Mitch zog ein Schweizer Armeemesser aus der Hosentasche, klappte den Korkenzieher heraus und entfernte mit einem Ruck den Korken. »Während der Grabungen trinken wir Bier. Wein trinken wir erst, wenn wir fertig sind«, sagte er und schenkte ihr ein Glas ein.
»Was für Bier?«
»Coors, Budweiser, alles was nicht zu schwer ist.«
»Alle Männer, die ich bisher kannte, mochten lieber Ale oder Microbrew.«
»Aber nicht in der Sonne«, erwiderte Mitch.
»Wo bist du abgestiegen?«
»Im YMCA.«
»Ich habe noch nie einen Mann gekannt, der im YMCA übernachtet hat.«
»Es ist gar nicht so schlecht.«
Sie nippte an dem Wein, feuchtete sich die Lippen an, rückte näher zu ihm, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Er schmeckte den noch ein wenig kühlen Wein auf ihrer Zunge.
»Bleib hier«, sagte sie.
»Was wird der harte Brocken davon halten?«
Sie schüttelte den Kopf, küsste ihn noch einmal, und er, immer noch Glas und Flasche in der Hand, umarmte sie. Ein wenig Wein schwappte auf ihr Kostüm. Er drehte sich um und stellte das Glas auf die Küchentheke, dann auch die Flasche.
»Ich weiß nicht, wo ich aufhören soll«, sagte sie.
»Ich auch nicht«, erwiderte Mitch, »aber ich kann trotzdem aufpassen.«
»So sind die Zeiten nun mal, oder?«, sagte Kaye bedauernd und zerrte ihm das Hemd aus der Hose.
Kaye war weder die schönste nackte Frau, die Mitch je gesehen hatte, noch die lebhafteste im Bett. Beides traf sicher auf Tilde zu, die trotz ihrer Distanziertheit sehr aufregend gewesen war. Bei Kaye fiel ihm vor allem auf, dass er alles an ihr akzeptierte: die kleinen, leicht hängenden Brüste, den schmalen Brustkorb, die breiten Hüften, die dicht behaarte Scham, die langen Beine —schöner als die von Tilde, dachte er — und ihren steten, forschenden Blick, als er in sie eindrang. Ihr Duft füllte seine Nase, seinen Kopf aus, bis er das Gefühl hatte, in einem warmen Meer zu treiben, das ihn trug und ihm die Lust verdoppelte, die er so lange entbehrt hatte. Durch das Kondom spürte er nur wenig, aber das machten alle anderen Sinne wett, und schließlich war es die Berührung ihrer Brüste, ihrer kirschkernharten Nippel, die bei ihm die Welle steigen und sich brechen ließ. Immer noch bewegte er sich in ihr, gab instinktiv die letzten Reste des Ergusses ab, da sah sie ihn plötzlich entgeistert an, wand sich unter ihm, kniff die Augen zu und schrie: »Stoß zu, Mann, stoß zu, stoß zu!«
Bis zu diesem Augenblick war sie fast still gewesen, und er sah sie überrascht an. Sie wandte das Gesicht ab und zog ihn an sich, zog ihn nach unten, umschlang ihn mit den Beinen und rieb sich heftig an ihm. Er wollte sich zurückziehen, bevor das Kondom auslief, aber sie bewegte sich immer weiter, und er gab nach, bis sie, diesmal mit aufgerissenen Augen, einen kleinen Schrei ausstieß, das Gesicht wie vor heftiger Lust oder Schmerzen verzerrt.
Dann erschlafften ihre Züge, ihr Körper entspannte sich, und sie schloss die Augen. Mitch löste sich von ihr und sah nach: Das Kondom hatte gehalten. Er nahm es ab, verknotete es energisch und ließ es über die Bettkante fallen, um es später zu entsorgen.
»Ich kann jetzt nicht reden«, flüsterte Kaye.
Mitch blieb neben ihr liegen und genoss den Duft ihrer vereinten Körpersäfte. Er war wunschlos glücklich — zum ersten Mal seit Jahren.
»Was für ein Gefühl war das, ein Neandertaler zu sein?«, fragte Kaye. Draußen wurde es dunkler. Bis auf das entfernte Rauschen des Verkehrs, das gedämpft zu ihnen heraufdrang, war es still in der Wohnung.
Mitch stützte sich auf den Ellenbogen. »Darüber haben wir doch schon gesprochen.«
Kaye lag, von der Taille aufwärts nackt, auf dem Rücken. Sie hatte das Laken bis zum Nabel hochgezogen und lauschte auf etwas, das viel weiter entfernt war als der Verkehr.
»In San Diego«, sagte sie, »ich weiß. Wir haben uns über ihre Masken unterhalten. Über den Mann, der bei ihr geblieben ist.
