»Ich verstehe Sie«, sagte Feric einfach.
»Gemeinsam können wir den Gang der Geschichte formen!« erklärte Bogel leidenschaftlich. »Wir erkennen beide die Gefahr, wir stimmen überein, daß Heldon von Männern mit eiserner Überzeugung und absoluter Rücksichtslosigkeit regiert werden muß, die wissen, was getan werden muß, um die Doms auszutilgen und die Untermenschen zurückzudrängen, und die nicht davor zurückschrecken werden, es zu tun. Ich habe den Kern einer nationalen Organisation aufgebaut, den ich nun in Ihre Hände lege. Wollen Sie annehmen? Wollen Sie Heldon zum Endsieg führen, Feric Jaggar?«
Feric konnte nicht umhin, über Bogels großsprecherische Worte zu lächeln. Der Mann redete, als böte er ihm das Reichszepter, den verschollenen Großen Knüppel von Held, statt der Führerschaft einer armseligen kleinen Partei. Überdies hatte er den Eindruck, daß Bogel ihm zuliebe ein wenig dick auftrug. Dennoch war Bogel im wesentlichen vollkommen aufrichtig, und sein Ruf war eine Aufforderung, die kein rechter Mann ablehnen konnte. Außerdem konnten aus kleinen Anfängen große Dinge hervorwachsen. Er war allein und ohne Freunde nach Heldon gekommen; in Walder würde er als Führer einer kleinen Gruppe von Gefolgsleuten eintreffen. Sicherlich hatte das Schicksal ihm diese Gelegenheit zugespielt, um ihm einen Hinweis auf seine Mission zu geben; daher geziemte es ihm, dem Ruf des Schicksals zu folgen.
»Sehr gut«, erwiderte er. »Ich nehme an. Morgen früh werden wir gemeinsam den Dampfwagen nach Walder nehmen.«
Bogel strahlte; er war beglückt wie ein kleines Kind über ein neues Spielzeug. »Wundervoll!« rief er aus. »Ich werde dem Parteihauptquartier telegrafieren, bevor wir uns zur Ruhe begeben. Dies ist der Beginn eines neuen Zeitalters für Heldon und die Welt. Ich fühle es in meiner Seele.«
Es war ein herrlicher frischer und sonniger Morgen in Ulmgarn, als Feric und Bogel den Dampfwagen nach Walder bestiegen; Feric fühlte sich ausgeruht und angefüllt mit Tatkraft. Dazu kam, daß die zweitägige Fahrt nach Walder im Gegensatz zu der kürzeren Strecke von Gormond nach Pormi ein höchst angenehmes Erlebnis zu werden versprach. Der borgravische Dampfwagen war ein schmieriger alter Ratterkasten gewesen, der, als er auf Rädern, die kaum rund schienen, die ausgefahrenen, unebenen Landstraßen dahinholperte, mehr ein Folterinstrument als ein Verkehrsmittel zu sein schien. Um das Maß vollzumachen, war er mit einem wahrhaften Schweinestall der ranzigsten Mutanten und Bastarde zusammengepfercht gewesen, in einem unbeschreiblichen Gestank wie von einer offenen Kloake. Der Zephyr auf der anderen Seite war ein schimmernder neuer Wagen, ausgerüstet mit den modernsten pneumatischen Reifen, deren Gebrauch durch die legendäre Vollkommenheit der heldonischen Straßen möglich wurde.
Das Äußere des Dampfwagens war ein makelloses Smaragdgrün, abgesetzt mit bescheidenen braunen Zierstreifen, und der Stahl der Gestänge und des Kessels glänzte vor Sauberkeit und war frei von jeglichem Rostansatz. Der Passagierraum war mit Fichtenholz ausgekleidet, das Fensterglas war fleckenlos, die fünfzig Sitze waren gepolstert und mit rotem Samt bezogen, und nur die Hälfte von ihnen war besetzt, diese überdies von größtenteils ansehnlichen Zeitgenossen. Dieser prachtvolle Dampfwagen war ein erhebendes Zeugnis heldonischer Wertarbeit und Technik. Ferner verlief eine weite Strecke der Landstraße nach Walder durch die reizvolle Hügellandschaft des Smaragdwaldes, eine Landschaft, die für ihre Schönheit berühmt war. Und schließlich brauchte er nicht allein in einer Herde von Bastarden zu reisen, sondern hatte die Gesellschaft von Heldern, insbesondere seines neu gefundenen Schützlings Seph Bogel. Es versprach eine angenehme Reise zu werden.
