»Ich verstehe«, sagte ich.
»Nur zweimal im Jahr gibt es neue Nahrung«, sagte sie.
»Und sie wird von den Priesterkönigen gebracht?« fragte ich.
»Ich nehme es an«, sagte sie.
»Aber du weißt es nicht?«
»Nein. Wenn ich morgens aufwache, sind die neuen Vorräte da.«
»Dann wird Parp sie wohl bringen«, sagte ich.
Sie sah mich amüsiert an.
»Parp, der Priesterkönig.«
»Hat er dir das erzählt?« fragte sie.
»Ja.«
Das Mädchen wollte offensichtlich nicht weiter über diese Angelegenheit sprechen, und ich verfolgte das Thema nicht. Ich hatte fast fertig gegessen. »Du hast gut gekocht«, beglückwünschte ich sie. »Das Essen ist ausgezeichnet.«
»Bitte«, sagte sie, »ich habe Hunger.«
Ich starrte sie verblüfft an. Sie hatte sich nichts bereitet, und da hatte ich angenommen, daß sie bereits gegessen hatte oder nicht hungrig war oder später essen wollte.
»Mach dir doch etwas«, sagte ich.
»Das kann ich nicht«, sagte sie einfach. »Ich darf nur essen, was du mir gibst.«
Ich verwünschte meine Unaufmerksamkeit.
War ich so sehr zum goreanischen Krieger geworden, daß mich die Gefühle eines Mitmenschen nicht mehr kümmerten – und noch dazu eines Mädchens, das meines Schutzes bedurfte? War es möglich, daß ich sie entsprechend dem Kodex meiner Kaste gar nicht mehr richtig wahrgenommen, sondern sie nur als rechtloses Tier angesehen hatte, als Untertan, als unwichtiges Instrument für meine Interessen und Lüste – eine Sklavin?
»Es tut mir leid«, sagte ich.
»Wolltest du mich nicht strafen?« fragte sie.
»Nein«, sagte ich.
»Dann ist mein Herr ein Narr«, sagte sie und griff nach dem Fleisch, das ich auf dem Teller hatte liegen lassen.
Ich packte ihr Handgelenk. »Aber jetzt habe ich die Absicht, dich zu strafen«, sagte ich.
Tränen stiegen in ihren Augen auf. »Gut denn«, sagte sie und zog die Hand zurück.
Vika würde heute Abend nichts zu essen bekommen.
Obwohl es nach dem Zimmerchronometer, das sich bei einer der Truhen im Deckel befand, schon Nacht war, bereitete ich mich darauf vor, den Raum zu verlassen. Leider herrschte Kunstlicht, so daß ich die Tageszeit nicht nach Sonne, Sternen und Monden bestimmen konnte. Mir fehlten diese Naturphänomene sehr. Seit meinem Erwachen hatten die Energielampen mit gleichmäßiger Helligkeit gebrannt.
Ich hatte mich nach besten Kräften im Wasserstrahl des Wandhahns gewaschen.
In einer der Truhen hatte ich zwischen mancherlei Kastenkleidung auch die Tunika eines Kriegers gefunden. Ich legte sie an, da mein eigener Umhang den Klauen des Larl zum Opfer gefallen war.
Vika hatte sich eine Strohmatte ausgerollt, die sie am Fuße der großen Steinplattform ausbreitete. In eine leichte Decke gehüllt, das Kinn auf die Knie gelegt, so beobachtete sie mich aufmerksam.
Ein schwerer Sklavenring war am Fußende meines Lagers angebracht, und ich hätte sie dort nach Belieben festketten können.
Ich gürtete mein Schwert.
»Du willst doch nicht den Raum verlassen?« fragte Vika – die ersten Worte, die sie seit dem Essen an mich richtete.
»Ja«, sagte ich.
»Aber das darfst du nicht.«
»Warum nicht?«
»Es ist verboten.«
Ich ging auf die Tür zu.
»Wenn die Priesterkönige dich sehen wollen, schicken sie nach dir«, sagte sie. »Bis es soweit ist, musst du warten.«
»Mir liegt nichts am Warten.«
»Aber dir bleibt nichts anderes übrig«, sagte sie und stand auf.
Ich kehrte um und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Du darfst die Priesterkönige nicht so fürchten«, sagte ich.
Sie merkte, daß sie mich nicht umstimmen konnte. »Wenn du gehen musst«, sagte sie, »dann kehre wenigstens vor dem zweiten Gongschlag zurück.«
»Warum das?«
»Um deinetwillen«, sagte sie und senkte den Blick.
»Ich habe keine Angst«, sagte ich.
