»Dein Herr ist einer der häßlichsten Männer, die ich kenne«, sagte Tina.
»Ach, so übel ist er gar nicht«, sagte ich und zog eine feuchte Tunika aus dem Wasser.
»Dir muß doch eine Gänsehaut kommen, wenn er dich nimmt«, sagte sie. »Es muß schrecklich sein, ihm zu dienen.«
»Ach, so schlimm ist es nicht«, antwortete ich.
»Er ist nicht schlimm?« fragte sie.
»Nein«, sagte ich. Auf jeden Fall hatte er mir gegenüber seine Kraft und Befehlsmacht bewiesen. Ich hielt es nicht für nötig, ihr zu erzählen, daß ich den zunehmenden Wunsch verspürte, ihm zu Gefallen zu sein.
»Interessant«, sagte sie. »Nun ja, bei einem Sklavenherrn weiß man eben nie.«
Wir setzten unsere Arbeit fort.
Ich trug eine kurze graue Tunika, die mir Speusippus schon am ersten Tag gegeben hatte. Es war heiß, und ich fuhr mir mit der Hand über den Kopf. Meine Fingerspitzen streiften über die kurzen Haarstoppeln. Speusippus hatte mir mein gesamtes Kopfhaar abgeschoren.
»Bin ich häßlich, Tina?« fragte ich.
»Nein«, antwortete sie.
»Aber mein Haar?«
»Das wird schon nachwachsen.«
»Glaubst du, ein Mann könnte mich begehren, wie ich bin?« fragte ich.
»Du hast doch sicher bemerkt, wie die Fuhrleute hinter dir herschauen!«
»Nein!« rief ich.
»Du hast eine hübsche Kehrseite«, sagte sie.
Errötend wrang ich die letzte Tunika aus, rollte sie ein und legte sie zu den anderen. Später würde ich sie auf den Wagen ausbreiten.
»Was gibt es sonst Neues, Tina?« fragte ich.
»Worüber?«
»Na, über alles.«
»Viel Neues weiß ich nicht«, sagte sie. »Wegen des vielen Regens macht man sich Sorgen um die Sa-Tarna-Ernte. In Ar wird es wegen des Geburtstags des Ubars Marlenus ein großes Fest geben. Lactantius hält das für wichtig.«
»Gibt es auch Neues aus dem Westen?« fragte ich.
»Das Übliche.«
»Und das wäre?«
»Du hast sicher von der Flucht der Tatrix von Corcyrus gehört?«
»Nein!«
»Seltsam«, sagte sie. »Das alles ist schon einige Tage her. Man sucht sie überall.«
»Das wußte ich nicht«, sagte ich. »Wo vermutet man sie denn?«
»Niemand weiß, wo sie steckt.«
»Oh«, sagte ich.
»Man hat eine Belohnung von tausend Goldstücken ausgesetzt.«
»Das ist sehr viel Geld«, sagte ich. Mir war übel. »Tina«, fügte ich hinzu.
»Ja.«
»Lactantius, dein Herr, kommt doch aus Ar-Station. Was macht er auf dieser Straße?«
»Er hat in Ar Fracht geladen«, erwiderte sie, »und bringt sie nach Westen.«
»Wohin?«
»Nach Argentum. Was ist los?«
»Nichts. Was macht er dann auf dieser Straße?«
»Was meinst du?« rief sie. »Er tut hier genau das, was von ihm erwartet wird!«
»Wohin führt diese Straße?« fragte ich.
»Nach Argentum.«
Ich tat, als müßte ich einige Tuniken noch nachwaschen, und blieb am Fluß, bis Tina fertig war und zum Wagen ihres Herrn zurückgekehrt war. Unbemerkt bückte ich mich dann, las vom Flußufer einen kleinen scharfen Stein auf und steckte ihn in den Saum meiner Sklaventunika. Später würde ich ihn im Mund aufbewahren, denn Speusippus würde mir die Tunika nehmen, ehe ich mich wieder in die Truhe legen mußte. Diese Truhe war zwar sehr robust gebaut, doch bestand sie nicht aus Eisen, sondern aus Holz.
Auf der steinernen Straße hastete ich nach Osten, der Viktel Aria entgegen.
Die Steinstraße war feucht. Die Nacht war wolkenverhangen.
