Aber da ein Husten jetzt fatale Folgen haben konnte, schluckte er und versuchte, den Drang zu unterdrücken. Schon der geringste Lärm konnte die Soldaten alarmieren.
Als Owen in die Gasse einbog, folgten Richard, Kahlan, Cara, Jennsen, Tom, Anson sowie eine Hand voll ihrer Leute im Gänsemarsch. In den zur Straße hinausgehenden Fenstern hatte kein einziges Licht gebrannt; als die kleine Gruppe sich jetzt dicht an den Häuserwänden vorbei durch die Gasse bewegte, sah Richard nicht einmal mehr Fenster. Einige der Rückfronten besaßen jedoch eine Tür.
Bei einem schmalen Spalt zwischen zwei Gebäuden bog Owen erneut ab und folgte einem mit Ziegeln gepflasterten Weg, der kaum breiter war als Richards Schultern.
Richard packte Owen beim Arm. »Ist dies der einzige Eingang?«
»Nein. Seht Ihr, dort vorn? Der Pfad geht durch bis zur Straße an der Vorderseite, dort gibt es noch einen zweiten Eingang, durch den man bis auf die andere Seite des Gebäudes gelangt.«
Richard, zufrieden, daß es einen zweiten Fluchtweg gab, nickte ihm kurz zu, dann stiegen sie durch den dunklen Treppenschacht hinunter bis zu einem im Untergeschoß gelegenen Raum. Tom mußte seinen Feuerstein etliche Male gegen den Stahl schlagen, bis es ihm endlich gelang, eine Kerze anzuzünden.
Als sie endlich brannte, sah Richard sich in dem kleinen, leeren, fensterlosen Raum um. »Wo sind wir hier?«
»Im Keller des Palasts«, sagte Owen.
Richard sah ihn fragend an. »Und was tun wir hier?«
Owen zögerte verlegen und warf einen Blick auf Kahlan.
Sie hatte den Blick bemerkt und drückte Richard herunter, bis er auf dem Boden saß und mit dem Rücken an der Wand lehnte. Sofort zwängte sich die fußwunde Betty zwischen den anderen hindurch und legte sich, froh über die Pause, neben ihn. Jennsen kauerte sich neben ihrer Ziege nieder, während Cara von der anderen Seite her an Richard heranrückte.
Schließlich ging Kahlan vor ihm in die Hocke und setzte sich auf die Fersen. »Ich selbst habe Owen gebeten, uns hierher zu bringen, Richard – an einen Ort, wo wir sicher sind. Wir können nicht alle in dieses Gebäude hinein, um das Gegenmittel zu beschaffen.«
»Vermutlich hast du Recht; das ist eine gute Idee. Owen und ich gehen allein, während ihr anderen hier wartet, wo euch niemand bemerken wird.«
Er machte Anstalten, sich zu erheben, doch Kahlan drückte ihn wieder nach unten. »Richard, du mußt hier warten. Du kannst nicht gehen; dir wird schwindelig. Außerdem mußt du deine Kräfte schonen.«
Richard starrte in ihre grünen Augen. Augen, die ihn stets bezaubert hatten, die alles außer ihr hatten unwichtig erscheinen lassen. Sie war für ihn das Wichtigste im Leben, sie bedeutete ihm alles.
»Ich fühle mich kräftig genug«, erklärte er. »Ich komme schon zurecht.«
»Wenn du in dem Gebäude, wo sich die Soldaten befinden, nur ein einziges Mal hustest, wird man dich umgehend gefangennehmen und dort nicht mehr herauslassen – erst recht nicht mit dem Gegenmittel. Man würde euch beide gefangennehmen, und was würde dann aus uns? Was würde passieren, wenn ...?« Sie ließ den Satz unbeendet und strich sich eine verirrte Strähne ihres Haars hinters Ohr. »Schau, Richard. Owen war bereits einmal dort – dann schafft er es auch ein zweites Mal.«
Richard sah die Verzweiflung in ihren Augen; sie hatte entsetzliche Angst, ihn zu verlieren. Unter keinen Umständen wollte er daß sie sich seinetwegen ängstigte.
»Sie hat Recht, Lord Rahl«, versicherte ihm Owen. »Ich werde das Gegenmittel holen und Euch bringen.«
»Und während wir hier warten, kannst du dich ein wenig ausruhen«, sagte Kahlan. »Ein wenig schlafen ist das Beste, was du tun kannst, bis sie dir das Gegenmittel bringen.«
Richard vermochte nicht zu bestreiten, daß er unsäglich müde war, trotzdem behagte ihm die Vorstellung, nicht selbst zu gehen, kein bißchen.
»Tom könnte ihn doch begleiten«, schlug Cara vor.
