Aber sie haben sich bereit erklärt, weiter an dem Projekt teilzunehmen.«
»Kein Kontakt mit Männern?«
»Kein männliches Wesen, das die Pubertät hinter sich hat«, erklärte Lipton. »Auf Anordnung von Mark Augustine, Mitunterzeichner Frank Shawbeck. Manche Familien sind die Behandlung leid. Ich kann es ihnen nicht verdenken.«
»Sind auch reiche Frauen hier?«, fragte Kaye trocken.
»Nein«, erwiderte Lipton und lachte lustlos. »Was hatten Sie denn gedacht?«
»Sind Sie verheiratet, Dr. Lipton?«, fragte Kaye.
»Vor einem halben Jahr geschieden. Und Sie?«
»Witwe.«
»Da haben wir ja Glück gehabt«, sagte Lipton.
Tighe zeigte auf ihre Armbanduhr. Lipton blickte zwischen den beiden hin und her. Dann sagte sie scharf: »Tut mir Leid, dass ich Sie aufgehalten habe. Meine Leute warten auch auf mich.«
Kaye hielt die Fotos von der Pseudoplazenta und der Fruchtblase hoch. »Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, es sei eine schrecklich gut organisierte Krankheit?«
Lipton stützte sich auf einen Aktenschrank. »Ich hatte mit Tumoren und offenen Stellen zu tun, mit Beulen und Warzen und den ganzen anderen schrecklichen Dingen, die Krankheiten in unserem Körper anrichten können. Sicher, auch da gibt es Strukturen. Durch Neuorganisation der Durchblutung werden Zellen unterwandert. Gier auf Nährstoffe. Aber diese Fruchtblase ist ein stark spezialisiertes Organ, und sie ist ganz anders als alles, was ich bisher untersucht habe.«
»Sie ist also nach Ihrer Ansicht kein Produkt einer Krankheit?«
»Das habe ich nicht gesagt. Die Folgen sind Fehlbildungen, Schmerzen, Leid und Fehlgeburten. Das Kind in Mexiko …« Lipton schüttelte den Kopf. »Ich will meine Zeit nicht damit vergeuden, es als etwas anderes zu beschreiben. Es ist eine neue Krankheit, und zwar eine teuflisch erfindungsreiche, mehr nicht.«
Dicken stieg die flache Auffahrt des Parkhauses am Clifton Way hoch und warf einen kurzen Blick auf den klaren Himmel, an dem niedrige, dicke Schäfchenwolken hingen. In der frischen kühlen Luft würde er hoffentlich schnell wieder einen klaren Kopf bekommen.
Am Abend zuvor war er aus Atlanta zurückgekehrt. Er hatte eine Flasche Jack Daniels gekauft, sich in sein Haus verkrochen und bis vier Uhr morgens getrunken. Auf dem Weg vom Wohnzimmer ins Bad war er über einen Stapel Lehrbücher gestolpert, mit der Schulter gegen eine Wand gerannt und der Länge nach hingefallen. Schulter und Bein waren voller blauer Flecken und schmerzten, aber er konnte gehen und war überzeugt, dass er kein Krankenhaus aufsuchen musste.
Aber sein Arm hing noch halb gebeugt herab, und sein Gesicht war grau. Der Kopf schmerzte vom Whisky. Innerlich fühlte er sich entsetzlich — verwirrt und verärgert über alles und jedes, vor allem aber über sich selbst.
Die Erinnerung an die geistige Jam Session im Zoo von San Diego quälte ihn wie ein Wundbrand. Dieser rücksichtslose Mitch Rafelson, der kaum etwas Handfestes beitrug, aber ständig das Gespräch zu bestimmen schien, wobei er ihre unausgegorenen Theorien infrage stellte und sie gleichzeitig anstachelte! Und dann noch Kaye Lang, liebenswürdiger, als er sie je erlebt hatte, fast strahlend und mit dem für sie typischen, unvergleichlichen Ausdruck verblüffter Konzentration. Kaye Lang, deren Interesse an ihm, Dicken, nicht über das Berufliche hinausging, verdammt noch mal!
Rafelson hatte ihn eindeutig ausgestochen. Wieder einmal kam er in den Augen einer Frau, an der ihm etwas lag, erst an zweiter Stelle. Und das, obwohl er während seines ganzen Erwachsenenlebens dem Schlimmsten die Stirn geboten hatte, mit dem die Erde einen Menschen — einen Mann — konfrontieren kann.
Aber was, zum Teufel, lag schon daran? Welche Bedeutung hatte sein männliches Selbstbewusstsein, sein Sexualleben angesichts der Herodes-Grippe?
