Chance, die letzte Dosis des Gegenmittels in die Hände zu bekommen, am größten.
Sobald sie dies geschafft hatten, konnten sie sich mit den übrigen Trupps zum entscheidenden Schlag zusammenschließen. Wenn es ihnen gelang, zunächst Nicholas auszuschalten, würde dies, dessen war Kahlan sicher, einen Sieg über die restlichen Truppen der Imperialen Ordnung erheblich erleichtern und weniger riskant machen. Falls sie eine Möglichkeit fand, in seine Nähe zu gelangen, würde sie ihn, so ihr Plan, mit ihrer Kraft berühren. Sie war allerdings klug genug gewesen, dies Richard zu verschweigen, da er niemals zugestimmt hätte.
Völlig unerwartet stieß sie gegen Richards ausgestreckten Arm. Sie faßte sich erschrocken an die Brust, auf ihr wild pochendes Herz, drehte sich dann herum und gab das Zeichen zum Stehenbleiben an die hinter ihr Gehenden weiter. Nach wie vor herrschte im Wald völlige Stille – nicht einmal das Summen einer Mücke war zu hören.
Richard ließ seinen Rucksack vom Rücken gleiten, stellte ihn auf einen niedrigen Felsen und begann darin herumzusuchen.
Kahlan beugte sich zu ihm herunter und fragte mit leiser Stimme: »Was hast du vor?«
»Feuer machen. Wir brauchen Licht. Gib nach hinten durch, ein paar Männer sollen ihre Fackeln hervorholen.«
Während Richard sein Feuerzeug herausnahm, gab Kahlan Cara leise Anweisungen, die diese wiederum nach hinten weitergab. Augenblicke später näherten sich, Fackeln in den Händen, mehrere Männer auf Zehenspitzen.
Er nahm einen Zweig vom Boden auf und tauchte ihn kurz in ein Gefäß aus seinem Rucksack, anschließend wischte er den Zweig an einer vorspringenden Stelle des Felsens ab.
»Ich habe auf den Felsen hier etwas Harz aufgetragen«, erklärte er den Männern, die sich um ihn versammelt hatten, leise. »Haltet eure Fackeln darüber, damit sie sofort Feuer fangen, wenn ich einen Funken schlage und das Harz sich entzündet.«
Föhrenharz, sorgfältig von fauligen Bäumen gesammelt, war beim Feuermachen im Regen überaus nützlich, da es sich selbst im nassen Zustand leicht mit einem Funken entzünden ließ. Dabei entwickelte es oftmals eine solche Hitze, daß selbst feuchtes Holz rasch Feuer fing.
Im Dunkeln war Richard schon immer in seinem Element gewesen. Nie hatte Kahlan beobachtet, daß er in einer solchen Situation Licht benötigt hätte. Angestrengt starrte sie hinaus in die Nacht und fragte sich, was dort draußen, unsichtbar für sie alle, wohl lauern mochte.
»Cara«, flüsterte Richard, »gebt nach hinten durch, daß alle ihre Waffen ziehen sollen. Sofort.«
Ohne Zögern drehte Cara sich herum, um den Befehl weiterzugeben. Nach einer scheinbar endlosen Zeit völliger Stille, unterbrochen nur vom leisen Scharren von Stahl auf Leder erfolgte die Bestätigung. Sie beugte sich vor zu Richard. »Erledigt.«
Richard sah hoch zu Kahlan und Jennsen. »Ihr beide auch.«
Kahlan zog ihr Schwert, Jennsen ihren Dolch mit dem verzierten R auf dem Silbergriff.
Richard schlug einen Funken. Das Föhrenharz entzündete sich mit einem wütenden Fauchen; alle Fackeln fingen Feuer, und plötzlich wurde es inmitten des tiefdunklen Waldes hell.
Die unvermittelt grelle Helligkeit bewog alle, sich im Kreis zu drehen und um sich zu blicken, um zu sehen, was sich in der Dunkelheit ringsumher verbarg.
Ein entsetztes Aufstöhnen. Überall in den Bäumen ringsum hockten schwarz gezeichnete Riesenkrähen, die die Eindringlinge stumm beobachteten.
In diesem ersten Augenblick unvermittelt aufleuchtender Helligkeit verharrte alles bis auf die flackernden Flammen vollkommen regungslos. Dann stürzten sich die Riesenkrähen plötzlich mit einem wilden Aufschrei auf sie.
Von allen Seiten gleichzeitig fielen die großen Vögel über sie her. Schlagartig war die Nachtluft erfüllt von einem Gewirr aus schwarz glänzenden Federn, wild umsichschlagenden Riesenflügeln, gekrümmten Schnäbeln und reißenden Krallen. Nach der langen Stille war der Lärm der durchdringenden Schreie und schlagenden Flügel ohrenbetäubend laut.
Die Menschen wehrten die Attacke an allen Fronten wild entschlossen ab. Einige Männer wurden zu Boden gestoßen oder gerieten ins Stolpern und stürzten hin, andere versuchten sich unter wüstem Fluchen mit einem Arm zu schützen, während sie gleichzeitig mit dem anderen den Angriff zurückschlugen. Hockte eine Riesenkrähe auf einem ihrer Kameraden, wurde sie augenblicklich in Stücke gehackt.
Überall stach, säbelte und hackte jeder auf die wild anstürmenden Raubvögel ein, nicht wenige benutzten ihre Fackeln als Waffe. Die Nacht war erfüllt vom Kreischen der Vögel, vom Flattern schlagender Flügel vom satten Geräusch der mit tödlicher Wirkung zuschlagenden Waffen. Mit jedem Treffer gerieten Vögel ins Trudeln und stürzten ab, doch schon folgten weitere, die ihren Platz einnahmen. Sie schienen aus den umstehenden Bäumen geradezu auf sie herniederzuprasseln. Verwundete und sterbende, sich in den letzten Zuckungen windende Tiere verwandelten den Waldboden in ein wimmelndes Meer aus schwarzen Federn. Die Heftigkeit dieser Attacke war furchteinflößend.
Und dann war es mit einem Schlag vorbei, war auch das letzte dieser Tiere endgültig verstummt. Aus dem Himmel folgten keine Riesenkrähen mehr nach.
Ein Haufen toter Vögel umgab Richard wie von einem Sturm herangewehter Schnee.
Völlig außer Atem reckten die Männer ihre Fackeln in die Höhe, spähten in das Dunkel jenseits ihres Lichtscheins und hielten Ausschau, ob von oben weiterer Ärger zu erwarten war; doch bis auf das leise Zischen der Fackeln blieb die Nacht totenstill. Die Äste der Bäume ringsumher schienen verlassen.
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