Brienne schob die Klinge durch ihren Gürtel und ging neben Catelyn. Die Nachtluft roch nach Regen. Hinter ihnen stand der Pavillon des Königs in Flammen, die hoch in die Dunkelheit hinaufloderten. Niemand machte Anstalten, die beiden Frauen aufzuhalten. Männer rannten an ihnen vorbei, schrien »Feuer!«, »Mord!« und »Zauberei!« Andere standen in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich leise. Einige beteten, und ein junger Knappe war auf die Knie gefallen und schluchzte laut.
Renlys Schlachtreihen lösten sich auf, während sich das Gerücht ausbreitete und von Mund zu Mund ging. Die Lagerfeuer waren niedergebrannt, und als der Himmel im Osten heller wurde, tauchte Sturmkap riesig wie ein Traum aus Stein auf, während bleicher Nebel über das Schlachtfeld zog und auf den Flügeln des Windes vor der Sonne floh. Morgengeister, hatte die Alte Nan die Nebelfinger einmal genannt, Geister, die in ihre Gräber zurückkehren. Und Renly war jetzt einer von ihnen, tot, wie sein Bruder Robert, tot, wie ihr geliebter Ned.
»Ich habe ihn nur ein einziges Mal in den Armen halten dürfen, nur als er starb«, sagte Brienne leise, während sie sich einen Weg durch das Chaos suchten. Ihre Stimme klang gebrochen. »Eben hat er noch gelacht, im nächsten Augenblick war überall Blut … Mylady, ich verstehe das alles nicht. Habt Ihr es gesehen …?«
»Ich habe einen Schatten gesehen. Zuerst dachte ich, es sei Renlys Schatten, aber es war der seines Bruders.«
»Lord Stannis?«
»Ich habe ihn gespürt. Das ergibt keinen Sinn, ich weiß …«
Für Brienne ergab es genug Sinn. »Ich werde ihn töten«, verkündete das hochgewachsene reizlose Mädchen. »Mit dem Schwert meines Herrn werde ich ihn töten. Das schwöre ich. Ich schwöre es. Ich schwöre es.«
Hal Mollen und der Rest ihrer Eskorte warteten mit den Pferden. Ser Wendel Manderly war völlig außer sich und wollte augenblicklich wissen, was passiert war. »Mylady, im Lager ist ein Aufruhr ausgebrochen«, platzte er heraus, als er sie sah. »Lord Renly, ist er …« Er hielt abrupt inne und starrte Brienne und das Blut, das sie bedeckte, an.
»Tot, aber nicht durch unsere Hand.«
»Die Schlacht …«, setzte Hal Mollen an.
»Es wird keine Schlacht geben.« Catelyn stieg auf, und ihre Eskorte formierte sich, Ser Wendel zu ihrer Linken, Ser Perwyn Frey zu ihrer Rechten. »Brienne, wir haben genug Pferde. Wählt eins und begleitet uns.«
»Ich habe mein eigenes Pferd, Mylady. Und meine Rüstung …«
»Lasst sie zurück. Wir müssen fort sein, ehe sie nach uns suchen. Wir waren beide beim König, als er ermordet wurde. Das wird man nicht vergessen.« Wortlos drehte sich Brienne um und tat, wozu sie aufgefordert worden war. »Vorwärts«, befahl Catelyn ihrer Eskorte, nachdem alle aufgesessen hatten. »Falls uns jemand aufzuhalten versucht, macht ihn nieder.«
Während die langen Finger der Dämmerung über die Felder krochen, kehrte die Farbe in die Welt zurück. Wo zuvor graue Männer auf grauen Pferden gesessen hatten, glitzerten jetzt Zehntausende Lanzenspitzen silbern und kalt, und auf unendlich vielen Bannern sah Catelyn Rot, Rosa und Orange, tiefes Blau und Braun, helles Gold und Gelb. Die ganze versammelte Streitmacht von Sturmkap und Rosengarten, die Macht, über die Renly noch vor einer Stunde geboten hatte. Jetzt gehören sie Stannis, erkannte sie, auch wenn die Männer es selbst noch nicht wissen. Wem sonst sollen sie sich zuwenden, wenn nicht dem letzten Baratheon? Stannis hat mit diesem einen bösen Streich alles gewonnen.
Ich bin der rechtmäßige König, hatte er verkündet und dabei das eisenharte Kinn vorgereckt, und Euer Sohn ist genauso ein Verräter wie mein Bruder. Auch sein Tag wird kommen.
Ein Schauer durchfuhr sie.