Richard blickte hoch in Caras blaue Augen, sah wieder in Kahlans Augen und wußte, er hatte die Auseinandersetzung verloren.
»Wie weit ist es bis dorthin?«, wandte er sich an Owen.
»Noch ein gutes Stück. Hier befinden wir uns erst in den Außenbezirken der Stadt. Ich wollte uns an einen Ort bringen, wo es ziemlich unwahrscheinlich ist, daß wir auf Soldaten stoßen. Das Gegenmittel befindet sich höchstens eine Stunde von hier. Ich hielt es für das Beste, wenn wir für den Fall, daß wir schnell verschwinden müssen, nicht allzu weit in die Stadt vordringen, gleichzeitig aber weit genug, damit Ihr nicht so lange auf das Gegenmittel warten müßt.«
Richard nickte. »Also gut. Wir werden hier auf dich und Tom warten.« Während Kahlan in dem kleinen, feuchten Kellerraum auf und ab lief, saßen die anderen an die Wand gelehnt da und warteten schweigend. Die Anspannung war beinahe unerträglich; sie erinnerte viel zu sehr an eine Totenwache.
Das Ziel war so greifbar nahe, daß es plötzlich in unerreichbare Ferne gerückt schien. Sie hatten schon so lange gewartet, daß ihr das bißchen Zeit, das sie jetzt noch ausharren mußten, wie eine nicht enden wollende Ewigkeit vorkam. Kahlan beschwor sich, ruhiger zu werden. Nur noch kurze Zeit, dann würde Richard das Gegenmittel bekommen, und es würde ihm wieder besser gehen. Danach wäre er endlich von dem Gift geheilt.
Was aber, wenn es nicht funktionierte, wenn schon zu viel Zeit vergangen und er unrettbar verloren war? Nein, der Alte, der Gift und Gegenmittel hergestellt hatte, hatte Owen versichert, die letzte Dosis des Gegenmittels würde Richard endgültig kurieren.
Und wenn ihm doch ein Fehler unterlaufen war?
Kahlan rieb sich, während sie auf und ab ging, die Schultern und schalt sich, weil sie unaufhörlich neue Probleme erfand, über die sie sich den Kopf zerbrechen konnte. Sie hatte bereits genug Probleme, auch ohne daß sie ihre Phantasie mit sich durchgehen ließ. Zuerst würden sie das Gegenmittel beschaffen und sich erst danach Richards Problem mit der Gabe widmen. Anschließend mußten sie sich dann mit den gewichtigeren Fragen wie Jagang und seiner Armee befassen.
Als ihr Blick auf Richard fiel und sie sah, daß er in einen tiefen Schlummer gesunken war, beschloß sie, nach draußen zu gehen und dort nach Tom und Owen Ausschau zu halten. Cara, die neben Richard an der Wand lehnte und im Schlaf über ihn wachte, nickte, als Kahlan ihr leise erklärte, was sie vorhatte. Als Jennsen Kahlan zur Tür gehen sah, folgte sie ihr leise nach draußen.
Die mondhelle Nacht war merklich abgekühlt. Eigentlich, fand Kahlan, hätte sie schläfrig sein sollen, statt dessen war sie hellwach. Sie folgte dem mit Ziegeln gepflasterten Pfad zwischen den Gebäuden hindurch bis zur Hintergasse.
»Owen wird bestimmt bald zurück sein«, sagte Jennsen. »Versuch dir nicht so viele Sorgen zu machen. Es ist bald vorbei.«
Kahlan warf ihr im Dunkeln einen Blick zu. »Selbst wenn er das Gegenmittel eingenommen hat, müssen wir uns noch immer um seine Gabe kümmern. Bis zu Zedd ist es viel zu weit; wir werden also sofort zu Nicci aufbrechen müssen. Sie ist die Einzige, die nah genug ist und womöglich weiß, wie man ihm helfen kann.«
»Glaubst du, die durch seine Gabe hervorgerufenen Beschwerden haben sich verschlimmert?«
Die Schmerzen, die sie so oft in seinen Augen sah, ließen Kahlan schon seit längerem keine Ruhe mehr. Aber das allein war es nicht.
»Die beiden letzten Male, als er sein Schwert benutzte, konnte ich sehen, daß ihn die Magie des Schwertes im Stich gelassen hatte. Seine Schwierigkeiten mit der Gabe sind größer, als er zuzugeben bereit ist.«
Jennsen biß sich auf die Unterlippe, während sie Kahlan beim Aufund Abgehen zusah. »Heute Nacht bekommt er das Gegenmittel«, meinte sie schließlich begütigend. »Dann können wir schon bald auf dem Weg zu Nicci sein.«
Читать дальше