„Teilen Sie der Steuerzentrale mit, sobald Sie mit Ihren Vorbereitungen fertig sind. Wir wollen uns hier keine Minute länger als nötig aufhalten. Ich denke, wir alle haben genug von der Finsternis und der Schwere dieser schwarzen Welt…!“
Jeder von ihnen lief in eine der Schiffskabinen, wobei sie, so gut sie konnten, gegen die Last des schweren Planeten ankämpften.
Die Abflugsignale hallten wie eine Siegesmelodie durch das Schiff.
Mit einem noch nie empfundenen Gefühl absoluter und grenzenloser Erleichterung ließen sich die Besatzungsmitglieder in die Umarmung der weichen Landesessel fallen. Aber das Abheben von einem schweren Planeten war eine langwierige und gefährliche Angelegenheit. Die nötige Beschleunigung, um das Schiff der immensen Anziehungskraft des Planeten zu entreißen, lag für den menschlichen Organismus an der Grenze des Ertragbaren, und ein Fehler des Piloten konnte für alle den Tod bedeuten.
Unter dem ohrenbetäubenden Heulen der planetarischen Triebwerke steuerte Erg Noor das Sternenschiff auf einer Tangente dem Horizont zu. Die Gabeln, an denen die hydraulischen Sitze aufgehängt waren, gaben unter dem zunehmenden Druck immer mehr nach. Bald würden sie bis zum Anschlag hinuntergedrückt sein, und dann würden die zerbrechlichen menschlichen Knochen unter dem Druck der Beschleunigung wie auf einem Ambos zersplittern. Die Hände des Kommandanten, die auf den Knöpfen der Steueranlage lagen, wurden so schwer, dass er sie nicht mehr heben konnte. Aber die kräftigen Finger arbeiteten noch, und die Tantra flog langsam in einem gigantischen flachen Bogen immer höher aus der dichten Finsternis heraus in das durchsichtige Schwarz der Unendlichkeit. Erg Noor wandte seinen Blick nicht von dem roten Streifen des Horizontalausgleichers ab — er schwankte in labilem Gleichgewicht und zeigte an, dass das Schiff jederzeit, statt aufzusteigen, wieder in den Bogen hinabfallen konnte. Der schwere Planet wollte die Tantra noch nicht aus seinen Fängen entlassen. Erg Noor beschloss, die Anamesonmotoren einzuschalten, die imstande waren, das Sternenschiff von jedem Planeten loszureißen. Ihr klirrendes Vibrieren ließ das Schiff erzittern. Der rote Streifen stieg um zehn Millimeter über den Nullstrich. Noch ein klein wenig…
Durch das Periskop im oberen Sichtfeld sah der Kommandant, wie sich die Tantra mit einer dünnen Schicht bläulicher Flammen bedeckte, die zum Heck hin langsam abflossen. Die Atmosphäre war durchstoßen! In der Leere des Raumes strömten die restlichen elektrischen Ströme nach dem Gesetz der Supraleitfähigkeit direkt am Schiffsrumpf entlang.
Die Sterne liefen wieder zu Nadeln zusammen, und die Tantra flog, nachdem sie sich befreit hatte, immer weiter von dem schrecklichen Planeten fort. Von Sekunde zu Sekunde nahm die Last der Schwerkraft ab. Die Körper wurden immer leichter und leichter. Das künstliche Gravitationsgerät begann zu summen, und die normale irdische Gravitation schien nach den endlosen Tagen unter dem Druck des schweren Planeten unbeschreiblich gering. Die Besatzungsmitglieder sprangen aus ihren Sesseln. Ingrid, Luma und Eon führten die schwierigsten Passagen eines fantastischen Tanzes vor. Bald setzte jedoch die unausbleibliche Reaktion ein, und der Großteil der Besatzung fiel in einen kurzen Schlaf, in dem sie vorübergehende Entspannung fanden. Nur Erg Noor, Pel Lin, Pur Hiss und Luma Laswi blieben wach. Der vorläufige Kurs des Sternenschiffes musste berechnet werden, damit man in einem gigantischen, zur Rotationsebene des gesamten Systems des T-Sterns verlaufenden Bogen den Eis- und Meteoritengürtel des Systems umfliegen konnte. Erst danach würden sie das Schiff wieder auf seine normale Unterlichtgeschwindigkeit bringen und den endgültigen Kurs ausarbeiten können, was eine langwierige Aufgabe werden würde.
Die Ärztin machte sich daran, Nisas Zustand zu überprüfen. Bald konnte sie alle mit der Nachricht beruhigen, dass die junge Frau die Rückkehr zur normalen Schwerkraft gut vertragen hatte und die Pausen zwischen den Pulsschlägen hundertzehn Sekunden betrugen. Bei einer Erhöhung der Sauerstoffzufuhr würde das keineswegs den Tod bedeuten. Als Therapiemaßnahme schlug Luma Laswi vor, das Thyratron, einen elektronischen Herzimpulsgeber, und Neurosekretionsstimulanzien anzuwenden.
