Und als Denison langsam auf etwas herumkaute, das entfernt an Kalbfleisch mit Erdnußbuttergeschmack erinnerte, sagte sie: »Ben, du hast bis jetzt kein einziges Wort gesagt. So geht das schon eine Woche.«
»Das stimmt nicht«, entgegnete Denison stirnrunzelnd.
»Doch.« Sie blickte ihn besorgt an. »Ich weiß nicht, wie gut meine Intuition ist, wenn es nicht um die Physik geht, aber ich habe das Gefühl, da ist etwas, das du mir nicht sagen möchtest.«
Denison zuckte die Achseln. »Die Leute auf der Erde machen einen Riesenzirkus. Gottstein hat alle Hebel in Bewegung gesetzt. Dr. Lamont wird gefeiert, und ich soll zurückkehren, wenn die Abhandlung fertig ist.«
»Zurück zur Erde?«
»Ja. Sieht so aus, als wäre ich ein richtiger Held.«
»Das ist wohl das mindeste.«
»Völlige Rehabilitation wird mir geboten.« Denisons Miene war nachdenklich. »Kein Problem mehr, bei jeder geeigneten Universität oder Regierungsstelle unterzukommen.«
»Hast du das nicht gewollt?«
»Ich kann mir vorstellen, daß Peter Lamont das will und daran seine Freude hätte und daß er es auch bekommt. Aber ich will es nicht.«
»Was willst du dann?« fragte Selene.
»Ich will auf dem Mond bleiben.«
»Warum?«
»Weil hier die Entwicklungsfront der Menschheit liegt und ich ein Teil dieser Front sein möchte. Ich möchte bei der Installation der Kosmei-Pumpen mitwirken, was nur hier auf dem Mond möglich ist. Ich möchte an der Paratheorie arbeiten — und zwar mit Instrumenten, wie nur du sie dir ausdenken und bedienen kannst, Selene… Ich möchte bei dir sein, Selene. Aber — hast du den gleichen Wunsch?«
»Ich interessiere mich ebenso für die Paratheorie wie du.«
»Aber wird dich Neville jetzt nicht abberufen?«
»Barron mich abberufen?« Sie fragte gepreßt: »Willst du mich beleidigen, Ben?«
»Nicht im geringsten.«
»Dann mißverstehe ich dich also. Willst du andeuten, ich arbeite nur mit dir, weil Barron es mir befohlen hat?«
»Hat er’s dir nicht befohlen?«
»Doch. Aber deshalb bin ich nicht hier. Ich sitze hier aus eigener freier Entscheidung. Er denkt vielleicht, er kann mich herumkommandieren, aber das klappt nur, wenn seine Befehle meinem Willen entsprechen — wie es bei dir der Fall war. Ich habe etwas dagegen, daß er sich für meinen Vorgesetzten hält, und auch, daß du offenbar der gleichen Meinung bist.«
»Ihr beide seid doch Sex-Partner.«
»Das waren wir, ja, aber was hat das damit zu tun? So gesehen, müßte ich ihn ebenso kommandieren dürfen wie er mich.«
»Dann kannst du also mit mir arbeiten, Selene?«
»Aber natürlich«, sagte sie kühl, »wenn ich mich dafür entscheide.«
»Und tust du das?«
»Hiermit tu ich’s — ja.«
Und Denison lächelte. »Daß du dich gegen mich entscheiden könntest oder vielleicht gar keine Entscheidung treffen durftest, hat mir in der letzten Woche wohl am meisten zu schaffen gemacht. Ich fürchtete den Abschluß des Projektes, wenn damit auch unser Zusammensein zu Ende wäre. Es tut mir leid, Selene, ich möchte dich nicht mit den sentimentalen Gefühlen eines alten Erdchens plagen…«
»Also, dein Köpfchen hat nichts Altes oder Erdchenhaftes, Ben.« Es gibt andere Bindungen als die geschlechtliche. Ich bin gern mit dir zusammen.«
Es folgte ein Schweigen, und Denisons Lächeln verschwand, um dann — vielleicht ein wenig mechanisch — zurückzukehren. »Bin ich froh über mein Köpfchen!«
Er blickte zur Seite, schüttelte leicht den Kopf und wandte sich wieder zurück. Sie beobachtete ihn besorgt.
Denison sagte: »Selene, bei den Durchflüssen zwischen den Universen geht es nicht nur um die Energie. Das ist dir sicher längst durch den Kopf gegangen.«
Das Schweigen dehnte sich unangenehm in die Länge. Schließlich sagte Selene: »Ach, das…«
Eine Zeitlang starrten sich die beiden an — Denison verlegen, Selene fast verstohlen.
