Margaret Weis - Caramons Rückkehr

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Raistlin, der große Magier, ist endlich in die Hölle vergedrungen. Nun steht er in dem gefärlichen Bann der Königin der Finsternis, die nichts so sehr wünscht, als mit ihrer Macht unten den Menschen zu erscheinen. Doch Caramon, der Bruder des Magiers, vereitelt unter Einsatz seines Lebens dieses teuflische Verlangen, dessen Verwirklichung der Welt den Untergang brächte. Dann nimmt er Abschied von Raistlin und kehrt zu Tika, seiner Frau, heim; in ihrer Liebe findet er das wahre Glück.

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Margaret Weis

Tracy Hickman

Caramons Rückkehr

Die Rückkehr

Der Wachmann reckte sich in den dunklen Schatten des Pförtnerhauses an der alten Stadtmauer. Von draußen hörte er die angespannten und nervösen Stimmen der anderen Wachen, die vor Aufregung und Angst über ihren Mut prahlten. Es müssen ungefähr zwanzig sein, dachte der alte Wachmann verdrießlich. Die Nachtwache war verdoppelt worden; aber auch diejenigen, deren Schicht zu Ende war, waren doch lieber geblieben, als nach Hause zu gehen. Von oben hörte er die langsamen, regelmäßigen Schritte der Ritter von Solamnia auf der Mauer. Und von hoch oben konnte er gelegentlich das Knirschen und Schlagen eines Drachenflügels hören und zuweilen auch deren Stimmen, wenn sich die Drachen untereinander in ihrer Geheimsprache unterhielten. Es waren die bronzenen Drachen, die Fürst Gunther vom Turm des Oberklerikers mitgebracht hatte. So wie die Menschen am Boden Wache hielten, wachten sie in der Luft.

Von überall um sich herum konnte der Wachmann Geräusche vernehmen – die Geräusche des nahe bevorstehenden Untergangs.

Dieser Gedanke beherrschte zwar das Denken des alten Mannes, aber natürlich würde er es nie so ausdrücken – weder »nahe bevorstehend« noch »Untergang« gehörten zu seinem Wortschatz. Trotzdem war das Wissen vorhanden. Der Wachmann war ein alter Söldner und hatte solche Nächte schon oft durchgemacht. Auch er war einst jung gewesen wie jene dort draußen und hatte von den großen Taten geprahlt, die er am nächsten Morgen vollbringen würde. In seiner ersten Schlacht hatte ihn die Angst so geschüttelt, daß er sich bis zum heutigen Tag an keine Einzelheit erinnern konnte.

Aber danach hatte er in vielen Schlachten gekämpft. Man gewöhnt sich an die Angst. Sie wird ein Teil von dir, genauso wie dein Schwert. Mit den Gedanken an die bevorstehende Schlacht war es nicht anders. Der Morgen würde kommen und, wenn man Glück hatte, auch die Nacht.

Ein plötzliches Geklapper von Speerspitzen und Stimmen und eine allgemeine Unruhe rissen den alten Wachmann aus seinen Grübeleien. Mürrisch, aber gleichzeitig mit einem Anflug der alten Erregung, streckte er seinen Kopf aus dem Pförtnerhaus.

»Ich habe etwas gehört!« keuchte ein junger Wachmann atemlos, der gerade angelaufen kam. »Drüben – dort drüben! Klang wie klirrende Rüstungen, eine ganze Armee!«

Die anderen Wachen spähten in die Dunkelheit hinaus. Selbst die Ritter von Solamnia waren stehengeblieben und schauten nun auf die breite Straße aus der neuen Stadt hinunter, die durch das Tor in die alte Stadt führte. In aller Eile waren noch zusätzliche Fackeln auf den Mauern angebracht worden. Sie warfen einen hellen Lichtkreis auf den Boden, der jedoch nach ungefähr sechs Metern endete und die Dunkelheit noch dunkler erscheinen ließ. Der alte Wachmann konnte jetzt auch diese Geräusche hören, aber er geriet nicht in Panik. Aus Erfahrung wußte er, daß Dunkelheit und Angst einen einzigen Mann wie ein ganzes Regiment klingen lassen konnten.

Er stapfte aus dem Pförtnerhaus, fuchtelte mit beiden Händen und fügte knurrend hinzu: »Zurück zu euren Posten!«

Die jungen Wachen kehrten murrend zu ihren Stellungen zurück, hielten aber ihre Waffen bereit. Der alte Wachmann blieb mit einer Hand am Knauf seines Schwertes unerschütterlich mitten auf der Straße stehen und wartete.

Tatsächlich kam keine Division von Drakoniern ins Licht hervor, sondern ein Mann (der jedoch die Größe von zweien hatte) und, wie sich herausstellte, ein Kender.