Der Hügel ragte einsam aus dem dichten Wald auf, und die windumtoste Anhöhe war meilenweit zu sehen. Die Wildlinge nannten ihn die Faust der Ersten Menschen, sagten die Grenzer. Und er erinnerte wirklich an eine Faust, dachte Jon, an eine Faust, die sich durch Erde und Wälder in den Himmel reckte, die kahlen braunen Hänge mit Knöcheln aus Felsbrocken bedeckt.
Zusammen mit Lord Mormont und den anderen Offizieren ritt er zur Spitze hinauf. Geist ließ er unten zwischen den Bäumen zurück. Der Schattenwolf war während des Aufstiegs drei Mal davongelaufen und zwei Mal auf Jons Pfiff hin nur widerwillig zurückgekehrt. Beim dritten Mal verlor der Lord Kommandant die Geduld und fauchte: »Lass ihn laufen, Junge. Ich will die Spitze vor Einbruch der Dämmerung erreichen. Such den Wolf später.«
Der Weg war steinig und steil, die Spitze von einer brusthohen Mauer aus Felsen gekrönt. Sie mussten an dieser entlang eine Weile nach Westen weiterziehen, ehe sie eine Lücke fanden, durch die die Pferde hindurchpassten. »Das ist eine gute Stelle, Thoren«, verkündete der Alte Bär, als sie schließlich oben angekommen waren. »Eine bessere dürfen wir uns kaum erhoffen. Wir schlagen hier das Lager auf und warten auf Halbhand.« Der Lord Kommandant schwang sich aus dem Sattel und scheuchte den Raben von seiner Schulter. Der Vogel beschwerte sich laut und erhob sich in die Luft.
Die Aussicht von hier oben war atemberaubend, doch die Ringmauer interessierte Jon noch mehr, die verwitterten grauen Steine mit ihren Flecken aus weißen Flechten und den Bärten aus grünem Moos. Wie es hieß, war die Faust im Zeitalter der Dämmerung eine Rundfeste der Ersten Menschen gewesen. »Dieser Ort ist alt, und mächtig dazu«, sagte Thoren Kleinwald.
»Alt« , kreischte Mormonts Rabe, der laut flatternd über ihren Köpfen kreiste. »Alt, alt, alt.«
»Ruhe«, knurrte Mormont den Vogel an. Der Alte Bär war zu stolz, um Schwäche zuzugeben, doch Jon ließ sich nicht täuschen. Die Anstrengung, mit den jüngeren Männern mitzuhalten, forderte ihren Tribut.
»Dieser Berg ist leicht zu verteidigen, falls es notwendig wird«, meinte Thoren und ließ sein Pferd an dem Steinring entlanggehen, wobei sein mit Zobel gesäumter Mantel im Wind wehte.
»Ja, dies ist ein guter Lagerplatz.« Der Alte Bär hielt eine Hand in den Wind, und der Rabe landete auf dem Unterarm und krallte sich in das Kettenhemd.
»Was ist mit Wasser, Mylord?«, erkundigte sich Jon.
»Am Fuß des Hügels haben wir einen Bach überquert.«
»Ziemlich viel Kletterei für etwas zu trinken«, sagte Jon, »und zudem außerhalb des Steinrings.«
»Bist du zu faul, um einen Hügel hinaufzusteigen, Junge? «, fragte Thoren.
Daraufhin fügte Lord Mormont hinzu: »Wir werden keinen besseren Platz finden. Wir tragen das Wasser herauf, und zwar einen ausreichenden Vorrat.« Jon wusste, dass es keinen Zweck hatte zu widersprechen. Der Befehl wurde erteilt, und die Brüder der Nachtwache errichteten ihr Lager in dem mächtigen Steinring, den die Ersten Menschen gebaut hatten. Schwarze Zelte sprossen wie Pilze nach einem Regen aus der Erde, und überall auf dem kahlen Boden lagen Decken. Die Pferde wurden in langen Reihen angepflockt, gefüttert und getränkt. Die Waldläufer nahmen ihre Äxte und schlugen im bleichen Licht des Nachmittags genug Holz für die Nacht. Eine Gruppe Baumeister entfernte Buschwerk, grub Latrinen und packte die zugespitzten feuergehärteten Pfähle aus. »Jede Öffnung in der Ringmauer muss bis Einbruch der Dunkelheit mit einer Palisade und einem Graben gesichert sein«, hatte der Alte Bär befohlen.
Nachdem Jon Schnee das Zelt des Lord Kommandanten aufgebaut und sich um ihre Pferde gekümmert hatte, stieg er den Hügel hinunter und suchte nach Geist. Der Schattenwolf kam sofort angeschlichen. Eben schritt Jon noch pfeifend und rufend zwischen den Bäumen hindurch über Tannenzapfen und Laub; im nächsten Augenblick lief der große, weiße Schattenwolf bleich wie der Morgennebel neben ihm.
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