Huan lachte.
Ja, es war leicht, dich zu täuschen.
Auraya hob den Blick und schauderte, als sie den hämischen Ausdruck in den Zügen der Göttin sah.
Du gibst es also zu?, fragte Chaia Huan. Die Göttin funkelte ihn an und sagte nichts.
Wer hätte es sonst sein können?, warf Lore voller Verbitterung ein. Keiner von uns hat die Regeln so oft gebrochen wie Huan.
Regeln! Die Regeln galten für das Spiel, nicht für Bedrohungen unserer Existenz!, brüllte Huan. Wenn ihr auf mich gehört hättet, als ich euch vor ihr gewarnt habe, sie zeigte auf Auraya, wäre dies alles nie geschehen.
Chaia lächelte grimmig.
Wir alle haben uns irgendwann angewöhnt, dich zu ignorieren, wann immer du deinen törichten, verrückten Unsinn von dir gegeben hast. »Unsterbliche könnten Götter werden! Wenn sie es tun, werden sie uns alle töten! Auraya ist gefährlich!«
Huan hatte offensichtlich recht, stellte Lore fest.
Schweigen machte sich breit. Schließlich stieß Juran einen erstickten Laut aus.
»Ich verstehe nicht. Was ist passiert?«
Die Wilden haben uns das angetan, was wir vor vielen Jahrhunderten mit den anderen Göttern gemacht haben, erklärte Lore. Sie haben die Magie um uns herum abgezogen und uns in einer kleinen Oase im Zentrum dieses Raums gefangen. Wir können nicht von hier fort.
Nicht, solange die Magie nicht zurückgeflossen ist, fügte Yranna leise hinzu. Was tausende von Jahren dauern könnte.
Juran starrte Auraya an. »Du hast ihnen dabei geholfen?«
Sie zwang sich, seinem Blick standzuhalten. »Ja.«
»Warum?«
»Weil sie uns belogen haben. Sie nehmen keine Seelen. Sie spielen Spiele mit uns, als seien wir…«
Unverfrorenes Gelächter übertönte ihre Worte. Alle drehten sich zu Nekaun um.
»Du hast deine eigenen Götter in ein Gefängnis gesperrt?« Er schüttelte den Kopf. »Was kann ich dir dafür geben, dass du mir diesen Dienst erwiesen hast? Gold? Land? Einen Platz an meiner Seite?«
Eine Gänsehaut überlief Auraya. Es würde zumindest befriedigend sein, diesem einen Menschen die schlechten Neuigkeiten zu überbringen.
»Die zirklischen und die pentadrianischen Götter sind ein und dieselben«, erklärte sie ihm. »Sie haben Doppelrollen gespielt.« Sie sah zuerst Chaia an, dann jeden einzelnen der Weißen und der Stimmen. »Versteht ihr, dies alles ist ein Spiel für sie. Und ihr seid die Spielsteine. Die Toten in diesem Krieg und in dem vorangegangenen waren nichts weiter als Punkte für die eine oder die andere Seite. Punkte, keine realen Menschen mit Familien und Freunden. Keine…«
»Sie sind nicht ein und dieselben«, knurrte Nekaun mit zorndunklem Gesicht. »Meine Götter sehen nicht so aus wie diese. Sie klingen nicht einmal so wie sie.«
Was Auraya sagt, ist wahr, erklärte Chaia. Seine Gestalt veränderte sich, und plötzlich war er Sheyr. Die Stimmen starrten ihn entsetzt an.
»Das ist ein Trugbild!«, rief Nekaun aus.
Auraya drehte sich zu ihm um. »Du wirst die Wahrheit schon früh genug erfahren. Wenn die Götter deine magischen Gaben nicht stärken, wirst du schwächer sein. Du kannst nicht länger Gedanken lesen. Und unsterblich bist du ganz gewiss nicht.«
Ein Ausdruck der Unsicherheit trat in Nekauns Augen, und Auraya sah den gleichen Ausdruck auf den Gesichtern der Weißen.
»Es tut mir… leid«, sagte sie. »Aber wenn die Götter euch und die Stimmen weiterhin gegeneinander ausgespielt hätten, hättet ihr ohnehin nicht lange überlebt. Wenn ihr diesen Krieg fortführt, besteht natürlich eine gute Chance, dass ihr trotzdem sterbt.« Sie verzog das Gesicht. »Das ist eure Entscheidung. Ich werde euch weder helfen noch an irgendetwas hindern.«
Juran blickte von Auraya zu Chaia. »Ist das wahr?«
Ja.
