»Petroleum ist unglaublich teuer«, meinte Bogel bekümmert. »Wie die Dinge jetzt stehen, würde es die Parteikasse ruinieren, wenn wir ein Jahr lang einen Motorwagen führen.«
»Nicht, wenn wir über die Ölfelder des südwestlichen Zind verfügten«, murmelte Feric in Gedanken.
»Was?«
Feric lächelte. »Ich denke an die Zukunft, Bogel«, sagte er. »An eine Zukunft, in der ganz Heldon von großartigen Straßen durchzogen und verbunden ist und selbst Helder mit bescheidenem Einkommen es sich leisten können, Motorwagen zu fahren, eine Zukunft, in der die großen Ölfelder des südwestlichen Zind unser privates Petroleumreservoir sind.«
Bogel machte große Augen. »Sie träumen heroische Träume, Feric Jaggar!« sagte er.
»Das neue Zeitalter wird noch weit heroischer sein als meine gegenwärtigen Träume, Bogel. Um dieses neue Zeitalter Wirklichkeit werden zu lassen, müssen wir eine wahrhaft heroische Rasse werden. Und wenn wir es geschafft haben, werden wir in der Art und Weise leben, die einer solchen Rasse von Übermenschen angemessen ist.«
Bald hatte der Dampfwagen den Smaragdwald erreicht. Die Landstraße führte am rechten Ufer eines klaren, rasch dahinströmenden Flusses entlang, der sich in sanften Windungen durch die liebliche Parklandschaft der Tiefebene zog. Der Fahrer des Dampfwagens war gezwungen, die Geschwindigkeit auf etwa fünfzig Stundenkilometer zu verringern, um das Fahrzeug in den schärferen Kurven auf der Straße zu halten. Diese gemessenere Geschwindigkeit setzte Feric instand, diesen berühmten jungfräulichen Wald in Muße zu betrachten.
Die einzelnen Bäume waren von ehrwürdigem Alter, und ihre borkigen Stämme und Äste von der Natur zu mannigfaltigen Gestalten geformt und von einem dichten dunkelgrünen Laubdach überwölbt. Diese alten Bäume schienen sorgsam auf Distanz bedacht, so daß man relativ leicht durch den Wald gehen konnte, vom Laubdach gegen die Sonne beschirmt und umgeben von den tiefen grünen Schatten eines geheimnisvollen Halbdunkels. Das Unterholz bestand hauptsächlich aus Farnen, niedrigen Büschen und nachwachsenden Jungbäumen. Lange Gräser und Stauden bedeckten den Waldboden, durchsetzt von moosigen Stellen, wo Pilze und Waldorchideen gediehen. Dieser Wald hatte nichts von der krebsartig wuchernden Fülle obszön mutierter, bläulich gefleckter Vegetation, welche die über das Land verstreuten Inseln des borgravischen Strahlungsdschungels kennzeichnete und zu schrecklichen und undurchdringlichen Orten machte, von Lebewesen bewohnt, deren Anblick hinreichte, einem abgehärteten Mann den Magen umzudrehen.
Die Bäume des Smaragdwaldes waren genotypisch rein; dieses Waldgebiet hatte die Zeit des Feuers wie durch ein Wunder praktisch unversehrt überlebt, mit gesundem, unverseuchtem Boden. Das Alter des Waldes war unbekannt; er war viel älter als das Staatsgebilde von Heldon, hatte möglicherweise schon vor dem Auftreten des wahren menschlichen Genotyps in dieser Form existiert. Alte Volkserzählungen wollten wissen, daß die menschliche Rasse aus diesem Wald hervorgegangen sei.
Das mochte Aberglaube sein, aber es war eine Tatsache, daß nach dem Feuer hier im Smaragdwald kleine Trupps echter Menschen überdauert und alle Mutanten erschlagen hatten, die leichtsinnig genug gewesen waren, in den Wald einzudringen, bis sie von Stal Held im Königreich Heldon vereinigt worden waren. Im Laufe der Generationen hatten die Helder ihr Gebiet langsam über den Wald hinaus ausgedehnt und die umliegenden Tiefländer von Mutationen gereinigt, bis Heldon die Grenzen erreichte, die es bis in die moderne Zeit im wesentlichen bewahrt hatte. Hierher, in das angestammte Kernland, war Sigmark IV. geflohen, als er sich während des Bürgerkriegs hatte zurückziehen müssen, und die Legende wollte wissen, daß er an einem geheimen Ort im Smaragdwald das Reichszepter verborgen habe, den Großen Knüppel des Begründers Held, bis eines Tages ein würdiger Nachfahre von königlichem Geblüt wieder die legendäre Waffe aufnehmen und seine Ansprüche auf den Thron geltend machen würde. Darauf waren Sigmark IV., sein Hof und der königliche Stammbaum nach und nach in den Nebeln der Geschichte verschwunden.