»Dann meinetwegen«, sagte sie. »Ich habe Angst vor dem Alleinsein.«
»Aber du bist schon viele Nächte allein gewesen.«
Sie sah mich an, und ich vermochte den besorgten Ausdruck in ihren Augen nicht zu deuten. »Die Angst hört doch niemals auf«, sagte sie.
»Ich muß gehen.«
Plötzlich hörte ich aus der Ferne den tiefen Klang des Gongs, den ich schon einmal im Saal der Priesterkönige vernommen hatte.
Vika sah mich lächelnd an. »Siehst du«, sagte sie erleichtert. »Jetzt ist es zu spät. Jetzt musst du bleiben.«
»Warum?« fragte ich.
Sie schaute zur Seite, wich meinem Blick aus. »Weil bald die Energielampen verdunkelt werden«, sagte sie. »Das sind die Stunden, die zum Schlafen gedacht sind.«
»Warum muß ich hierbleiben?« fragte ich und verstärkte meinen Griff um ihre Schultern, schüttelte sie, um sie zum Reden zu bringen. »Warum?«
Angst flatterte in ihren Augen.
Dann ertönte der zweite Gongschlag, und Vika schien in meinen Armen zu erzittern.
Wieder schüttelte ich sie heftig. »Warum?« brüllte ich.
Sie konnte kaum sprechen. »Weil nach dem Gong . . .«, flüsterte sie.
»Nach dem Gong . . . streifen sie herum . . .«
»Wer?« fragte ich.
»Die Priesterkönige!« rief sie und wandte sich ab.
»Ich fürchte mich nicht vor Parp!« sagte ich.
Sie starrte mich an. »Parp ist kein Priesterkönig«, sagte sie leise.
Und dann klang der dritte Gongschlag auf, und im gleichen Augenblick verdunkelten sich die Energielampen in unserem Zimmer, und ich stellte mir vor, daß irgendwo in den langen Korridoren dieser unterirdischen Welt die Priesterkönige unterwegs waren.
Gegen Vikas Proteste machte ich mich auf den Weg. Mit entschlossenen Schritten trat ich in den Korridor hinaus. Ich sah Vikas weiße Tunika und die bleiche Schönheit ihrer Haut, als sie vor den gefährlichen Sensoren verharrte.
»Bitte geh nicht!« rief sie mir nach.
Ich antwortete nicht, sondern setzte mich in Bewegung.
»Ich habe Angst!« rief sie. Aber ich vermutete, daß die Gefahr für sie heute nacht nicht viel größer war als all die Nächte zuvor, und ging weiter.
Es war nicht an mir, sie zu trösten. Ich musste mich um die gefürchteten Bewohner dieser dämmrigen Tunnels kümmern; ich war kein Frauenbeschützer, ich war Krieger.
Als ich dem Korridor folgte, schaute ich in verschiedene andere Zimmer, die dem meinen sehr ähnlich waren. Nirgendwo gab es eine Tür, sondern nur die breiten Durchgänge, mit Sensoren gesichert.
Fast alle Zimmer waren leer.
In zwei Räumen lebten jedoch Kammersklavinnen, Mädchen wie Vika, gleich gekleidet, mit einem gleichen Kragen versehen, die sich nur durch die Nummer unterschieden.
Das erste Mädchen war klein und stämmig, mit breiten Fußgelenken und breiten Schultern; sie kam vermutlich vom Lande. Ihr Haar legte sich in einem breiten Zopf über ihre rechte Schulter. Ich fragte sie, ob sie die Priesterkönige gesehen habe.
»Heute nacht noch nicht«, sagte sie.
Das zweite Mädchen war groß und zierlich. Sie schien einer Hohen Kaste zu entstammen. Auch sie verneinte meine Frage.
Ich ging weiter, vermochte die Erinnerung an die beiden Kammersklavinnen und an Vika aber nicht abzuschütteln – vielleicht weil mich das Schicksal der Mädchen berührte, vielleicht auch, weil jede auf ihre Art schön war. Trotzdem freute ich mich, daß ich zu Vika gekommen war, die mir doch am attraktivsten erschien. Dabei fiel mir ein, daß sie in gewisser Hinsicht Lara, der Tatrix von Tharna, ähnelte, die mir einmal am Herzen gelegen hatte. Ich dachte an Vika, deren Lippen voll und verlockend waren, und fragte mich, ob sie vielleicht von Geburt an Sklavin war, ob sie nicht von klein auf zur Vergnügungssklavin erzogen worden war.
Als ich hierüber nachdachte, verstärkte sich das Gefühl, daß ich nicht zufällig in Vikas Raum gebracht worden war. Ich hatte das Gefühl, daß Vika schon die Herzen vieler Männer gebrochen hatte und daß sich die Priesterkönige vielleicht dafür interessierten, wie ich mit ihr zurechtkam.
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