Du hast gesagt, er müsse sie wohl sehr geliebt haben.«
»Stimmt«, sagte Mitch.
»Er muss ein seltenes Exemplar gewesen sein. Etwas Besonderes.
Im Fall der Frau auf dem NIH Gelände wollte ihr Freund nicht glauben, dass es sein Kind war.« Ihre Worte sprudelten jetzt immer schneller. »Laura Nilson, die PRLeiterin von Americol, hat uns gesagt, die meisten Männer wollten nicht glauben, dass es ihr Kind ist. Die meisten Frauen werden vermutlich lieber abtreiben als das Risiko einzugehen. Deshalb empfehlen sie demnächst die Pille für den Morgen danach. Wenn es Probleme mit dem Impfstoff gibt, können sie es damit immer noch aufhalten.«
Mitch verzog das Gesicht, als mache ihm das Thema zu schaffen. »Können wir das nicht eine Zeit lang vergessen?«
»Nein«, sagte Kaye. »Ich halte es nicht mehr aus. Wir werden alle Erstgeborenen hinmetzeln wie der Pharao in Ägypten. Wenn wir dabei bleiben, werden wir nie wissen, wie die nächste Generation aussieht. Sie werden alle tot sein. Willst du das?«
»Nein«, erwiderte Mitch, »aber das heißt nicht, dass ich weniger Angst hätte als jeder andere.« Er schüttelte den Kopf. »Ich frage mich, was ich wohl getan hätte, wenn ich der Mann gewesen wäre, damals vor fünfzehntausend Jahren. Sie wurden sicher aus dem Stamm ausgeschlossen. Vielleicht sind sie auch weggelaufen. Oder sie sind einfach nur spazieren gegangen, und sie wurde verwundet, als eine Horde die beiden überfiel.«
»Glaubst du das?«
»Nein. Ich weiß es wirklich nicht. Ich bin kein Mensch, der übersinnliche Wahrnehmungen oder telepathische Fähigkeiten hat.«
»Ich verderbe dir die Laune, stimmt’s?«
»Mmmh hmmm«, erwiderte er.
»Unser Leben gehört uns nicht«, sagte Kaye. Sie ließ einen Finger um seine Brustwarzen kreisen und strich durch die steifen Haare auf seiner Brust. »Aber wir können uns für kurze Zeit mit einer Schutzmauer umgeben. Bleibst du heute Nacht hier?«
Mitch küsste sie auf die Stirn, dann auf die Nase und die Wangen. »Die Unterbringung ist hier viel angenehmer als im YMCA.«
»Komm näher«, sagte Kaye.
»Viel näher geht nicht mehr.«
»Versuchs mal.«
Zitternd lag Kaye Lang im Dunkeln. Sie war sicher, dass Mitch schlief, aber um sich zu überzeugen, tippte sie ihm leicht auf den Rücken. Er bewegte sich, reagierte aber nicht. Er fühlte sich wohl.
Wohl bei ihr.
Ein solches Risiko war sie noch nie eingegangen; seit ihren ersten Jungenfreundschaften hatte sie immer auf Zuverlässigkeit und — so hoffte sie — Sicherheit geachtet; sie hatte sich einen sicheren Hafen schaffen wollen, einen Hafen, in dem sie ihrer Arbeit nachgehen und ihren eigenen Ideen folgen konnte, ohne dass die Außenwelt ihr mehr als irgend nötig in die Quere kam.
Ihre größte Errungenschaft war die Ehe mit Saul gewesen. Alles sprach für ihn: Alter, Erfahrung, Geld, Geschäftstüchtigkeit — das jedenfalls hatte sie geglaubt. Dass sie jetzt derart ins andere Extrem verfiel, war ganz offensichtlich eine Überreaktion. Sie fragte sich, wie es wohl weitergehen würde.
Wenn Mitch am nächsten Morgen aufwachte, einfach sagen, es sei ein Fehler gewesen?
Beängstigender Gedanke. Sie fürchtete nicht etwa, er werde ihr wehtun; er war so sanft, wie ein Mann nur sein konnte, und ließ so gar keine Anzeichen für den Hader mit sich selbst erkennen, der Saul so zugesetzt hatte.
Mitch sah nicht so gut aus wie Saul.
Andererseits war Mitch völlig aufrichtig und ehrlich.
Er hatte sich um sie bemüht, aber sie war sich ziemlich sicher, dass sie ihn verführt hatte. Und ganz sicher hatte sie nicht den Eindruck, dass er ihr etwas aufgezwungen hatte.
»Was um Himmels Willen tust du hier eigentlich?«, murmelte sie in der Dunkelheit. Sie sprach mit ihrem anderen Ich, mit der starrköpfigen Kaye, die ihr so selten sagte, was eigentlich los war.
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