Ja, der Smaragdwald war voll von Legenden, die bis in die Zeit vor dem Großen Feuer zurückreichten und einen besonderen Platz in der Geschichte und in der Volksseele von Heldon einnahmen. Feric schämte sich nicht der Ehrfurcht, die er an diesem Ort empfand. Der Ruhm der Vergangenheit, überliefert in den Legenden des Waldes, war überall um ihn her fühlbar, und zwischen dem Vermächtnis der glorreichen und zuweilen düsteren Geschichte, die hier ihren Schauplatz gehabt hatte, und der Tatsache des Waldes selbst — einer Insel unberührter Natur, die das radioaktive Feuer wie durch ein Wunder unversehrt überlebt hatte und zur Keimzelle Heldons geworden war —, spürte Feric das lebendige Versprechen, daß die Kräfte der genetischen Reinheit eines Tages die ganze Welt wiedergewinnen würden.
»Herrlich, nicht wahr?« flüsterte Bogel.
Feric nickte schweigend, und der Dampfwagen rollte weiter in die Tiefen des erhabenen Waldes.
Als die Sonne ihren Scheitelpunkt überschritten hatte, verteilte die Reisebegleiterin eine Mahlzeit aus Schwarzbrot, kalter Wurst und Bier. Der Dampfwagen war jetzt tief im Wald; die Landstraße wand sich durch dichtbewaldetes Bergland, und während die Passagiere aßen, konnten sie wiederholt Hasen, Rehe und Hirsche beobachten. Von Zeit zu Zeit blickte Feric zu seinen Mitreisenden, doch war bisher noch kein Wort zwischen ihnen gewechselt worden. Offenbar war es in Heldon nicht der Brauch, daß Reisende sich einander aufdrängten — ein willkommener Kontrast zu dem lärmenden und vulgären Durcheinander in borgravischen Transportmitteln.
Die mitreisenden Helder schienen typische und zum größten Teil robuste Vertreter ihres Volkes zu sein. Da war eine derbe Bauernfamilie in ihrem Sonntagsstaat — die Frau und zwei Mädchen in weiten Röcken, kleidsamen Miedern und bunten Schürzen, der Mann in einem dunklen, hochgeschlossenen Rock und hellbraunen Beinkleidern, die in glänzenden Stulpenstiefeln steckten, einfach, aber makellos sauber. Mehrere Kaufleute trugen reichere Kleidung aus feinen, wenn auch dezenten Stoffen, und zwei von ihnen reisten augenscheinlich mit ihren Ehefrauen, Darüber hinaus gab es eine Anzahl ehrbar aussehender Männer und Frauen, deren Geschäft nicht ersichtlich war. Alles in allem war es eine ganz und gar zivilisierte und kultiviert aussehende Gruppe, ein keineswegs außerordentlicher Querschnitt durch die Bevölkerung von Heldon und somit ein Tribut an den genetischen Adel des ganzen Volkskörpers.
Alle schienen geistige Bereicherung von der schattigen Waldlandschaft zu beziehen, durch die sie getragen wurden; die Stimmen waren gedämpft, und kein Blick vermochte sich für längere Zeit dem Zauber der ständig wechselnden Bilder unberührter Natur zu entziehen. Die überwältigende Gegenwart von soviel unverseuchtem, gesundem Leben, die bis ins Mystische zurückreichende Geschichte des Landes, die untrennbar mit diesem Wald verknüpft war, erzeugten unter den Reisenden eine andächtige Atmosphäre. Man hätte ein Mutant oder ein seelenloser Dom sein müssen, um den Zauber dieser Landschaft nicht zu empfinden.
»Ich fühle, daß von diesem Waldland eine ungeheure Kraft ausgeht, Bogel«, sagte Feric mit gedämpfter Stimme. »Hier erfahre ich eine unmittelbare organische Verbindung mit dem Ruhm unserer Rassengeschichte. Es ist, als hörte ich im Gesang meiner Gene die Sagen der angestammten Vergangenheit.«
»Es sind seltsame und geheimnisvolle Wälder«, meinte Bogel. »Und seltsame Leute leben heutzutage in ihnen — Banden nomadisierender Jäger, Sammler von Pilzen und Waldkräutern, vereinzelte Räuber und Flüchtlinge. Wenn man den Erzählungen Glauben schenken will, sogar Praktiker der Schwarzen Magie, wie sie in den Zeiten vor dem Großen Feuer verbreitet gewesen sein soll.«
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