Die zwei blieben stehen und blinzelten ins Fackellicht. Der alte Wachmann musterte sie eingehend. Der große Mann trug keinen Umhang, und der Wachmann konnte das Licht auf einer Rüstung spiegeln sehen, die einst vielleicht hell geglänzt hatte, aber jetzt mit grauem Schlamm überzogen und an einigen Stellen sogar geschwärzt war, als ob sie in einen Brand geraten wäre. Auch der Kender war mit dem gleichen Schlamm bedeckt – obwohl er offenbar einige Bemühungen unternommen hatte, ihn von seiner knallblauen Hose abzubürsten. Der große Mann hinkte beim Gehen, und alles deutete darauf hin, daß er und der Kender erst kürzlich an einer Schlacht teilgenommen hatten.

Merkwürdig, dachte der alte Wachmann. Es haben doch noch keine Kämpfe stattgefunden, zumindest haben wir davon nichts gehört.

»Unverschämte Burschen, alle beide«, brummte der alte Pförtner, als er bemerkte, daß die Hand des großen Mannes leicht auf seinem Schwertknauf ruhte, während er sich umschaute und die Lage abschätzte. Der Kender begutachtete alles mit der gewohnten Kenderneugier. Der Pförtner war jedoch ein wenig überrascht, da er in seinen Armen ein großes, ledergebundenes Buch trug.

»Gebt euer Anliegen bekannt«, sprach der Wachmann sie an, während er nach vorne trat und sich vor ihnen aufbaute.

»Ich heiße Tolpan Barfuß«, antwortete der Kender, dem es nach einem kurzen Kampf mit dem Buch gelungen war, seine kleine Hand freizubekommen. Er streckte sie dem alten Mann entgegen. »Und das ist mein Freund Caramon. Wir kommen aus Sol...«

»Unser Anliegen hängt davon ab, wo wir sind«, unterbrach ihn der Mann, der Caramon genannt wurde, freundlich, aber mit einem ernsten Ausdruck im Gesicht, der den Wachmann nachdenklich stimmte.

»Willst du damit sagen, ihr wißt wirklich nicht, wo ihr seid?« fragte der Wachmann argwöhnisch.

»Wir kommen nicht aus diesem Teil des Landes«, anwortete der große Mann gelassen. »Wir haben unsere Karte verloren. Als wir die Lichter der Stadt sahen, haben wir spontan darauf zugehalten.«

Ja, dann bin ich Herrscher Amothud, dachte der Wachmann. »Ihr seid in Palanthas.«

Der große Mann schaute sich aufmerksam um und sah dann zurück zum Wachmann, der kaum an seine Schulter reichte. »Dann muß hinter uns doch die Neustadt liegen. Wo sind dann aber die ganzen Leute? Wir sind kreuz und quer durch die Stadt gelaufen. Nirgendwo eine Menschenseele zu sehen.«

»Wir stehen unter Alarmbereitschaft.« Der Wachmann bewegte ruckartig seinen Kopf. »Alle befinden sich innerhalb der Mauern. Ich glaube, das ist alles, was ihr im Moment wissen müßt. Nun, was ist euer Anliegen? Und warum wißt ihr nicht, was los ist? Das hat sich bestimmt schon im halben Land herumgesprochen.«

Der große Mann fuhr sich mit einer Hand über sein unrasiertes Kinn und lächelte trübselig. »Eine ganze Flasche Zwergenschnaps kann fast alles auslöschen. Ist es nicht so, Hauptmann?«

»Das stimmt«, knurrte der Wachmann. Es war aber auch richtig, daß die Augen des Burschen scharf und klar und von Zielstrebigkeit und einer unerschütterlichen Entschlossenheit erfüllt waren. Als er in diese Augen sah, schüttelte der Wachmann den Kopf. Er hatte so etwas schon zuvor gesehen: die Augen eines Mannes, der mit klarem Bewußtsein in seinen Tod geht und Frieden mit den Göttern und mit sich selbst geschlossen hat.

»Wirst du uns einlassen?« fragte der große Mann. »Wie die Dinge liegen, könntet ihr Krieger sicher gut gebrauchen.«

»Wir können einen Mann von deinem Format bestimmt gebrauchen«, gab der Wachmann zurück und warf dann dem Kender einen finsteren Blick zu. »Aber ich überlege, ob wir ihn hier nicht einfach als Bussardköder zurücklassen können.«

»Ich bin auch ein Krieger!« protestierte der Kender beleidigt. »Ungelogen. Ich habe einmal Caramons Leben gerettet!« Sein Gesicht strahlte auf. »Möchtest du darüber etwas hören? Die Geschichte ist einfach wunderschön. Wir waren in einer magischen Festung. Raistlin hielt mich dort gefangen, nachdem er meinen Freu... Das ist jetzt unwichtig. Jedenfalls waren da diese Dunkelzwerge, und sie griffen gerade Caramon an, und er rutschte aus und...«

»Öffnet die Tore!« befahl der alte Wachmann.

»Komm schon, Tolpan«, sagte der große Mann.

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