»Was!«
»Die Soldaten der Imperialen Ordnung sind in unser Land eingefallen; sie foltern und ermorden unser Volk. Unzählige wurden von ihnen verschleppt.«
»Das ist nicht zu ändern«, erwiderte der rotgesichtige Sprecher. »Wir tun, was immer wir tun müssen, damit unser Volk so weiterleben kann wie bisher. Wir tun, was wir tun müssen, um jegliche Gewalt zu vermeiden.«
»Wir haben der Gewaltherrschaft ein Ende gemacht«, erklärte Owen. »Jedenfalls in unserem Heimatort. Wir haben alle Soldaten der Imperialen Ordnung getötet, die uns mit ihrer Schreckensherrschaft unterdrückt und unser Volk vergewaltigt, gefoltert und ermordet haben. Die Bevölkerung ist von der Tyrannei der Soldaten der Imperialen Ordnung befreit worden. Wir müssen uns endlich wehren und auch den Rest unseres Volkes befreien. Als Sprecher ist es unsere Pflicht, den Menschen in unserem Land zu ihrem Recht zu verhelfen und seiner Versklavung nicht tatenlos zuzusehen.«
Die großen Sprecher reagierten, als hätte sie der Schlag getroffen. »Davon wollen wir nichts wissen!«
»Wir werden mit dem Weisen sprechen und uns anhören, was er dazu zu sagen hat.«
»Kommt nicht in Frage! Der Weise wird euch nicht empfangen. Niemals! Euer Ansinnen ist hiermit abgewiesen. Ihr müßt auf der Stelle wieder gehen!«
Wütend stürzte einer der Sprecher vor, krallte seine Hand in Richards Hemd und versuchte ihn hinauszudrängen. »Ihr seid an allem schuld! Ihr, ein Barbar! Ein Unerleuchteter! Ihr habt diese lasterhaften Gedanken in unser Volk getragen!« Er bemühte sich nach Kräften, Richard durchzurütteln. »Ihr habt unser Volk zur Gewalt verführt!«
Richard packte sein Handgelenk, verdrehte ihm den Arm und zwang ihn dadurch auf die Knie. Der Mann stieß einen Schmerzensschrei aus. Ohne den Griff zu lockern, beugte Richard sich zu ihm hinunter.
»Wir haben unser Leben aufs Spiel gesetzt, um deinem Volk zu helfen. Dein Volk ist mitnichten erleuchtet, sondern besteht aus ganz gewöhnlichen Menschen, die sich durch nichts von anderen unterscheiden. Und jetzt werdet ihr euch anhören, was wir zu sagen haben, denn heute nacht entscheidet sich deine und die Zukunft deines Volkes.«
Richard entließ ihn mit einem Stoß aus seinem Griff, ehe er zur Tür ging und seinen Kopf hinausstreckte. »Cara, geht zu Tom und bittet ihn, Euch zu helfen, die übrigen Männer herzuholen. Ich denke, es ist besser, wenn alle dabei sind.«
Während Cara sich auf den Weg machte, befahl er den Sprechern, bis vor die Wand zurückzutreten.
»Dazu habt Ihr kein Recht«, protestierte einer.
»Ihr seid die Vertreter des Volkes von Bandakar, seine Anführer«, erklärte Richard ihnen. »Der Augenblick ist gekommen, Führerschaft zu zeigen.«
Dann trafen die ersten Männer ein, und es dauerte nicht lange, bis die schweigende Versammlung vollständig war. Kahlan bemerkte einige unbekannte Gesichter, die sich ebenfalls hierher verirrt hatten, aber da sie das Wesen dieser Leute kannte, und Cara sie offenbar hereingelassen hatte, ging sie davon aus, daß sie keine Gefahr darstellten.
Richard deutete auf die Versammlung, die die Sprecher in gespanntem Schweigen betrachtete. »Diese Männer aus der Ortschaft Witherton haben der Wahrheit ins Gesicht geblickt und erkannt, was ihrem Volk derzeit widerfährt; und sie sind nicht länger bereit, diese brutalen Übergriffe hinzunehmen. Sie sind es leid, Opfer zu sein, und wollen als freie Menschen leben.«
Einer der Sprecher, ein Mann mit langem, sich stark verjüngendem Kinn, tat Richards Äußerung mit einem verächtlichen Schnauben ab.
