»Nun ja, da weder der Leviathan noch ich diesen Stein da sehen können, müßt ihr uns führen«, erwiderte Chiamh gutmütig. »Sagt mir nur, ob wir nach links oder nach rechts steuern müssen und wann es einfach geradeaus geht. Ich gebe die Anweisungen dann an Ithalasa weiter.«
Das war nicht gerade die perfekte Lösung, aber irgendwie schafften sie es – und es dauerte nicht mehr lange, da konnte Parric auch schon die tiefe Bucht mit ihren zerklüfteten Riffs in den Klippen erkennen, die die Höhlen der Nachtfahrer vor neugierigen Blicken verbargen. »Dank den Göttern, daß wir endlich wieder zu Hause sind«, sagte er nachdrücklich, »womit ich natürlich nichts gegen eure Südländer sagen wollte«, fügte er dann hastig an das Windauge gewandt hinzu. »Aber zu Hause ist – na ja, zu Hause eben, wenn du verstehst, was ich meine.«
Chiamh seufzte. Als Ausgestoßener unter den Xandim hatte er niemals das Gefühl gehabt, irgendwo hinzugehören – nicht, bis diese Fremdländer aus dem Norden erschienen waren. Plötzlich fragte er sich, was geschehen würde, wenn Aurian ihre Feinde bezwungen und ihre Mission vollendet hatte. Was sollte er dann tun? Es gab kein Zurück mehr für ihn an den Ort, von dem er gekommen war. Für das Windauge sah die Zukunft unerträglich einsam aus.
»Du wirst es schaffen«, durchdrang die freundliche Stimme von Ithalasa Chiamhs trostlose Gedanken. »Wer weiß, was das Schicksal für dich bereithält? Aber was auch geschieht und wo immer du auch hingehen wirst, Aurian und Anvar werden dich stets willkommen heißen. Außerdem…«, Ithalasa kicherte, »durch irgendeine seltsame Fügung des Schicksals haben sich in der Vergangenheit wohl einmal eure beiden Rassen untereinander vermischt, so daß du über einige Kräfte der Magusch verfügst, und nach dieser traurigen Sache werden wahrhaftig nur noch wenige von ihnen übrig sein. Ist es da nicht deine Pflicht, eine Gefährtin zu finden und Kinder zu zeugen, um diese Kräfte nicht aussterben zu lassen?«
Dann wechselte der Leviathan plötzlich das Thema – was auch gut war, da Chiamhs Gedanken bei dieser unerwarteten Aussicht völlig durcheinandergeraten waren.
»Windauge, ich komme an diesen Riffs, die dein Ziel bewachen, nicht vorbei. Würdest du die Menschen bitte fragen, was ich jetzt tun soll?«
Parric fluchte, als Chiamh ihm die Nachricht übermittelte. »Es sieht so aus, als müßten wir schwimmen.«
»Mach dir nichts draus«, meinte Sangra, »wir sind doch sowieso schon naß – eine weitere Begegnung mit dem Wasser spielt jetzt keine Rolle mehr.«
»Das weiß ich – aber wie ein verwaschenes Stück Strandgut in der Nachtfahrerhöhle aufzutauchen, das ist nicht gerade die triumphale Heimkehr, die ich mir vorgestellt hatte«, brummte der Kavalleriehauptmann. »Außerdem wird es Tage dauern, bis meine Ausrüstung wieder trocken ist – dieses verfluchte Seewasser macht mir meine ganzen Messer kaputt.«
Traurig verabschiedete sich Chiamh von Ithalasa und übermittelte ihm auch die Abschiedsworte und den Dank der beiden anderen. Dann ließ er sich zum letzten Mal über die geschwungenen Flanken des Leviathans ins Wasser gleiten und gesellte sich zu Parric und Sangra in den eisigen Ozean. Sobald sie ein gutes Stück von ihm entfernt waren, drehte Ithalasa sich um und steuerte wieder auf das offene Meer hinaus, wobei er schnell untertauchte und nur noch einmal mit seinem eleganten, machtvollen Schwanz zum Abschied die Oberfläche aufwühlte. Das Windauge sah ihm wassertretend nach, bis der Leviathan ganz unter den Wellen verschwunden war. Er konnte nur beten, daß Ithalasa nicht von seinem eigenen Volk dafür zur Rechenschaft gezogen wurde, daß er Aurian und ihren Gefährten geholfen hatte. Aber Chiamh hatte wenig Zeit, über solche Dinge nachzudenken, denn sobald die müden Reisenden in das Labyrinth der Felsen hineinschwammen, die die kleine Bucht ausfüllten, wurden sie von ungezählten Pfeilen begrüßt, die mit immer größerer Genauigkeit von den Klippen über ihnen auf sie zuschossen.