Er bog um die Ecke in die Clifton Road und blieb einen Augenblick lang verwirrt stehen. Der Parkwächter hatte etwas von einer Mahnwache gesagt, aber keinen Hinweis auf ihre Größenordnung gegeben.
Die Straße zwischen dem kleinen, baumbestandenen Platz vor dem roten Backsteinportal des Gebäudes 1 der American Cancer Society und dem Emory Hotel jenseits der Clifton Road war voller Demonstranten. Manche standen auf den Beeten mit dunkelroten Azaleen; zum Haupteingang hatten sie einen schmalen Durchgang offen gelassen, aber sie versperrten das Besucherzentrum und die Cafeteria. Zu Dutzenden saßen sie mit geschlossenen Augen um die Säule mit der Büste der Hygieia und wiegten sich wie im stummen Gebet von einer Seite zur anderen.
Nach Dickens Schätzung waren es mindestens zweitausend Männer, Frauen und Kinder, die als Mahnwache auf irgendetwas warteten — auf Rettung oder zumindest auf die Nachricht, dass die Welt nicht untergehen werde. Viele Frauen und nicht wenige Männer trugen immer noch die orangefarbenen oder dunkelroten Masken, von denen ein halbes Dutzend windiger Herstellerfirmen behaupteten, sie könnten alle Viren, einschließlich SHEVA, abhalten.
Die Organisatoren der Mahnwache — als Protestaktion wurde sie nicht bezeichnet — gingen mit Kühlboxen und Pappbechern zwischen ihren Leuten hin und her und verteilten Flugblätter, Ratschläge und Anweisungen. Die Teilnehmer der eigentlichen Mahnwache sprachen kein einziges Wort.
Dicken ging durch die Menge zum Eingang des Gebäudes 1.
Obwohl er die Situation als gefährlich empfand, fühlte er sich von ihnen angezogen. Er wollte wissen, was das Fußvolk dachte und fühlte — die Menschen an der vordersten Front.
Durch die Menge und um sie herum bewegten sich langsam die Kameraleute; manche gingen auch energischer die Gassen entlang, die Kamera auf Hüfthöhe, um Unmittelbarkeit zu suggerieren.
Später hoben sie die Kameras auf die Schultern, um einen Überblick zu vermitteln und die Größenverhältnisse zu zeigen.
»Du lieber Gott, was haben Sie denn gemacht?«, fragte Jane Salter, als Dicken ihr in dem langen Flur zu seinem Büro begegnete. Sie trug einen Aktenkoffer und einen Arm voller Aktenvorgänge, die in grünen Mappen steckten.
»Nur ein kleiner Unfall«, erwiderte Dicken. »Ich bin hingefallen.
Haben Sie gesehen, was draußen los ist?«
»Allerdings. Mir ist es kalt über den Rücken gelaufen.« Sie ging hinter ihm her und blieb in der offenen Tür stehen. Dicken sah sie über die Schulter an, zog den alten Drehstuhl heran und nahm Platz. Er sah wie ein enttäuschter kleiner Junge aus.
»Fertig wegen Mrs. C.?«, wollte Salter wissen. Mit der Ecke eines Aktendeckels schob sie eine braune Haarsträhne zurück. Die Strähne fiel wieder nach vorn, aber jetzt achtete sie nicht mehr darauf.
»Vermutlich«, sagte Dicken.
Salter bückte sich, setzte den Aktenkoffer ab und trat dann vor, um die Papiere auf seinen Tisch zu legen. »Tom Scarry hat das Baby jetzt«, sagte sie. »Es wurde in Mexico City obduziert. Ich nehme an, die haben gründliche Arbeit geleistet. Er macht alles noch einmal, nur um sicher zu gehen.«
»Haben Sie es gesehen?«
»Nur eine Videoaufnahme von dem Augenblick, als sie es im Gebäude 15 aus der Eisbox genommen haben.«
»Ein Monster?«
»Aber hallo«, sagte Salter, »ein richtiges Ungetüm.«
»Wem die Stunde schlägt«, erwiderte Dicken.
»Mir war eigentlich nie klar, wie Sie zu der ganzen Sache stehen, Christopher«, erklärte Salter und lehnte sich gegen den Türrahmen. »Es scheint, als wären Sie überrascht, dass es eine so heimtückische Krankheit ist. Dabei wussten wir das doch von Anfang an, oder?«
Dicken schüttelte den Kopf. »Ich bin schon so lange hinter Krankheiten her … Diesmal ist es anscheinend anders.«
»Wie? Mitleid erregender?«
»Jane, ich war gestern Abend betrunken. Ich bin zu Hause gestürzt und habe mir die Schulter angeknackst. Ich fühle mich grässlich.«
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