Und dann gingen sie wieder hinaus, um zu tanzen. Die zehn bildeten eine eigene Reihe und schlängelten sich riskant durch die jungen Leute. Fünfzig lange Marsjahre; und sie lebten noch und tanzten noch! Das war ein Wunder!
Aber wie immer bei der nur zu sicher fälligen Schwankung von Mayas Launen kam am Gipfel der tote Punkt, der plötzliche Absturz. An diesem Abend war es, als sie hinter den anderen Masken die vom Rausch getrübten Augen bemerkte und sah, wie alle dabei waren, sich davonzumachen, und ihr Bestes taten, um sich in ihre private Welt zu flüchten, wo sie mit niemandem mehr Verbindung haben würden als mit dem/der Geliebten dieser Nacht. Und da gab es keine Unterschiede. »Laß uns nach Hause gehen!« sagte sie zu Michel, der noch im Takt der Musik vor ihr herumhüpfte und sich am Anblick all der jungen schlanken Leute von Mars erfreute. »Ich halte das nicht länger aus.«
Er wollte aber bleiben und auch die anderen. Darum ging sie schließlich allein heim, durch das Tor, den Garten und die Treppe hinauf in ihr Apartment. Hinter ihr ertönte laut der Lärm der Feier.
Und da an dem Schrank über der Spüle lächelte der junge Frank über ihren Kummer. Natürlich nimmt es diesen Verlauf, sagte der scharfe Blick des jungen Mannes. Auch ich kenne diese Geschichte und habe sie auf dem harten Weg gelernt. Geburtstage, Hochzeiten, glückliche Momente — sie verfliegen. Sie sind dahingegangen. Sie hatten nie etwas zu bedeuten. Das knappe, stechende und entschlossene Lächeln, und die Augen… Es war, als blickte man in die Fenster eines leeren Hauses. Mary stieß eine Kaffeetasse von der Anrichte. Sie zerbrach auf dem Fußboden. Der Griff drehte sich, und sie schrie laut auf, sank zu Boden, klammerte die Arme um die Knie und weinte.
Im neuen Jahr kamen dann Meldungen über verstärkte Sicherheitsmaßnahmen in Odessa selbst. Es schien, daß die UNTA die Lektion von Sabishii gelernt hatte und sich anschickte, die anderen Städte vorsichtiger anzugehen. Neue Pässe, Sicherheitskontrollen an jedem Tor und jeder Garage, beschränkter Zugang zu den Zügen. Man raunte, daß sie besonders auf die Ersten Hundert Jagd machten und sie beschuldigten, die Übergangsbehörde stürzen zu wollen.
Nichtsdestoweniger wollte Maya, daß die Versammlungen für den Freien Mars weitergingen, und Spencer war immer noch bereit, sie mitzunehmen. »So lange wir können«, sagte sie. Und so gingen sie eines Nachts zusammen die langen Steintreppen der oberen Stadt hinauf. Michel war bei ihnen zum ersten Mal seit dem Angriff auf Sabishii; und Maya schien es, daß er sich recht gut von dem Schock der Nachricht erholte, von jener schrecklichen Nacht, in der Marina an die Tür geklopft hatte.
Aber bei diesem Meeting kamen noch Jackie Boone und der Rest ihrer Gruppe hinzu, sowie Antar und Leute aus Zygote, die mit dem um Hellas herum fahrenden Zug eingetroffen waren auf der Flucht vor den UNTA-Truppen im Süden und sehr wütend nach dem Angriff auf Sabishii, kriegerischer denn je. Das Verschwinden von Hiroko und ihrer inneren Gruppe hatte die Ektogenen zum Äußersten getrieben. Hiroko war doch für viele von ihnen die Mutter; und sie alle schienen sich einig zu sein, daß die Zeit gekommen wäre, aus der Deckung herauszugehen und eine Rebellion großen Stils zu veranstalten. Jackie sagte der Versammlung, es sei keine Zeit mehr zu verlieren, wenn sie die Leute von Sabishii und die versteckten Kolonisten retten wollten.
»Ich glaube nicht, daß sie Hirokos Leute erwischt haben«, sagte Michel. »Ich denke, sie sind mit Cojote in den Untergrund gegangen.«
»Das wünschst du dir«, sagte Jackie zu ihm; und Maya fühlte, wie sich ihre Oberlippe zusammenzog.
»Sie hätten uns ein Zeichen gegeben, wenn sie ernstlich in Schwierigkeiten stecken würden«, erwiderte Michel.
Jackie schüttelte den Kopf. »Sie würden nicht wieder ins Versteck gehen, jetzt, da die Lage kritisch zu werden beginnt.« Harmakhis und Rachel nickten. »Und außerdem, was ist mit den Sabishiianern und dem Gefängnis von Sheffield? Und auch hier wird es passieren. Nein, die Übergangsbehörde ergreift überall die Macht. Wir müssen jetzt handeln!«
Jackie machte bloß ein ärgerliches Gesicht, als ob Michel ein Narr wäre, ein schwacher optimistischer verängstigter Idiot. Mayas Puls machte einen Sprung, und sie merkte, daß sie mit den Zähnen knirschte.