Ich hatte zwei Nächte gebraucht, um mir mit dem scharfen Stein unter der Decke in der Truhe einen Weg in die Freiheit zu schaben. Mit tiefen, gleichmäßigen Schabebewegungen hatte ich begonnen und Rillen geschaffen, die ich immer mehr vertiefte, langsam und gründlich. Ich war mit äußerster Vorsicht und sehr leise vorgegangen und immer nur dann, wenn ich genau wußte, daß Speusippus schlief. Am Tage versteckte ich den Stein in der Decke, die auch die sonstigen Spuren meiner Arbeit verdeckte. Oh, wie froh war ich, daß Speusippus sich ziemlich nachlässig zeigte, was meine Unterbringung anging. Gestern früh, vor Beginn der Morgendämmerung, war es mir gelungen, den Boden der Truhe zu lockern. Ich hatte mich auf eine Seite gerollt und meine Finger darunter geschoben. Heute abend, vor wenigen Ahn, hatte ich den Boden ins Innere der Truhe gehoben. Dann hatte ich die ganze Truhe verkantet und mich zwischen den beiden Eisenbändern hindurchgewunden, die das Behältnis umspannten und mit den beiden Schlössern so verbunden waren, da man sie nicht aussägen konnte. Ich hatte die Truhe dann wieder an ihren Platz geschoben, war aus dem Wagen gehuscht und hatte das Lager im Laufschritt verlassen.
Wieder war ich nackt, wie damals im Lager Miles’ aus Argentum. Keuchend lief ich nach Osten, so schnell ich konnte. Zwischendurch ging ich langsamer, um wieder zu Atem zu kommen. Gewiß rechnete man nicht damit, daß ich mich an die Straße halten würde. Dabei kam ich auf der Straße am schnellsten voran. Ebensowenig würde man erwarten, daß ich zur Viktel Aria zurückkehrte. Dort mußte ich nicht nur mit einer dichteren Besiedlung rechnen, dort befand ich mich überdies in gefährlicher Nähe Ars. Aus meiner Sicht, so würde man folgern, mußte das beinahe genauso schlimm sein, wie den Weg nach Argentum fortzusetzen. Wahrscheinlich rechnete man sich aus, daß ich dem Fluß folgen wollte, durch das Wasser watend, bis ich dann einige Pasangs weiter an Land stieg und nach Norden wanderte. Speusippus würde daran denken, daß ich ihn angefleht hatte, nicht nach Ar gebracht zu werden.
Ich eilte durch die Nacht.
Ein weiterer Grund, der für die Straße sprach, war die Hoffnung, daß man auf der harten, nassen Oberfläche meiner Spur nicht so gut folgen konnte. Außerdem gab es im Lager keine Sleen, und es mochte Tage dauern, bis Speusippus solche Tiere mieten konnte. Außerdem besaß er nicht viel, mit dem er Sleen auf meine Fährte setzen konnte. Die Decke in der Truhe war vor mir von anderen Mädchen benutzt worden. Und meine Tunika hatte ich noch am Abend vor der Flucht frisch ausgewaschen meinem Herrn ausgehändigt, ehe ich mich scheinbar hilflos in meinem Nachtgefängnis einschließen ließ.
Die Wolkendecke verdichtete sich noch mehr. Ich spürte Regentropfen.
Vielleicht verzichtete Speusippus überhaupt darauf, Sleen zu mieten. Als vernünftiger Mann mußte er erkennen, daß die Fährte schon bald verblaßt sein mußte. Außerdem sind Sleen sehr teuer.
Es begann zu regnen. Ich hieß die Feuchtigkeit willkommen, in der Hoffnung, sie würde meine Spur fortwaschen.
Und noch einen Grund hatte ich, den Weg zurückzugehen, den wir in den letzten Tagen genommen hatten. Gestern hatte ich einen offenen Transporter gesehen, in dem angekettete Sklavinnen saßen; es war nicht der erste Wagen dieser Art gewesen, der uns begegnete: Fahrzeuge vom gleichen Typ, die anscheinend einer bestimmten Firma gehörten. Ich hatte mich erkundigt. Es handelte sich um Mädchen, die als Arbeitssklavinnen eingesetzt werden sollten, eine sehr niedrige Form der Sklaverei, vielleicht die niedrigste Stufe überhaupt, noch unter der des Kessel-und-Matten-Mädchens. Arbeitssklavinnen bringen keine hohen Preise und werden oft gruppenweise verkauft. Sie arbeiten im allgemeinen als »Küchen-Mädchen«, »Wäsche-Mädchen«, »Fabrik-Mädchen« und dergleichen. Die Mädchen, die ich gesehen hatte, so wurde berichtet, waren auf Märkten im Norden erstanden worden, wo die Preise oft niedriger waren, und wurden nun wahrscheinlich nach Südosten gebracht, um dort Schwerarbeit zu leisten. Ich hoffte mit diesen Mädchen Kontakt aufzunehmen und mir von ihnen Nahrung und vielleicht einen Rat holen zu können. Meine Schicksalsgenossinnen würden mich bestimmt nicht im Stich lassen.
Gegen Morgen hörte der Regen auf, und ich verließ die Argentum-Straße, um beim Hellwerden nicht entdeckt zu werden.
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