Fünfundfünfzig Stunden lang winselten die Wände des Schiffes unter den Vibrationen der Anamesonmotoren, bis der Fahrtmesser endlich eine Geschwindigkeit von neunhundertsiebzig Millionen Kilometern in der Stunde anzeigte, was nahe an der Gefahrengrenze lag. Die Entfernung vom Eisenstern vergrößerte sich innerhalb von vierundzwanzig Erdenstunden um mehr als zwanzig Millionen Kilometer. Die Erleichterung, die alle dreizehn Reisenden nach den schweren Prüfungen — dem vernichteten Planeten, der verschollenen Algrab und schließlich der schrecklichen schwarzen Sonne — empfanden, war unbeschreiblich. Aber ihre Freude war nicht vollkommen, denn Nisa Krit, das vierzehnte Besatzungsmitglied, lag noch immer regungslos in einem abgeteilten Bereich der Krankenkabine und schwebte zwischen Schlaf und Tod…
Alle fünf Frauen auf dem Schiff — Ingrid, Luma, die Elektroingenieurin, die Geologin und die Lehrerin für rhythmische Gymnastik Ione Mar, die gleichzeitig auch für die Verteilung der Nahrungsmittel, den Funk und die Sammlung wissenschaftlichen Materials verantwortlich war, hatten sich wie zu einer antiken Bestattungszeremonie eingefunden. Sie hatten Nisas Körper zur Gänze entblößt, ihn mit den Speziallösungen TM und AS eingerieben und sie auf einen aus den weichsten Mittelmeerschwämmen handgewebten dicken Teppich gebettet. Der Teppich wiederum lag auf einer Luftmatratze unter einer Kuppel aus rosafarbenem Silikoll. Ein Präzisionsgerät, ein sogenannter Thermobarooxistat, konnte die erforderliche Temperatur, den Druck und die Luftzufuhr unter der dicken Haube jahrelang konstant halten. Weiche, gummigepolsterte Vorsprünge hielten Nisa in einer bestimmten Lage, die Luma Laswi einmal im Monat zu ändern beabsichtigte. Sie machte sich vor allem über abgestorbene oder wundgelegene Stellen Sorgen, die bei der absoluten Bewegungslosigkeit entstehen konnten. Deshalb beschloss Luma, Nisas Körper ständig beaufsichtigen zu lassen und verzichtete selbst in den ersten ein bis zwei Jahren des bevorstehenden Fluges auf einen längeren Schlaf. Nisas kataleptischer Zustand hielt an. Das Einzige, was Luma Laswi erreichen konnte, war eine Beschleunigung des Pulses auf einen Schlag pro sechzig Sekunden. So klein dieser Erfolg auch war, so ermöglichte er es doch immerhin, die für die Lungen auf Dauer schädliche Sauerstoffsättigung abzusetzen.
Vier Monate waren vergangen. Das Sternenschiff flog nun auf seinem endgültigen, exakt berechneten Kurs, der um das Gebiet der Meteoritenschwärme herumführte. Die Besatzung, schwer erschöpft von den erlebten Abenteuern und den kraftzehrenden Arbeiten auf dem Eisenstern, ließ sich in einen sieben Monate dauernden Schlaf versenken. Dieses Mal blieben nicht drei, sondern vier Personen wach — die Ärztin Luma Laswi und der Biologe Eon Tal hatten sich zu den beiden Diensthabenden Erg Noor und Pur Hiss gesellt.
Der Expeditionsleiter, der die schwierigste Lage gemeistert hatte, in die ein Sternenschiff der Erde je geraten war, fühlte sich einsam. Die ersten vier Jahre des Fluges zur Erde kamen ihm endlos vor. Er wollte sich keiner Selbsttäuschung hingeben: Er wusste, sie kamen ihm deshalb wie eine Ewigkeit vor, weil er nur auf der Erde eine Rettung seiner Nisa erhoffen konnte.
Lange schob er hinaus, was er unter anderen Umständen schon am Tag nach dem Abflug in Angriff genommen hätte — die Durchsicht der Stereofilme von der Parus. Erg Noor wollte die ersten Botschaften jener wunderbaren Welten, der Planeten des blauen Sterns am nördlichen Himmel der Erde, gemeinsam mit Nisa ansehen und anhören. Gemeinsam mit ihm hätte das Mädchen erleben sollen, wie die kühnsten romantischen Träume der Vergangenheit und Gegenwart — die Entdeckung neuer Sternenwelten, der künftigen Inseln der Menschheit, wahr wurden…
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