Gottstein sagte: »Ich habe meine Mondbeine noch nicht ganz wieder, aber das ist nichts gegen die Mühe und Pein, die es kostet, sich neu an die Erdschwerkraft zu gewöhnen. Denison, Sie sollten den Gedanken an eine Rückkehr lieber aufgeben. Sie schaffen das doch nie.«
»Ich habe auch nicht die Absicht, zurückzukehren, Hochkommissar«, sagte Denison.
»Das ist nun allerdings schade. Sie könnten sich durch bloßen Zuruf zum Herrscher aller Reußen machen lassen. Was jedoch Hallam angeht…«
»Ich hätte gern sein Gesicht gesehen — aber das ist nur ein bescheidener Wunsch«, sagte Denison sehnsüchtig.
»Lamont bekommt natürlich den Löwenanteil ab. Er steht im Mittelpunkt des Interesses.«
»Das macht mir nichts. Er hat es verdient… Glauben Sie, daß Neville noch kommt?«
»Zweifellos. Er ist schon auf dem Wege. Hören Sie«, Gottstein senkte geheimnisvoll die Stimme, »möchten Sie vorher noch ein Stück Schokolade?«
»Was?«
»Ein Stück Schokolade. Mit Mandeln. Ich habe eine Tafel.«
Denison dämmerte es. »Richtige Schokolade?«
»Ja.«
»Aber natür« Sein Gesicht verhärtete sich. »Nein, Hochkommissar.«
»Nein?«
»Nein! Wenn ich jetzt ein Stück Schokolade nehme, wird mir, solange ich es im Munde habe, die Erde fehlen; ich werde plötzlich alles vermissen. Und das kann ich mir nicht leisten. Ich will es nicht… Bitte zeigen Sie mir die Schokolade auch nicht. Lassen Sie mich nichts riechen oder sehen.«
Der Hochkommissar sah ihn verwirrt an. »Sie haben recht.« Er machte den deutlichen Versuch, das Thema zu wechseln. »Die Erregung auf der Erde ist überwältigend. Natürlich haben wir uns große Mühe gegeben, Hallam nicht zu sehr bloßzustellen. Er wird weiterhin eine wichtige Stellung bekleiden, aber zu sagen hat er nicht mehr viel.«
»Da wird er rücksichtsvoller behandelt, als er mit anderen umgesprungen ist«, meinte Denison resigniert.
»Es geht dabei nicht um ihn. Man kann ein persönliches Image, das sich zu solcher Bedeutung aufgeschwungen hat, nicht einfach vernichten; das könnte nicht ohne Rückwirkung auf die Wissenschaft bleiben. Der gute Name der Wissenschaft ist wichtiger.«
»Da möchte ich prinzipiell widersprechen«, entgegnete Denison nachdrücklich. »Die Wissenschaft muß verdiente Rückschläge einstecken können.«
»Es gibt für alles den richtigen Zeitpunkt und den richtigen Ort, und… Da kommt Dr. Neville.«
Barron Neville trat ein . Irgendwie ließ er die natürliche Schmächtigkeit der Mondbewohner noch mehr als sonst vermissen. Er grüßte knapp, setzte sich und schlug die Beine übereinander.
Offensichtlich wartete er darauf, daß Gottstein zuerst das Wort ergriff, was dieser auch tat.
»Ich freue mich über Ihr Kommen, Dr. Neville. Dr. Denison sagt mir, Sie hätten es abgelehnt, Ihren Namen für eine Abhandlung über die Kosmei-Pumpe zur Verfügung zu stellen — eine Abhandlung, die nach meiner Ansicht einmal zu den klassischen Schriften zählen wird.«
»Dazu bestand kein Grund«, erwiderte Neville. »Was auf der Erde geschieht, interessiert mich nicht.«
»Sie wissen von den Kosmei-Pumpversuchen? Sie kennen die sich daraus ergebenden Folgerungen?«
»Natürlich«, sagte Neville. »Ich bin mit der Situation so vertraut wie Sie.«
»Dann kann ich ja sofort beginnen. Ich bin gerade von der Erde zurück, Dr. Neville, und es steht so gut wie fest, wie die Dinge weiter ablaufen. An drei verschiedenen Stellen auf der Mondoberfläche werden große Kosmei-Pumpstationen installiert — und zwar so, daß mindestens eine stets im Nachtschatten liegt. Die Hälfte der Zeit werden es sogar zwei sein. Die Stationen im Nachtschatten werden konstant Energie abgeben, die überwiegend einfach ins All abstrahlt. Es geht bei dem ganzen Projekt weniger darum, die Energie praktisch zu nutzen, als den durch die Elektronenpumpe bewirkten Feldveränderungen entgegenzuwirken.«
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