Schließlich war der Fremde gekommen und hatte mich befreit.
Ich blickte zu den drei Monden empor. Ich folgte diesem Mann im hellen Schein der herrlichen Monde, ich trug seinen Schild, seine Vorräte, ich folgte ihm wie ein Lasttier, wie eine Gefangene, nackt und gefesselt – trotz allem erfüllte mich ein phantastisches Gefühl der Freiheit, der psychischen Erleichterung. Ich wäre am liebsten zu ihm gelaufen und hätte den Kopf an seine Schulter gelegt. Stundenlang marschierten wir durch das Grasland.
Von Zeit zu Zeit stürzte ich, doch er blieb nicht stehen. Taumelnd kam ich immer wieder hoch und hastete hinter ihm her. Schließlich konnte ich nicht weiter. Mein Körper war solche Belastungen nicht gewöhnt; ich war ja nur ein Erdenmädchen. Mein Atem kam stoßweise, meine Beine zitterten. Ich lag im Gras und konnte mich nicht mehr rühren. Nach einer Weile spürte ich ihn neben mir stehen und auf mich herabblicken. Ich blickte empor und versuchte zu lä cheln. »Ich kann nicht mehr«, sagte ich. Er mußte meine Erschöpfung sehen, meine Hilflosigkeit. Ich konnte mich nicht einmal mehr bewegen! Ich sah, wie er den Gürtel lockerte. Verzweifelt rappelte ich mich auf. Er sah zornig aus. Er hätte mich geschlagen! Er machte den Gürtel wieder zu und wandte sich ab. Ich folgte ihm.
Gegen Morgen überquerten wir einige Bäche. Das Wasser umspielte eiskalt meine Beine. Die Bäche waren von Unterholz und Bäumen gesäumt. Auf der Ebene erhoben sich einzelne Baumgruppen. Etwa eine Stunde vor Beginn der Morgendämmerung blieb er plötzlich stehen. Wir befanden uns an einem Wasserlauf zwischen Bäumen. Er nahm mir Beutel, Wassersack und Schild ab. Ich ließ mich unter den Bäumen ins Gras sinken, rieb mir kurz die Handgelenke und verlor das Bewußtsein. Nach kurzer Zeit wurde ich wachgerüttelt. Eine Hand schob mir kleingeschnittenes Trockenfleisch in den Mund. Auf der Seite liegend kaute und schluckte ich. Erst jetzt ging mir auf, wie hungrig ich war. Gleich darauf zog er mich in eine sitzende Position hoch und schob mir die Spitze des Wassersacks in den Mund, wobei mich seine andere Hand im Rücken stützte. Gierig trank ich. Er gab mir ausreichend zu trinken. Dann hob er mich mühelos hoch und trug mich zu einem Baum. Noch während er meinen rechten Fuß an den Baum band, überwältigte mich die Erschöpfung. Ich glaubte in meinem weichen Bett zu liegen und reckte mich in der angenehmen Wärme.
Plötzlich erwachte ich. Ich lag in einem Dickicht auf einer fremden Welt. Es war warm, und die Sonne schimmerte durch die Äste der Bäume. Ich betrachtete meine Handgelenke, die ohne Fesseln waren. Sie wie sen tiefe Druckstellen auf, die von den Lederriemen herrührten. Ich rieb meine Haut und sah mich um. Mit dem rechten Fuß war ich an einen kleinen Baum gebunden. Ich richtete mich auf, lehnte mich mit dem Rücken dagegen und beobachtete den Mann, der ein Stück entfernt im Schneidersitz hockte und seine Schwertklinge mit Öl einrieb.
Er beachtete mich nicht im geringsten. Er mußte mein Erwachen, meine Bewegungen gespürt haben; trotzdem schenkte er mir keinen Blick. Ich war zornig, war ich es doch nicht gewöhnt, ignoriert zu werden, und schon gar nicht von einem Mann!
Der Bursche war nicht unansehnlich. Ich fragte mich, ob ich auf eine interessante Beziehung mit ihm hoffen konnte. Natürlich mußte er es lernen, mich als Frau zu respektieren.
Er wischte die Klinge mit einem Tuch ab und schob Tuch und Ölfläschchen in seinen Beutel zurück. Dann wischte er sich an Gras und Tunika die Hände ab und ließ das Schwert in die Scheide gleiten. Dann erst sah er mich an.
Ich lächelte. Ich wollte mich mit ihm anfreunden. Er schlug sich aufs rechte Bein und deutete darauf. Ich löste nicht ohne Mühe den Knoten, der mich an den Baum fesselte und reichte ihm schließlich das weiche Lederband, das er wieder in seinen Beutel steckte. Dann bedeutete er mir, die Haltung einzunehmen, die ich tags zuvor schon gelernt hatte, mit gespreizten Beinen auf den Hacken sitzend, den Rücken durchgedrückt. Wie konnte ich in dieser Position Freundschaft mit ihm schließen? Wie konnte ich ihn dazu bringen, mich als selbständige Persönlichkeit zu sehen, solange ich hilflos vor ihm hockte?