»Götter!« rief Sangra und tauchte unter die Wasseroberfläche. Parric sah, wie Chiamh in Panik mit den Armen ruderte und Wasser in den Mund bekam. Der Kavalleriehauptmann dagegen verlor keineswegs die Nerven, sondern tauchte in einen schmalen Zwischenraum zwischen zwei Felsen ein, um sich vor den tödlichen Pfeilen, die nun von allen Seiten auf sie niederprasselten, in Sicherheit zu bringen. Hastig streckte er den Kopf aus seinem Versteck, und ein Pfeil sauste unangenehm dicht an seinem Ohr vorbei. »He!« brüllte er mit seiner besten Kasernenhofstimme. »Hört auf zu schießen, ihr verdammten Idioten! Ich bin es, Parric!«
Der Pfeilhagel wurde zögerlicher und versiegte dann vollends. Der Kavalleriehauptmann stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und sah sich dann ängstlich nach seinen Kameraden um. Ihnen schien nichts passiert zu sein, doch Sangra mußte Chiamhs Kopf über Wasser halten, während das Windauge hustete und prustete. Dann hörte Parric das Eintauchen von Riemen, und ein kleines Boot glitt aus den Schatten des schmalen Höhleneingangs in das Sonnenlicht hinein. An der Ruderpinne saß ein blonder Schmugglerjunge, der ihm irgendwie bekannt erschien – und zu seiner Freude entpuppte er sich als Vannors Tochter Zanna mit kurz geschorenem Haar!
Das Mädchen hielt das kleine Boot ruhig, während ein Junge die Hand ausstreckte, um Chiamh und Sangra beim Hineinklettern zu helfen. Parric schwamm auf sie zu, da er wußte, daß das Boot zwischen den unter dem Wasser liegenden Riffs nur wenig Platz für größere Manöver hatte. Schließlich zog er sich ebenfalls vorsichtig an Bord.
Erst dann überließ Zanna die Riemen ihrem Gefährten. »Parric!« rief sie glücklich und schlang ihm die Arme um den Hals. »Ich bin ja so froh, daß du sicher heimgekehrt bist.«
»Und ich freue mich, dich zu sehen, Mädchen.« Er zerzauste ihr voller Zuneigung das kurzgeschorene Haar. »Ich sehe, du bist nun tatsächlich ein Krieger geworden, wie du es dir immer gewünscht hast. Viele Frauen lassen sich auf den Feldzügen die Haare schneiden. Das ist das Zeichen der wahren Kriegerin.« Er kicherte, als er Sangras empörten Widerspruch hörte. »Erspart einem auch eine Menge Schwierigkeiten«, fuhr er strahlend fort. »Bei den Göttern, Mädchen, du bist wirklich ein Augenschmaus, wenn man monatelang nur Sangra und eine Horde von Fremden zum Anschauen hatte.« Er sah seine Gefährten mit einem fröhlichen Augenzwinkern an. »Zanna, das ist Chiamh, aber ich werde euch noch richtig miteinander bekanntmachen, sobald wir an Land sind.« Als sie in den schmalen, von Echos widerhallenden Tunnel fuhren, der in die Höhle führte, verdüsterte sich sein Gesichtsausdruck. »Und wo, zum Teufel, ist dieser verdammte Idiot Yanis?«
»Er wartet am Strand«, antwortete Zanna. »Er sagte, er wolle euch ein Willkommen bereiten, wie es sich für ihn als Anführer geziemt.«
»Ich werde ihm ein Willkommen bereiten, das er sobald nicht vergessen wird«, knurrte Parric. »Hat der Narr vergessen, wie man seine Augen benutzt?«
Zanna kicherte, als sie aus dem Tunnel in die geräumige Höhle fuhren. »Ich fürchte, das war unsere Schuld.« Sie sah den jungen Schmuggler, der mit ihnen im Boot saß, mit einem Ausdruck in den Augen an, der Parric aufmerken ließ. »Wir haben gerade einen Ausritt über die Klippen unternommen«, fuhr sie fort, »und als wir euch auf diesem Wal sahen – nun ja, wir dachten, es müßte der Erzmagusch sein.« Ihre Stimme wurde zu einem verängstigten Flüstern, und ein Schatten der Angst tauchte in ihren Augen auf, für den der Kavalleriehauptmann keine Erklärung hatte. Aber es blieb ihm keine Zeit für weitere Fragen, denn im nächsten Augenblick dröhnte eine vertraute Stimme von der Küste her zu ihnen herüber.
»Parric, du alter Bastard! Haben die Südländer also endlich genug von dir?«
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