Aber falls der Bronzene ihn hörte, antwortete er nicht. Khirsah stieg schnell hoch und suchte Platz in der Luft zu gewinnen. Skie sauste ihm nach. Seine roten Augen glühten vor Haß. Mit einem Achselzucken und einem kleinen Seufzer überließ Tolpan sie ihrer Schlacht. Er wandte sich ab und musterte seine Umgebung.
Er stand im hinteren Teil der Festung auf den Resten eines Hofes. Er war offensichtlich zerstört worden, als die Zitadelle aus dem Boden gerissen wurde. Als Tolpan bemerkte, daß er sich tatsächlich ungemütlich dicht am Rand der zerbrochenen Steinplatten befand, eilte er schnell auf die Mauer der Festung zu. Dabei bewegte er sich leise und hielt sich mit der instinktiven meisterhaften Verstohlenheit, über die alle Kender von Geburt an verfügen, im Schatten.
Er blieb stehen und sah sich um. Es gab eine Hintertür zur Festung, aber das war eine riesige, mit Eisenstangen versehene Holztür. Und obwohl sie ein hochinteressantes Schloß hatte, so daß es ihm in den Fingern juckte, es auszuprobieren, malte sich der Kender mit einem Seufzer aus, daß wahrscheinlich eine ebenso interessante Wache auf der anderen Seite stehen würde. Es war für ihn gewiß besser, durch ein Fenster zu kriechen, und zufällig leuchtete auch direkt über ihm eines.
Trotzdem weit entfernt von ihm.
»Verdammt!« brummte Tolpan. Das Fenster war mindestens zwei Meter vom Boden entfernt. Als Tolpan sich umschaute, fand er einen Steinbrocken, und mit viel Schieben und Stoßen gelang es ihm, den Stein unterhalb des Fensters zu manövrieren. Er kletterte hoch und spähte vorsichtig hinein.
Zwei Drakonier lagen in einem Steinhaufen auf dem Boden. Ihre Köpfe waren zerschmettert. Ein anderer Drakonier lag tot daneben, sein Kopf war vollständig vom Körper abgetrennt. Außer diesen Leichen war nichts oder niemand in dem Zimmer. Auf Zehenspitzen streckte Tolpan seinen Kopf ins Innere und horchte. Nicht weit entfernt konnte er das Klirren von Metall und grobe Schreie und Kreischen und immer wieder ein gewaltiges Brüllen hören.
»Caramon!« sagte Tolpan. Er kroch durch das Fenster und sprang auf den Boden und bemerkte erfreut, daß die Zitadelle bis jetzt vollkommen still stand und sich nicht irgendwohin zu bewegen schien. Er horchte wieder und vernahm das vertraute Brüllen deutlicher, diesmal vermischt mit Tanis’ Flüchen. »Wie nett von ihnen«, sagte Tolpan und nickte befriedigt, während er durch den Raum schlich. »Sie warten auf mich.«
Tolpan trat in einen Korridor mit nackten Steinwänden und hielt einen Moment inne, um sich zu orientieren. Die Schlachtgeräusche waren irgendwo über ihm. Als er in den mit Fackeln beleuchteten Gang spähte, sah Tolpan eine Treppe und steuerte darauf zu. Als Vorsichtsmaßnahme zog er sein kleines Messer, aber er traf auf niemanden. Der Korridor war leer, ebenso die engen steilen Stufen.
»Hm!« machte Tolpan, »gewiß ein viel sicherer Ort als irgendein anderer jetzt in der Stadt. Ich darf nicht vergessen, das Tanis gegenüber zu erwähnen. Wenn wir schon bei ihm sind, wo sind er und Caramon bloß, und wie komme ich dorthin?«
Nachdem er ungefähr zehn Minuten hochgestiegen war, hielt Tolpan an und starrte nach oben in die fackelbeleuchtete Dunkelheit. Er war, wie er jetzt erkannte, eine schmale Treppe hochgegangen, die zwischen den inneren und äußeren Mauern eines Turms der Zitadelle angelegt war. Er konnte immer noch die Schlacht toben hören – jetzt hörte es sich an, als ob Tanis und Caramon direkt auf der anderen Seite der Mauer von ihm wären —, aber er konnte keine Möglichkeit erkennen, zu ihnen zu gelangen. Enttäuscht und mit müden Beinen hörte er auf zu denken.
Ich kann entweder zurücklaufen und einen anderen Weg ausprobieren, sinnierte er, oder ich kann weiter hochgehen. Zurücklaufen – auch wenn es für die Füße bequemer ist – wird sich wahrscheinlich als riskanter erweisen, es gibt da zuviel Leute. Und dort oben muß auch irgendwo eine Tür sein, oder warum hat man denn sonst eine Treppe?