Sie nahmen Sitze in der Mitte des Passagierabteils, gleich weit entfernt von den Geräuschen der Dampfmaschine vorn und dem übertriebenen Schaukeln und Stoßen, dem man im Heck ausgesetzt war; ausgewählte Plätze, wie sie von erfahrenen Reisenden bevorzugt wurden, versicherte ihm Bogel. Und er bestand darauf, daß sein neuer Führer den Fensterplatz belegte.
Als alle Passagiere eingestiegen waren, kam eine Reisebegleiterin in grüner und brauner Livree aus dem kleinen Raum zwischen der Front des Passagierabteils und der Rückseite des Holzbehälters, stellte sich mit dem Namen Garth vor und verteilte Kissen an diejenigen, die welche wünschten.
Die Tür wurde geschlossen, die Bremsen mit einem gewaltigen Zischen von Dampf gelöst; dann begann die Maschine ein stetiges, tiefes und kraftvolles Pulsieren durch den Wagenaufbau zu schicken, und der Dampfwagen rollte langsam vom Hof des Stationsgebäudes.
Auf der Fahrt durch die Straßen von Ulmgarn beschleunigte der Dampfwagen gleichmäßig, und als er den Stadtrand hinter sich ließ und die offene Landstraße erreichte, fuhr er gute fünfzig Stundenkilometer und beschleunigte noch immer. Nichts in Borgravia hatte sich jemals derart schnell bewegt, und Feric geriet durch die körperliche Empfindung der berauschenden Geschwindigkeit in einen Zustand von Begeisterung. Der Dampfwagen hörte erst auf zu beschleunigen, als seine Geschwindigkeit annähernd achtzig Stundenkilometer erreicht hatte und er eine lange schnurgerade Strecke dahinbrauste, die durch lückenlos bebautes grünes Bauernland zum Rand des Smaragdwaldes führte, der wie ein grüner Wall näher und näher rückte.
»Sehen Sie dort!« rief Bogel plötzlich aus. Feric schreckte aus seiner Landschaftsbetrachtung auf, wandte sich um und sah, daß Bogel zum rückwärtigen Fenster des Passagierabteils hinaus auf etwas zeigte, was den Dampfwagen mit unglaublicher Geschwindigkeit zu überholen sich anschickte. »Ein Motorwagen!« triumphierte Bogel. »Ich wette, Sie haben dergleichen in Borgravia nicht gesehen!«
Feric wußte von diesem Wunder der Technik, hatte jedoch nie eins gesehen. Anders als Dampfwagen, die mit überall erhältlichem Holz betrieben wurden, wurde der Motorwagen von einem sogenannten Verbrennungsmotor angetrieben, der Petroleum als Brennstoff benötigte. Der Grundstoff zu dieser Flüssigkeit mußte mit bewaffneten Schiffskonvois aus den Wildnissen des Südens herbeigeschafft oder von den widerwärtigen Einwohnern Zinds erworben werden; beides war mit hohen Kosten verbunden. Aber der Motorwagen war ein Fahrzeug, das unglaublicher Geschwindigkeiten fähig war, die an einhundertfünfzig Stundenkilometer heranreichten, wenn es auch einen teuren Treibstoff von großer Seltenheit verbrauchte. In Borgravia wurden solche Maschinen nur in dem halben Dutzend Flugzeugen verwendet, die das Land besaß, oder für die Fahrzeuge der höchsten Regierungsbeamten. Feric hatte gehört, daß solche Motorwagen in der höheren Zivilisation Heldons zahlreicher seien, schätzte sich aber glücklich, schon so früh auf seiner Reise den Anblick eines solchen Fahrzeugs geboten zu bekommen.
Wenige Augenblicke später hatte der Motorwagen sie eingeholt und sauste, weit zur Seite ausweichend, am Dampfwagen vorbei. Feric sah ein Fahrzeug, das ein Viertel der Länge des Dampfwagens hatte, etwa ein Drittel seiner Höhe und die Hälfte seiner Breite, mit einer langen Verkleidung vorn, dann einem offenen Führerstand mit einem Fahrer in grauer und schwarzer Regierungsuniform und schließlich einer kleinen geschlossenen Kabine, in der nicht mehr als sechs Passagiere Platz finden konnten. Das ganze Fahrzeug war rot und schwarz lackiert und bot einen wahrhaft prächtigen Anblick, als es längsseits kam, einen Fanfarenton vernehmen ließ und mit einem dumpfen Aufbrüllen schnell vorbeizog, um bald darauf weit voraus außer Sicht zu kommen, wo die Straße in den Smaragdwald eintrat.
»Eines baldigen Tages müssen wir einen dieser Wagen für die Fahrten durch das Land anschaffen«, sagte Feric. »Das ist die Art und Weise, wie ein Führer reisen sollte! Mit Geschwindigkeit und Stil und Eleganz!«
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