»Danke«, sagte Anson, als seine Freunde ihm auf die Beine halfen. Er wirkte benommen und mußte von den anderen gestützt werden. Sobald er sicher auf den Beinen stand, wandte er sich herum zu Richard.
»Danke, Lord Rahl, daß Ihr meiner in der Andacht geäußerten Bitte nachgekommen seid. Ich hätte nie gedacht, daß ich der Erste sein würde, der sein Blut für das, was wir uns vorgenommen haben, hergeben muß – noch daß es jemand aus unserem Volk sein würde, der dieses Blut vergießt.«
Richard dankte ihm für seine Worte mit einem vorsichtigen Klaps auf seine unversehrte Schulter.
Owen drehte sich zu der versammelten Menge um. »Ich denke, unser Entschluß steht fest: Wir wollen versuchen, unsere Freiheit wiederzuerlangen.« Als alle zustimmend nickten, wandte er sich an Richard. »Wie können wir uns der Soldaten in Northwick entledigen?«
Richard wischte sein Schwert am Stoff des Hosenbeins des Sprechers ab, ehe er seinen Blick hob und in die Menge sah. »Weiß jemand, wie viele Soldaten sich derzeit in Northwick befinden?«
In seiner Stimme schwang keine Verärgerung mit. Kahlan hatte gesehen, daß von dem Augenblick an, da er sein Schwert gezogen hatte, von der dem Schwert der Wahrheit innewohnenden Magie in seinen Augen nichts zu sehen gewesen war. Nicht ein Funke des Zorns, keine Magie war dort gefährlich aufgeblitzt. Er hatte schlicht getan, was nötig war, um die Gefahr abzuwenden. Sein rascher Erfolg war eine Erleichterung, aber daß sich die Magie des Schwertes beim Ziehen der Waffe nicht gezeigt hatte, hatte etwas überaus Besorgniserregendes.
Eine Kraft, die ihm früher stets zur Seite gestanden hatte, hatte ihm nun offenbar endgültig ihren Dienst versagt. Das Versagen der Magie des Schwertes erfüllte Kahlan mit einem Gefühl eisiger Vorahnung.
Einige in der Menge berichteten, angeblich Hunderte von Ordenssoldaten gesehen zu haben. Einer sprach sogar von Tausenden, bis sich schließlich eine ältere Frau per Handzeichen zu Wort meldete. »Ganz so viele sind es vielleicht nicht, aber annähernd.«
»Woher nimmst du dein Wissen?«, fragte Richard die Alte.
»Ich gehöre zu den Leuten, die für die Zubereitung ihrer Mahlzeiten abkommandiert sind.«
»Soll das heißen, ihr kocht für die Soldaten?«
»Ja«, bestätigte die Alte. »Sie möchten es offenbar nicht so gerne selbst machen.«
»Wann müßt ihr die nächste Mahlzeit zubereiten?«
»In diesem Augenblick werden einige große Kessel für das morgendliche Essen vorbereitet. Die Vorbereitungen werden die ganze Nacht in Anspruch nehmen, wenn wir den Eintopf bis zum Abendessen morgen fertig haben wollen. Außerdem müssen wir die ganze Nacht durcharbeiten, um Gebäck, Eier und Hafergrütze für das Frühstück zuzubereiten.«
Richard nickte und nahm den Heiler, der soeben Ansons Verband fester anzog, am Arm beiseite. »Du hast gesagt, du besäßest einen kleinen Kräutervorrat. Kennst du dich mit diesen Dingen aus?«
Er zuckte mit den Achseln. »Nicht sehr gut, es reicht gerade, um ein paar einfache Arzneien herzustellen.«
Kahlans Hoffnung sank. Sie hatte gehofft, dieser Mann wüßte vielleicht, wie sich eine weitere Dosis des Gegenmittels herstellen ließe.
»Kannst du Maiglöckchen, Oleander, Eiben, Mönchskraut sowie einige Schierlinge beschaffen?«
Der Alte blinzelte ihn erstaunt an. »Na ja, das ist alles recht gewöhnlich, würde ich sagen, besonders im Waldgebiet gleich nördlich der Stadt.«
Richard wandte sich zu seinen Männern herum, die im Vordergrund der Menge standen. »Unser Ziel ist es, die Soldaten der Imperialen Ordnung zu vernichten; je weniger wir dabei kämpfen müssen, desto besser.
Noch vor Tagesanbruch müssen wir uns aus der Stadt schleichen und einige Dinge beschaffen, die wir dringend benötigen.« Er deutete mit der Hand auf die Alte, die erzählt hatte, sie koche für die Soldaten. »Du wirst uns die Stelle zeigen, wo ihr das morgige Abendessen zubereitet. Wir werden euch ein paar zusätzliche Zutaten bringen.