Ich beugte mich vor und packte mit den Zähnen das Stück Fleisch, das er mir reichte.
Ich fühlte mich denkbar elend. Ich durfte nicht einmal allein essen!
Als ich das Fleisch hinuntergeschlungen hatte, gab er mir wieder zu trinken.
Er mußte begreifen, daß ich ein gleichgestellter Mensch war! Ich löste mich aus der Stellung, die er mir befohlen hatte, setzte mich mit angezogenen Knien vor ihn ins Gras. »Sir«, sagte ich. »Ich weiß, Sie verstehen meine Sprache nicht, und ich kenne die Ihre nicht – aber vielleicht verrät meine Stimme Ihnen etwas von meinen Gefühlen und meiner Stimmung. Gestern haben Sie mir das Leben gerettet. Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar.«
Im nächsten Augenblick hatte ich das Gefühl, der Kopf fliege mir davon, mit solcher Schnelligkeit und Kraft schlug seine offene Hand zu. Ich wurde ein Stück zur Seite geschleudert und erbrach mich ins Gras; im ersten Augenblick vermochte ich nichts zu erkennen. Schwärze umgab mich, durchschossen von Lichtern und Funken. Ich schüttelte den Kopf und ließ mich auf die Seite fallen.
Dann ertönte ein Kommando, das ich bereits kannte. Ich hatte es gestern gehört. Hastig nahm ich die Stellung ein, die ich zu verlassen gewagt hatte. Voller Entsetzen kniete ich vor dem mächtigen Mann.
Blut rann mir über das Kinn. Mein Herz klopfte wild. In diesem Augenblick ahnte ich nicht, wie schlimm der Verstoß war, den ich begangen hatte, wie leicht ich davongekommen war. Ich hatte ohne Erlaubnis gesprochen und ohne Erlaubnis die Position verändert.
Ich kniete vor dem Mann, der mit gespreizten Beinen und verschränkten Armen dastand. Ich gab mich keiner Täuschung mehr hin, daß er mich als Gleichgestellte behandeln würde. Die Ironie dieser Illusion war mir inzwischen klar angesichts der unüberwindlichen biologischen Realität, die er mir aufgezwungen hatte. Ich mußte an die Rituale der Beherrschung und Unterwerfung denken, wie sie im Reich der Tiere praktiziert werden; nie zuvor hatte ich diese Worte so klar begriffen. Ich hatte Angst.
Zu meiner Erleichterung wandte er sich ab. Trotzdem rührte ich mich nicht. Es war später Nachmittag. Er legte sich zum Schlafen nieder, und noch immer veränderte ich meine Stellung nicht. Er hatte es mir nicht erlaubt. Vielleicht wollte er mich strafen. Ich wußte es nicht. Ich hatte große Angst vor ihm.
Etwa zwei Stunden später, am frühen Abend, erwachte er und sah mich an. Ich hatte mich nicht gerührt. Er nahm Beutel und Wassersack auf und befestigte sie an seinem Gürtel. Dann hängte er sich das Schwert über die Schulter, setzte den Helm auf und ergriff Schild und Speer. Ich sah ihn an. Sollte ich diese Lasten nicht mehr für ihn tragen?
Mit einem Fingerschnipsen und einer Kopfbewegung befreite er mich aus meiner Position. Dankbar bewegte ich meinen Körper und reckte mich wie eine Katze. Ich errötete, als ich seinen kritischen Blick bemerkte, und hielt inne. Er gab mir ein kurzes Kommando, und ich machte weiter. Ich rieb mir die Beine, um die Zirkulation anzuregen, massierte die verkrampften Muskeln. Dabei war ich mir bewußt, daß ich mich doch irgendwie anders bewegte, als wenn ich allein gewesen wäre.
Schließlich legte ich mich im Gras zurück und blickte zum Himmel auf. Es war inzwischen dunkler geworden. Der Mann, in dessen Begleitung ich war, in dessen Gewalt ich mich befand, hatte das Dickicht verlassen. Ich hatte keine Sorge, daß er nicht zurückkommen würde. Er war nicht zornig auf mich gewesen. Außerdem hatte ich den Blick bemerkt, mit dem er mich gemustert hatte.
Auf der Erde waren junge Männer für mich wenig interessant gewesen – bis auf die Bewunderung, die sie mir entgegenbrachten. Obwohl ich oft ausgegangen war, hatte ich mich ziemlich zurückgehalten. Für wilde Parties hatte ich nicht viel übrig gehabt; und es machte mir keine Mühe, die Burschen auf Abstand zu halten. Bei der geringsten Abwehr ihrer Avancen stotterten sie, erröteten, entschuldigten sich. Ob ich wütend sei? Könne ich noch einmal verzeihen? Würde ich noch einmal mit ihm ausgehen?
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