Dieser logische Gedankengang fand seine Zustimmung, und so entschied er, weiter die Treppe hochzusteigen, auch wenn es bedeutete, daß die Kampfgeräusche sich nun unter statt über ihm befanden. Als er gerade anfing, zu dem Schluß zu gelangen, daß ein betrunkener Zwerg mit einem verschrobenen Sinn für Humor diese dumme Treppe gebaut haben mußte, erreichte er plötzlich das Ende und fand tatsächlich eine Tür.
»Ah, ein Schloß!« sagte er und rieb seine Hände. Er hatte schon lange keine Gelegenheit mehr gehabt, ein Schloß zu knacken, und er war erst ein wenig besorgt, daß seine Fähigkeiten etwas verkümmert sein könnten. Er untersuchte das Schloß mit geübtem Auge, dann legte er behutsam und leicht seine Hand auf den Türgriff. Zu seiner großen Enttäuschung öffnete sie sich mühelos.
»Na gut«, sagte er seufzend, »ich habe sowieso keinen Dietrich dabei.« Vorsichtig schob er die Tür auf und spähte hinein. Außer einem Holzgeländer vor ihm gab es nichts. Tolpan schob die Tür ein Stückchen weiter auf, trat ein und fand sich auf einem schmalen Balkon wieder, der um das Innere des Turmes verlief.
Die Kampfgeräusche waren jetzt viel deutlicher zu hören und hallten laut von dem Stein zurück. Tolpan eilte über den Holzboden des Balkons, lehnte sich über das Geländer und lugte nach unten zur Quelle der Geräusche – zerschmetterndes Holz und zusammenprallende Schwerter und Schreie und Aufschläge.
»Hallo, Tanis! Hallo, Caramon!« rief er aufgeregt. »He, habt ihr schon herausgefunden, wie man dieses Ding fliegt?«
Auf der gegenüberliegenden Seite des Turms, eingeschlossen auf einem anderen, mehrere Treppenfluchten unter Tolpan liegenden Balkon, kämpften Tanis und Caramon um ihr Leben. Eine kleine Armee von Drakoniern und Goblins drängte sich auf den Stufen unter ihnen zusammen.
Die zwei Krieger hatten sich hinter einer großen Holzbank verbarrikadiert, die sie vor die letzte Treppenstufe gezogen hatten. Hinter ihnen war eine Tür, und es sah für Tolpan so aus, als wären sie die Stufen zu dieser Tür hochgestiegen, um zu entkommen, dann aber aufgehalten worden, bevor sie hinauskommen konnten.
Caramons Arme waren bis zu den Ellbogen mit grünem Blut überzogen. Er schlug mit einem großen Stück Holz, das er aus dem Balkon gerissen hatte, auf Köpfe ein – eine wirkungsvollere Waffe als ein Schwert im Kampf gegen diese Kreaturen, deren Körper sich zu Stein verwandeln konnten. Tanis’ Schwert war eingekerbt. Er verwendete es jetzt wie eine Keule. Durch den aufgeschlitzten Kettenpanzer blutete er an seinen Armen aus mehreren Schnittwunden, und an seinem Brustharnisch war eine große Delle. Soweit Tolpan auf den ersten aufgeregten Blick erkennen konnte, hatte sich in diesem Kampf eine Pattsituation entwickelt. Die Drakonier konnten nicht dicht genug an die Bank kommen, um sie aus dem Weg zu zerren oder über sie zu klettern. Aber sobald Caramon und Tanis ihre Stellung verlassen würden, würde sie überrollt werden.
»Tanis! Caramon!« schrie Tolpan. »Hier oben!«
Beide Männer sahen sich verblüfft nach der Stimme des Kenders um. Dann packte Caramon Tanis am Arm und zeigte in Tolpans Richtung.
»Tolpan!« rief Caramon, und seine dröhnende Stimme hallte in der Turmkammer wider. »Tolpan! Die Tür hinter uns! Sie ist verschlossen! Wir kommen nicht raus!«
»Ich bin sofort da!« kreischte Tolpan aufgeregt und kletterte auf das Geländer. Dort bereitete er sich auf einen Sprung nach unten mitten ins Geschehen vor.
»Nein!« schrie Tanis. »Schließ sie von der anderen Seite auf! Die andere Seite!« Er fuchtelte hektisch mit den Händen.
»Oh«, antwortete Tolpan enttäuscht. »Sicher, kein Problem.« Er kletterte zurück und wollte sich gerade zu seiner Tür umdrehen, als er sah, wie die Drakonier auf den Stufen unterhalb von Tanis und Caramon plötzlich den Kampf einstellten und ihre Aufmerksamkeit offensichtlich auf etwas anderes richteten. Auf einen barschen Befehl begannen die Drakonier, sich zur Seite zu schieben und zu stoßen, und auf ihren Gesichtern machte sich ein Grinsen breit, das ihre Reißzähne entblößte. Tanis und Caramon waren offensichtlich verblüfft über die Kampfpause und riskierten einen vorsichtigen Blick über die Bank, während Tolpan von seinem Balkongeländer hinunterstarrte.
Читать дальше