Die Zutaten, die wir unter den Eintopf für die Soldaten mischen, werden innerhalb weniger Stunden eine heftige Übelkeit auslösen. Wir werden den einzelnen Kesseln verschiedene Zutaten beimischen, so daß die Symptome jeweils unterschiedlich sind, was Verwirrung und Panik noch verstärken dürfte. Wenn es uns gelingt, eine ausreichend große Menge dieser Giftstoffe unter den Eintopf zu mengen, werden die meisten innerhalb weniger Stunden an Schwächeanfällen, Lähmungserscheinungen und Krämpfen sterben.
Spät abends dann schleichen wir ins Lager und erledigen alle, die entweder noch nicht tot sind oder vielleicht nichts gegessen haben. Bei entsprechend sorgfältiger Vorbereitung können wir Northwick kampflos von der Imperialen Ordnung befreien. Das Ganze wäre im Handumdrehen vorbei, ohne daß jemand von uns zu Schaden käme.«
Einen Augenblick lang herrschte im Raum völlige Stille; dann sah Kahlan, wie ein Lächeln über die ersten Gesichter in der Menge ging. Es war, als wäre ein Sonnenstrahl in ihr Leben gefallen.
»Das wird unser einstiges Leben von Grund auf auf den Kopf stellen«, rief jemand, doch aus seiner Stimme sprach nicht etwa Verbitterung, sondern vielmehr Erstaunen.
»Unsere Erlösung ist greifbar nahe«, schloß sich ein anderer aus der Menge an.
Zedd, kaum fähig, sich auf den Beinen zu halten, wartete schwankend unweit des Zeltes, in das Schwester Tahirah soeben eine kleine Kiste gebracht hatte. Während sie den magischen Gegenstand drinnen behutsam auspackte und für die Untersuchung vorbereitete, standen nicht weit entfernt die Wachtposten und unterhielten sich; ihre Sorge, der hagere alte Mann mit dem Rada’Han um den Hals und den auf den Rücken gefesselten Händen könnte ihnen Ärger machen oder gar fliehen, war nicht übermäßig groß.
Diese Gelegenheit nutzte Zedd, um sich gegen ein Hinterrad des Transportwagens zu lehnen. Wenn man ihm nur erlauben würde, sich hinzulegen und ein wenig zu schlafen. Er riskierte einen heimlichen Blick über seine Schulter auf Adie, die ihm mit einem kurzen, tapferen Lächeln antwortete.
Als er einen neugierig um sich blickenden Elitesoldaten in Lederharnisch und Kettenrüstung unweit stehenbleiben sah, hob Zedd den Kopf. Am oberen Rand seines rechten Ohres fehlte ein v-förmiges Knorpelstück. Er trug zwar die unter Elitesoldaten übliche Uniform, nicht aber die dazu passenden Stiefel. Als er sich umdrehte, bemerkte Zedd, daß sein linkes Auge nicht ganz so weit geöffnet war wie das rechte; Augenblicke später hatte er sich bereits unter die Gruppen patrouillierender Soldaten gemischt und war verschwunden.
Während Zedd das unablässige Gedränge aus vorüberziehenden Soldaten, Schwestern und anderen beobachtete, überkamen ihn immer wieder verstörende Visionen von Personen aus seiner Vergangenheit und anderer ihm bekannter Menschen. Es war entmutigend, von diesen Trugbildern heimgesucht zu werden – Täuschungen, erzeugt von einem Verstand, der ihm aus Schlafmangel und wegen der fortwährenden Anspannung zusehends seinen Dienst versagte.
Wie ein Racheengel stürzte die hakennasige Schwester plötzlich wieder aus dem Zelt. »Schafft sie herein«, blaffte sie.
Die vier Wachtposten traten augenblicklich in Aktion; zwei packten Adie, die beiden anderen griffen Zedd. Sie schleiften ihn ins Zelt, beförderten ihn um den Tisch herum und drückten ihn so wuchtig auf den Stuhl, daß ihm die Luft mit einem Ächzen aus den Lungen wich.
Zedd schloß die Augen, verzog gequält das Gesicht und wünschte, sie würden ihn, damit er sie nie wieder öffnen mußte, einfach töten. Aber wenn sie ihn töteten, würden sie Richard seinen Kopf schicken, und er wollte sich lieber nicht ausmalen, wie schmerzhaft das für den Jungen wäre.
»Nun?«, fragte Schwester Tahirah.
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