»Ich fürchte, ich erinnere mich nicht…«
»Das überrascht mich nicht. Es wäre auch sehr verwunderlich, wenn Sie mich erkennen würden. Ich habe eine Zeitlang unter Senator Burt gearbeitet, der noch immer das Komitee für Technologie und Umwelt leitet. Das war zu einer Zeit, da er sehr erpicht darauf war, Hallam etwas anzuhängen — Frederick Hallam.«
Der Mann von der Erde schien plötzlich ein wenig aufrechter zu sitzen. »Kannten Sie Hallam?«
»Sie sind hier der zweite, der mir diese Frage stellt. Ja, ich habe ihn gekannt. Nicht besonders gut. Ich habe auch mit vielen Leuten gesprochen, die ihm begegnet sind, und sie waren seltsamerweise fast alle meiner Ansicht. Für einen Menschen, der von einem ganzen Planeten zum Idol erkoren wurde, fand Hallam bei seiner unmittelbaren Umgebung erstaunlich wenig Sympathie.«
»Wenig? Überhaupt keine, würde ich sagen.«
Gottstein überging den Einwand. »Es war damals meine Aufgabe — ein Auftrag vom Senator, in Sachen Elektronenpumpe zu ermitteln und festzustellen, ob die Installation der Anlagen eine unangemessene Verschwendung von Staatsmitteln und übermäßigen persönlichen Profit auslöste. Für ein Komitee, das im wesentlichen nur Überwachungsfunktionen hatte, lag das im Rahmen des Üblichen — aber unter uns gesagt hoffte der Senator etwas zu finden, um Hallam am Zeug zu flicken. Zu gern hätte er den Würgegriff, mit dem dieser Mann das wissenschaftliche Establishment umfangen hielt, aufgebrochen. Er schaffte es aber nicht.«
»Offensichtlich. Hallam ist stärker denn je.«
»Es gab keine nennenswerten Bestechungen und schon gar keine Unregelmäßigkeiten, die auf Hallam zurückgeführt werden konnten. Der Mann ist von sturer Ehrlichkeit.«
»Das stimmt. Macht hat ihren eigenen Marktwert, der nicht unbedingt mit Geld bewertet wird.«
»Besonders interessierte mich damals — obwohl ich der Sache nicht nachgehen konnte — ein Mann, dessen Klage sich nicht gegen Hallams Macht richtete, sondern gegen die Elektronenpumpe selbst. Ich nahm an dem Gespräch teil, ohne es zu führen. Sie waren dieser Mann, nicht wahr?«
Der Mann von der Erde antwortete vorsichtig: »Ich erinnere mich an das Gespräch, aber nicht an Sie.«
»Ich hielt es damals für undenkbar, daß jemand mit wissenschaftlichen Argumenten gegen die Elektronenpumpe vorgehen könnte. Sie haben mich aber so beeindruckt, daß ich gleich ein seltsames Gefühl hatte, als ich Sie gestern an Bord sah, und schließlich fiel es mir wieder ein. Ich habe noch nicht auf die Passagierliste geschaut, aber ich möchte mein Gedächtnis testen. Sind Sie nicht Dr. Benjamin Andrew Demson?« Der Mann von der Erde seufzte: »Benjamin Allan Denison. Ja. Aber warum wärmen Sie die alten Geschichten auf? Um offen zu sein, Hochkommissar, ich möchte die Vergangenheit gern ruhen lassen. Ich bin auf den Mond gekommen, um neu anzufangen; wenn nötig, auch wieder ganz von vorn. Verdammt, ich wollte sogar meinen Namen ändern.«
»Es hätte Ihnen nichts genützt. Ich habe Sie nach dem Gesicht wiedererkannt. Ich habe nichts dagegen, daß Sie ein neues Leben beginnen wollen, Dr. Denison. Ich will Ihnen da in keiner Weise im Wege stehen. Aber ich möchte doch ein oder zwei Aufschlüsse gewinnen — und zwar aus Gründen, die mit Ihnen direkt nichts zu tun haben. Ich erinnere mich nicht mehr so richtig an Ihren Einwand gegen die Elektronenpumpe. Könnten Sie mir Ihr Argument noch einmal darlegen?« Denison neigte den Kopf. Die Stille zog sich in die Länge, und der angehende Hochkommissar schwieg. Er unterdrückte sogar ein leises Räuspern.
»Es war im Grunde nichts«, antwortete Denison schließlich.