»Die Idee der Freiheit ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, denn sie dient den Menschen nur als Rechtfertigung für ihren Eigensinn. Jeder der auch nur über einen Funken Verstand verfügt und sich dem Wohlergehen einer erleuchteten Menschheit verschrieben hat, wird diese widersinnige Freiheitsidee als das verwerfen, was sie ist – selbstsüchtig.«
Ein anderer Sprecher, die Augen bestürzt aufgerissen, deutete mit ausgestrecktem Arm auf Richard. »Jetzt weiß ich, wer Ihr seid. Ihr seid der von dem in den Prophezeiungen die Rede ist. Der, von dem es in der Prophezeiung heißt er werde uns vernichten!«
Das allgemeine Getuschel trug den Vorwurf bis in die hinterste Reihe.
Richard sah sich nach seinen hinter ihm angetretenen Männern um, ehe er sich wieder herumwandte und den Sprechern einen vernichtenden Blick zuwarf. »Ich bin Richard Rahl, und ja, ihr habt Recht, ich bin derjenige, der euch vor langer Zeit in einer Prophezeiung genannt wurde. ›Euer Zerstörer wird kommen, und er wird euch erlösen.‹ Ihr habt Recht: In dieser Prophezeiung ist von mir die Rede. Und es handelt sich um das verheißungsvolle Versprechen einer besseren Zukunft. Einigen wenigen aus eurem Volk habe ich geholfen, die Wahrheit zu erkennen, und ihr Leben in unwissender Finsternis dadurch beendet. Nun müssen auch die übrigen entscheiden, ob sie weiter im Dunkeln ausharren wollen oder ob sie hinaustreten wollen in das Licht der Erkenntnis, die ich euch gebracht habe.
Indem ich eurem Volk diese Erkenntnis gebracht habe, habe ich es erlöst. Ich habe ihm gezeigt, daß es sich aus eigener Kraft emporschwingen und erreichen kann, was immer es sich wünscht. Ich habe den Menschen geholfen, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Beschließt ihr jetzt, so weiterzuleben wie bisher, und sucht ihr weiter Aussöhnung mit dem Bösen, so werdet ihr dies um den Preis eures Seelenheils tun.«
Unvermittelt kehrte Richard den Sprechern den Rücken zu, schloß kurz die Augen und rieb mit den Fingerspitzen darüber. Kahlan sah seinem Gesichtsausdruck sofort an, daß er fürchterliche Schmerzen hatte.
Owen trat vor. »Ehrenwerte Sprecher, der Zeitpunkt ist gekommen, den Weisen anzuhören. Wenn nach eurer Ansicht nicht einmal diese Krise uns dazu berechtigt, was dann? Unsere Zukunft, unser aller Leben, steht auf dem Spiel.
Bringt den Weisen her. Wir werden uns anhören, was er zu sagen hat, und dann entscheiden, ob er tatsächliche weise ist und unsere Loyalität verdient.«
In diesem Moment traten einige Männer aus dem Hinterzimmer, mit rotem Tuch drapierte Stangen sowie mit Kerben versehene Bretter und Planken in den Händen, und gingen daran, vor der Tür des Hinterzimmers ein einfaches Podium mit vier Stangen an den Ecken sowie schweren roten Vorhängen als Blickschutz zu errichten. Als die Konstruktion schließlich stand, plazierten sie ein großes Sitzkissen auf das Podium und schlossen die Vorhänge. Zwei Tische mit einigen Kerzen darauf wurden hereingetragen und zu beiden Seiten des mit Vorhängen verhangenen, zeremoniellen Sitzes der Weisheit abgesetzt. Im Handumdrehen hatten die Sprecher eine schlichte, aber Ehrfurcht gebietende Umgebung geschaffen.
Kahlan kannte mehrere Personen in den Midlands, die magische Kräfte besaßen und in derselben Eigenschaft dienten wie vermutlich dieser Weise. Gewöhnlich hatten sie Gehilfen, wie eben diese Sprecher. Im Übrigen war sie klug genug, diese einfachen Schamanen und ihre Verbindungen zur Welt der Seelen nicht zu unterschätzen. Nicht wenige von ihnen verfügten über sehr reale Verbindungen zum Totenreich und vor allem über eine sehr reale Macht über ihr Volk.
Nur konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie ein Volk bar aller magischen Kräfte einen solchen Mittler zu den Seelen besitzen konnte. Falls aber doch, und der Betreffende stellte sich gegen sie, wären womöglich all ihre Mühen umsonst gewesen.
Die Sprecher nahmen zu beiden Seiten des Podiums Aufstellung und öffneten die Vorhänge gerade weit genug, daß man in das dunkle Innere blicken konnte.
Dort auf dem Kissen saß mit übereinander geschlagenen Beinen ein, so schien es, kleiner, in ein weißes Gewand gehüllter Junge, die Hände wie zum Gebet im Schoß gefaltet. Er schien acht oder allerhöchstens zehn Jahre alt zu sein. Um seinen Kopf hatte man ein schwarzes Tuch gewickelt, um seine Augen zu bedecken.
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