Eine der Weißen stieß einen wortlosen Schrei des Zorns aus. Alle wandten sich zu der neuen Weißen, Ellareen, um, die Auraya mit vor Wut schneeweißem Gesicht anstarrte.
»Du«, fauchte sie. »Du Verräterin ! Du verdienst es nicht zu leben!«
Sie machte eine abrupte Handbewegung, und ein weißes, pulsierendes Licht schnellte durch die Luft und prallte von Aurayas Barriere ab.
NEIN! AUFHÖREN!, schrien die Götter wie aus einem Munde. Yranna stellte sich vor Ella hin.
Wir brauchen die Magie, die du für den Angriff auf sie benutzt, um zu überleben, Ellareen. Würdest du uns töten, um uns zu rächen?
Ellareen starrte die Göttin wild an, dann schüttelte sie den Kopf. Sie trat einen Schritt zurück und sah Auraya mit hasserfüllten Augen an.
Dann drosch ein weiterer Angriff auf Aurayas Barriere ein, gefolgt von einem irren Lachen. Menschen und Götter brachen gleichermaßen in Protest aus, als sie sich der Quelle des Angriffs zuwandten. Nekaun lachte abermals, dann sandte er einen Schlag gegen Juran.
»Ihr Narren«, sagte er. »Ihr habt mir soeben erzählt, wie ich eure eigenen Götter töten kann!«
Chaia nahm wieder Sheyrs Gestalt an.
HALT!, befahl er. Nekaun lachte weiter.
»Darauf falle ich nicht noch einmal herein. Ich nehme an, du warst derjenige, der mich aufgehalten hat, als ich mich ein wenig mit Auraya amüsieren wollte. Nun, ich…«
Plötzlich taumelte er zurück, und seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Der Schauer, der bei seinen Worten über Aurayas Rücken gekrochen war, verebbte, als sie sah, dass die anderen Stimmen ihn mit ihrer Magie wegzogen. Er leistete ihnen Widerstand, konnte aber wenig ausrichten. Dann durchfuhr ihn plötzlich ein Ruck, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen, und er fiel bewusstlos zu Boden.
Sofort wandten sich die Stimmen wieder den Göttern zu, und alle lächelten befriedigt. Ein kurzes Schweigen folgte, dann sprach Juran Chaia an.
»Was wird aus den Sterblichen werden, wenn wir eure Leitung verlieren? Wie sollen wir verhindern, dass wir in gesetzloses Chaos stürzen?«
Jähe Zuneigung zu ihm stieg in Auraya auf. »Solange es gute Anführer wie dich gibt, Juran, werden die Sterblichen schon zurechtkommen.«
Chaia lächelte.
Sie hat recht.
»Und wenn ich sterbe?«, fragte Juran mit gepresster Stimme.
Der würdige Stellvertreter, den du auswählst, wird deinen Platz einnehmen.
Wir wählen ihn aus, korrigierte Huan ihn und trat vor, um Chaia wütend zu mustern. Dann wandte sie sich zu den Weißen und den Stimmen um. Eure Götter sind nicht tot. Wir leben! Ihr werdet hier einen Tempel erbauen. Ihr werdet hierherkommen, um unseren Rat zu suchen, was die Führung eurer Länder betrifft.
Chaia schüttelte den Kopf. Das Problem beim Krieg ist, dass die Mächtigsten und Skrupellosesten überleben. Sie geben keine angenehme Gesellschaft ab.
Huan sah ihn höhnisch an.
Du hast ebenfalls überlebt, stellte sie fest und wandte sich dann wieder an die Weißen und die Stimmen. Eine neue Ära der Zusammenarbeit muss beginnen. Ihr werdet hier einen Tempel errichten und Priester ernennen, die uns dienen. Ihr werdet eure stärksten Zauberer als Wachen hierlassen, während…
Auraya hörte nicht mehr zu, als sie Chaias Blick auffing.
Sie ist eine Närrin, sagte er. Wenn nicht einer deiner Freunde zurückkehrt, um uns den Rest zu geben, werden wir irgendwann doch zugrunde gehen. Es kostet nicht viel Energie, um unsere Existenz aufrechtzuerhalten. Wir könnten vielleicht sogar lange genug leben, um diesem Gefängnis zu entrinnen, aber wir wären dann nicht mehr dieselben. Die meisten der Götter, die wir in Leere Räume eingesperrt haben, haben den Verstand verloren, Auraya. Wir brauchen die Sterblichen als Verbindung mit der Welt der Dinge.
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