»Ich hatte nur eine Vermutung, eine Sorge um die Änderung der Intensität des Starken Kernfeldes. Es war nichts.«
»Nichts?« Gottstein räusperte sich nun doch. »Sie haben hoffentlich nichts dagegen, wenn ich das begreifen möchte. Ich sagte Ihnen schon, daß Sie mich damals interessierten. Ich konnte die Angelegenheit allerdings nicht weiterverfolgen, und ich bezweifle, daß ich die Information heute aus den Akten herausbekäme. Die Ermittlung unterlag der Geheimhaltung — der Senator schnitt dabei nicht sehr gut ab, und ihm liegt bestimmt nichts an unnötigem Aufsehen. Doch einige Einzelheiten sind mir noch gewärtig. Sie waren doch einmal ein Kollege Hallams; allerdings kein Physiker.«
»Das stimmt. Ich war Strahlungschemiker. Er ebenfalls.«
»Unterbrechen Sie mich, wenn mich mein Gedächtnis trügt. Anfänglich wurden Sie vorzüglich beurteilt, nicht wahr?«
»Es sprachen objektive Kriterien zu meinen Gunsten. Soweit es mich betraf, gab es keine Selbsttäuschung. Ich war ein brillanter Kopf.«
»Erstaunlich, wie mir das so wieder einfällt. Bei Hallam sah es aber nicht so gut aus.«
»Nicht besonders.«
»Und doch ist Ihre Karriere später steckengeblieben. Tatsächlich arbeiteten Sie zur Zeit des Interviews — um das Sie meines Wissens selbst nachsuchten — für eine Spielzeugfabrik…«
»Nein, für eine Kosmetikfirma«, entgegnete Denison erstickt.
»Männerkosmetik. Das erhöhte mein Ansehen bei dem Hearing damals nicht gerade.«
»Kaum. Es tut mir leid. Sie waren Verkäufer.«
»Verkaufsleiter. Auch hier habe ich mich glänzend bewährt. Ich war Vizepräsident, als ich meine Laufbahn abbrach und zum Mond abreiste.«
»Hatte Hallam etwas damit zu tun? Ich meine damit, daß Sie der Forschung den Rücken kehrten?«
»Hochkommissar«, antwortete Denison. »Bitte! Es ist mir inzwischen wirklich gleichgültig. Ich war dabei, als Hallam die Wolframumwandlung entdeckte, als die Ereignisse begannen, die schließlich zur Elektronenpumpe führten. Was ohne meine Anwesenheit geschehen wäre, vermag ich nicht zu sagen. Hallam und ich hätten vier Wochen später an Radioaktivität sterben oder sechs Wochen darauf in einer Atomexplosion untergehen können. Ich weiß es nicht. Aber ich war dabei, und das, was Hallam heute darstellt, ist zu einem Teil auch auf mich zurückzuführen, und eben deswegen bin ich heute ein Niemand. Was sollen da noch die Einzelheiten? Reicht Ihnen das. Es muß.«
»Ich glaube, es reicht. Sie hatten also einen persönlichen Groll gegen Hallam?«
»Auf keinen Fall hegte ich damals Zuneigung für ihn. Ich habe auch heute noch nichts für ihn übrig, wenn Sie es genau wissen wollen.«
»Würden Sie mir also zustimmen, daß Ihre Einwände gegen die Elektronenpumpe durch Ihren dringenden Wunsch, Hallam zu vernichten, ausgelöst wurden?«
»Ich verwahre mich gegen dieses Kreuzverhör.«
»Ich bitte Sie! Was ich hier frage, wird keinesfalls gegen Sie verwandt werden. Unser Gespräch soll mir bloß Aufschluß geben weil ich mir um die Pumpe und eine Reihe anderer Dinge Sorgen mache.«
»Na ja, man könnte wirklich sagen, daß ich gefühlsmäßig engagiert war. Weil ich Hallam nicht mochte, war ich auch bereit zu glauben, daß seine Beliebtheit und seine Größe auf Sand gebaut waren. Ich überdachte die Elektronenpumpe und hoffte einen Fehler zu finden.«
»Und Sie fanden aus diesem Grunde auch einen?«
»Nein!« erwiderte Denison heftig und schlug mit der Faust auf die Armlehne seines Sessels, was ihn einige Zentimeter in die Höhe hob. »Nicht aus diesem Grunde«. Ich fand einen Fehler, der aber echt war. So schien es mir jedenfalls. Ich habe diesen Fehler keinesfalls erfunden, um es Hallam damit heimzuzahlen.«
»Von Erfinden war nicht die Rede, Doktor«, beschwichtigte Gottstein. »Es würde mir nicht im Traum einfallen, Ihnen so etwas zu unterstellen. Und doch wissen wir alle, daß man — um an den Grenzen unseres Wissens den Versuch von Definitionen zu machen auf Vermutungen angewiesen ist. So eine Vermutung mag ein großes Gebiet der Ungewißheit umfassen, das dann in der einen oder anderen Richtung in ehrlichem Bemühen abgeschirmt wird, doch jedenfalls entsprechend den… äh… Emotionen des Augenblicks. Sie formulierten Ihre Vermutung womöglich am Anti-Hallam-Ende des Möglichen…?«
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