Roger Zelazny - Die Gewehre von Avalon

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9

Ganelon und ich verließen die Schweiz in zwei Lastwagen. Wir hatten sie von Belgien aus dorthin gefahren – wobei ich die Gewehre transportierte. Die dreihundert Stück wogen etwa anderthalb Tonnen. Nachdem wir auch die Munition übernommen hatten, blieb genug Platz für Treibstoff und andere Vorräte. Natürlich hatten wir eine Abkürzung durch die Schatten gewählt, um jenen Leuten zu entgehen, die an den Grenzen den Verkehr verzögern. Auf die gleiche Weise reisten wir wieder ab, wobei ich die Führung übernahm, um gewissermaßen den Weg zu bereiten.

Ich steuerte uns durch ein Land düsterer Berge und langgestreckter Dörfer, in denen wir nur an Pferdewagen vorbeikamen. Als der Himmel in einem hellen Zitronengelb schimmerte, boten sich die Lasttiere den Blicken gestreift und manchmal sogar gefiedert dar. Stundenlang fuhren wir dahin und stießen schließlich auf die schwarze Straße, bewegten uns eine Zeitlang parallel zu ihr und schlugen dann wieder eine andere Richtung ein. Der Himmel machte ein Dutzend Veränderungen durch, und die Konturen der Landschaft verschmolzen und flossen von Hügeln in Ebenen und wölbten sich wieder auf. Wir krochen auf schlechten Straßen dahin und rutschten über ebene Stellen, die so hart und glatt waren wie Glas. Wir mühten uns einen Berghang hinauf und wichen einem weindunklen Meer aus. Wir kamen durch Unwetter und ausgedehnte Nebelgebiete.

Es kostete mich einen halben Tag, um sie wiederzufinden – zumindest einen Schatten, der ihrer Welt so nahe war, daß es keinen Unterschied machte. Ja, die Welt jener Wesen, die ich schon einmal ausgenutzt hatte. Es waren stämmige gedrungene Gestalten, sehr haarig, sehr dunkel, mit langen Schneidezähnen und einziehbaren Krallen. Doch sie hatten Finger, mit denen sich ein Abzug betätigen ließ, und sie verehrten mich. Meine Rückkehr freute sie sehr. Dabei kam es wenig darauf an, daß ich vor fünf Jahren die besten Männer dieses Volkes in ein fremdes Land geführt hatte – zum Sterben. Göttern stellt man keine Fragen, sondern verehrt sie, betet sie an und gehorcht ihnen.

Sie waren sehr enttäuscht, daß ich diesmal nur ein paar hundert Mann brauchte. Tausende von Freiwilligen mußte ich wieder nach Hause schicken.

Diese Soldaten hatten nicht viel zu fürchten, waren sie doch die einzigen Kämpfer mit Schußwaffen. In ihrer Heimat war die Munition allerdings noch immer unentzündbar, und wir mußten mehrere Tage weit durch die Schatten wandern, ehe wir ein Land erreichten, das Amber so weit ähnelte, daß die Zündung endlich klappte. Das einzige Problem lag darin, daß die Schatten einem Gesetz der Kongruenz folgen, so daß dieser Ort schon ziemlich nahe bei Amber lag. Dieser Umstand machte mich während der Ausbildung meiner Soldaten etwas nervös. Zwar war es unwahrscheinlich, daß einer meiner Brüder zufällig gerade durch diesen Schatten streifte, doch es hatte schon schlimmere Zufälle gegeben.

Wir übten fast drei Wochen lang, ehe ich zu dem Schluß kam, daß wir ausreichend gewappnet waren. An einem schönen, frischen Morgen hoben wir unser Lager auf und bewegten uns in die Schatten. Die Kolonne der Männer marschierte hinter den Lastwagen. Die Motoren der Lkws würden vollends streiken, wenn wir uns Amber näherten – sie begannen bereits erhebliche Schwierigkeiten zu machen –, doch wir hatten vor, sie zu benutzen, solange sie unsere Ausrüstung befördern konnten.

Diesmal gedachte ich Kolvir vom Norden her zu bezwingen und mich nicht noch einmal an den Hang, der zum Meer hin liegt, zu wagen. Die Männer kannten die Gegend von meinen Beschreibungen, und der Aufmarsch der Gewehrbrigaden war genauestens festgelegt und geübt.

Wir machten Mittagspause, aßen gut und setzten unseren Weg fort, wobei die Schatten langsam an uns vorbeiglitten. Der Himmel nahm ein leuchtend dunkles Blau an – der Himmel Ambers. Der Boden schimmerte schwarz zwischen dem Felsgestein und dem hellgrünen Gras. Das Laub von Bäumen und Büschen hatte einen feuchten Schimmer. Die Luft war süß und rein.