»Wir können jetzt nicht handeln! Wir sind nicht bereit«, sagte sie scharf.
Jackie blitzte sie an. »Wenn es nach dir ginge, wären wir nie bereit! Wir würden warten, bis sie den ganzen Planeten dicht gemacht haben, und wären dann nicht imstande, irgend etwas zu tun, selbst wenn wir es wollten. Genau so hättest du es gern, dessen bin ich sicher.«
Maya schoß aus ihrem Sitz hoch. »Es gibt kein ›sie‹ mehr. Es gibt vier oder fünf Metanationale, die um den Mars kämpfen, genau so, wie sie um die Erde kämpfen. Wenn wir uns mitten darin erheben, werden wir im Kreuzfeuer einfach niedergeschossen. Wir müssen unseren Augenblick wählen; und das muß geschehen, wenn sie einander verletzt haben und wir eine echte Chance auf Erfolg haben. Sonst wird man uns erdrücken; und es ist genau wie einundsechzig. Es gibt nur wildes Getümmel und Chaos und Tote!«
Jackie schrie: »Einundsechzig, das ist bei dir immer dasselbe. Die perfekte Ausrede für Nichtstun! Sabishii und Sheffield sind stillgelegt, und Burroughs ist geschlossen, und Hiranyagarbha und Odessa werden als nächste drankommen, und der Aufzug schafft jeden Tag noch mehr Polizei herunter, und sie haben Hunderte von Menschen getötet oder eingesperrt wie meine Großmutter, die die wahre Führerin von uns allen ist. Und du redest nur über einundsechzig! Einundsechzig hat dich zum Feigling gemacht!«
Maya holte aus und schlug sie heftig ins Gesicht. Jackie sprang sie an, so daß Maya gegen die Tischkante fiel und ihr die Luft aus der Lunge gepreßt wurde. Trotzdem gelang es ihr, ein Handgelenk von Jackie zu packen, und sie biß in den angespannten Unterarm so fest sie konnte in der ernsten Absicht, ihr eine Verletzung beizubringen. Dann zerrte man sie auseinander und hielt sie fest. Der Raum tobte, alle brüllten einschließlich Jackie, die schrie: »Weibsbild! Verfluchtes Weibsbild! Mörderin!« Und Maya hörte auch aus ihrer Kehle zwischen Atempausen Worte kommen wie: »Blöde Schlampe, du blöde kleine Schlampe!« Die Leute hielten ihr und auch Jackie die Hände vor den Mund und zischten: »Pst, pst! Still! Sie werden uns hören, sie werden uns melden. Die Polizei wird kommen!«
Endlich nahm Michel seine Hand von Mayas Mund, und sie fauchte ein letztes Mal: »Blöde kleine Schlampe!« Dann setzte sie sich wieder hin und sah sie alle mit einem scharfen Blick an, der traf und mindestens die Hälfte von ihnen zur Ruhe brachte. Jackie wurde freigelassen und fing an, leise zu fluchen. Maya fuhr so wild dazwischen: »Halt’s Maul!«, daß Michel wieder zwischen sie trat. Flüsternd krächzte Maya: »Alle deine Boys am Schwanz herumziehen und sich einbilden, eine Führerin zu sein, und das ohne einen einzigen Gedanken in deinem leeren Kopf …«
»Das höre ich mir nicht an!« schrie Jackie, und alle machten: »Psst!«, und sie rannte in den Gang hinaus. Das war ein Fehler, ein Rückzug; und Maya stand wieder auf und benutzte die Zeit, um die anderen mit aufreibendem Flüstern wegen ihrer Dummheit zu beschimpfen. Und dann, als sie ihr Temperament ein wenig im Griff hatte, plädierte sie dafür, Zeit zu gewinnen. Die quälende Schärfe ihrer Wut lag knapp unter der Oberfläche einer rationalen Bitte um Geduld, Zielstrebigkeit und Beherrschung — ein Argument, das keiner Antwort bedurfte. Während dieser ganzen Beschwörung starrten sie natürlich alle im Raum an, als wäre sie eine blutige Gladiatorin, wirklich die Schwarze Witwe. Und da ihr die Zähne weh taten, weil sie sie in Jackies Arm geschlagen hatte, konnte sie kaum den Anspruch erheben, das perfekte Muster einer intelligenten Diskussionsteilnehmerin zu sein. Sie fühlte, ihr Mund müsse geschwollen sein, so sehr pochte er; und sie kämpfte gegen ein zunehmendes Gefühl von Erniedrigung an und machte weiter, kühl, leidenschaftlich und anmaßend. Das Meeting endete mit einer trüben und größtenteils nicht ausgesprochenen Übereinkunft, jeden Massenaufstand zu verschieben und weiterhin unten zu bleiben.
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