Bei Anbruch der Nacht hielten wir zwischen den mächtigen Bäumen am Rande des Waldes von Arden. Wir schlugen unser Lager auf und teilten ausreichend Wachen ein. Ganelon, der eine Khakiuniform mit Käppi trug, saß bis spät in die Nacht bei mir und ging ein letztesmal die Pläne durch, die ich gezeichnet hatte. Bis zum Berg waren es noch etwa vierzig Meilen.

Die Lkws gaben am folgenden Nachmittag den Geist auf. Sie machten mehrere schnelle Veränderungen durch, blieben wiederholt stehen und ließen sich schließlich nicht mehr starten. Wir schoben sie in ein enges Tal und tarnten sie mit Ästen. Dann verteilten wir Waffen und Munition und den Rest der Rationen auf die Männer und marschierten weiter.

Dabei verließen wir den festgetretenen Lehmweg und arbeiteten uns durch den Wald voran. Natürlich kamen wir nicht mehr so schnell von der Stelle, und die Chance, daß uns eine von Julians Patrouillen überraschte, wurde größer. Die Bäume ragten riesig empor, da wir inzwischen schon ziemlich weit nach Arden vorgedrungen waren, und nach und nach kam mir die Gegend immer bekannter vor.

Wir sahen an diesem Tag jedoch nichts Gefährlicheres als Füchse, Rotwild, Kaninchen und Eichhörnchen. Der Geruch des Waldes, seine grünen, goldenen und braunen Farbtöne weckten die Erinnerung an angenehmere Zeiten. Kurz vor Sonnenuntergang erstieg ich einen riesigen Baum und vermochte die Bergkette auszumachen, über der sich Kolvir erhob. Über den Bergen entlud sich gerade ein Unwetter, dessen Wolken die höchsten Gipfel einhüllten.

Zur Mittagsstunde des nächsten Tages stießen wir auf eine Patrouille Julians. Ich weiß nicht mehr, wer wen überraschte oder wer mehr überrascht war. Es wurde sofort geschossen. Ich schrie mich fast heiser bei dem Versuch, die Knallerei zu unterbinden, da jedermann begierig zu sein schien, seine Waffe an einem lebendigen Ziel zu erproben. Es war nur eine kleine Truppe von achtzehn Mann, und wir töteten alle. Auf unserer Seite gab es nur einen Ausfall; ein Mann verwundete einen anderen. Anschließend marschierten wir mit erhöhtem Tempo weiter: hatten wir doch ziemlich viel Lärm verursacht, und ich wußte nicht, ob vielleicht noch weitere Einheiten in der Nähe waren.

Bis zum Beginn der Dunkelheit legten wir eine große Strecke zurück und bewältigten einen ansehnlichen Höhenunterschied, und bei klarer Sicht konnten wir die Berge erkennen. Noch immer wallten die Gewitterwolken um die Gipfel. Meine Männer waren aufgeregt von der Schießerei und brauchten einige Zeit zum Einschlafen.

Am nächsten Tag erreichten wir die Vorberge, wobei wir zwei Patrouillen rechtzeitig entdeckten und ihnen aus dem Weg gingen. Ich ließ bis tief in die Nacht weitermarschieren, um eine besonders geschützte Stelle zu erreichen, die ich von früher kannte. Als wir uns endlich schlafen legten, waren wir etwa eine halbe Meile höher als in der Nacht zuvor.

Obwohl wir uns dicht unter einer Wolkendecke befanden, gab es keinen Regen; allerdings machte sich jene atmosphärische Spannung bemerkbar, wie sie oft einem Unwetter vorausgeht. In dieser Nacht schlief ich sehr unruhig. Ich träumte von dem brennenden Katzenkopf und von Lorraine.

Am Morgen setzten wir den Marsch unter einem grauen Himmel fort. Unbarmherzig trieb ich die Männer zur Eile an; dabei führte der Weg steil bergauf. Fernes Donnergrollen drang an unsere Ohren, und die Luft bebte und war elektrisch geladen.

Einige Stunden später führte ich unsere Kolonne einen gewundenen Felsweg hinauf. Da hörte ich plötzlich einen Schrei hinter mir, gefolgt von mehreren Gewehrsalven. Sofort hastete ich zurück.

Eine kleine Gruppe von Männern, zu der auch Ganelon gehörte, starrte auf etwas am Boden, unterhielt sich mit leisen Stimmen. Ich drängte mich zwischen sie.

Ich wollte meinen Augen nicht trauen. Soweit ich mich zurückerinnern konnte, war ein Wesen dieser Art in der Nähe Ambers noch nicht gesehen worden. Etwa zwölf Fuß lang, mit der scheußliche Parodie eines Menschengesichts auf den Schultern eines Löwen, mit adlergleichen Flügeln, die die blutigen Flanken bedeckten, ein noch immer zuckender Schwanz, der mich an einen Skorpion denken ließ. Ein einziges Mal hatte ich bisher einen Manticora gesehen auf einer Insel, die im tiefen Süden lag – ein fürchterliches Ungeheuer, das auf meiner Liste gräßlicher Lebewesen ziemlich weit oben stand.

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