General Pracha schreitet gemessenen Schrittes auf ihn zu. Jaidee lässt sich erneut auf die Knie fallen und wirft sich zu Boden. General Pracha schenkt ihm keine Beachtung, sondern geht nur wenige Zentimeter an seinem Kopf vorbei. Er wendet sich an die Versammelten.
»Ein unabhängiger Ermittlungsausschuss hat Hauptmann Jaidee für schuldig erkannt, Schmiergelder genommen und seine Macht missbraucht zu haben.« Er blickt kurz zu Jaidee hinunter. »Es wurde entschieden, dass er nicht länger geeignet ist, dem Ministerium zu dienen. Er wird einem Orden beitreten und neun Jahre lang Buße tun. Seine Besitztümer werden eingezogen. Seine Söhne werden der Aufsicht des Ministeriums unterstellt; der Name ihrer Familie jedoch wird ausgelöscht.«
Er senkt erneut den Blick. »Wenn der Buddha dir gnädig ist, wirst du irgendwann einsehen, dass dir dein Stolz und deine Habgier zum Verhängnis wurden. Wir hoffen, dass, wenn du schon in diesem Leben nicht zur wahren Erkenntnis gelangst, du in deinem nächsten Leben die Chance erhältst, es besser zu machen.« Er wendet sich ab und lässt Jaidee auf dem Boden liegend zurück.
Akkarat ergreift das Wort. »Wir nehmen die Entschuldigung des Umweltministeriums an, auch für das Versagen General Prachas. Wir sehen einer verbesserten Zusammenarbeit freudig entgegen. Nachdem dieser Schlange nun die Zähne gezogen wurden.«
Der Somdet Chaopraya bedeutet den beiden mächtigen Männern der Regierung, dass sie einander ihren Respekt erweisen sollen. Jaidee rührt sich nicht. Ein Seufzer läuft durch die Zuschauermenge. Dann strömen die Menschen hinaus, um zu erzählen, was sie gesehen haben.
Erst nachdem der Somdet Chaopraya gegangen ist, wird Jaidee von zwei Mönchen aufgefordert sich zu erheben. Ihre Köpfe sind rasiert, ihre safranfarbenen Gewänder alt und fadenscheinig. Sie mustern ihn mit ernster Miene und geben ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er ihnen folgen soll. Er ist jetzt einer von ihnen. Neun Jahre der Buße, nur weil er das Richtige getan hat.
Akkarat tritt ihm in den Weg. »Nun denn, Khun Jaidee. Mir scheint, Sie sind endlich einmal an Ihre Grenzen gelangt. Wirklich schade, dass Sie nicht auf unsere Warnungen gehört haben. Das alles war so unnötig.«
Jaidee zwingt sich zu einer Verbeugung. »Sie haben erreicht, was Sie wollten«, murmelt er. »Lassen Sie Chaya gehen. «
»Es tut mir leid. Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
Jaidee blickt seinem Gegenüber in die Augen und fragt sich, ob er lügt. Ihm ist nichts anzumerken.
Bist du mein Feind? Oder steckt ein anderer dahinter? Ist sie bereits tot? Oder lebt sie noch, in das Gefängnis eines deiner Freunde geworfen, eine namenlose Gefangene unter vielen? Lebt sie, oder ist sie tot?
Er bemüht sich, seiner Verzweiflung Herr zu werden. »Lassen Sie sie frei, oder ich werde Sie jagen und zur Strecke bringen wie ein Mungo eine Kobra.«
Akkarat zuckt nicht mit der Wimper. »Halten Sie sich besser zurück, Jaidee. Es wäre schade, wenn Sie noch etwas anderes verlieren würden.« Sein Blick schweift kurz zu Niwat und Surat hinüber.
Jaidee läuft es eiskalt über den Rücken. »Lassen Sie die Finger von meinen Kindern.«
»Ihren Kindern?« Akkarat lacht. »Sie haben keine Kinder mehr. Sie haben überhaupt nichts mehr. Und Sie können von Glück reden, dass General Pracha zu Ihnen hält. Ich an seiner Stelle hätte die beiden Rotznasen auf die Straße gejagt, damit sie um Rostwelkereste betteln können. Das wäre Ihnen vielleicht eine Lehre gewesen.«
Eigentlich sollte es weit befriedigender sein, dem Tiger von Bangkok das Genick zu brechen. Aber ohne eine Liste der Namen aller Beteiligten bleibt ihm der Sinn der Zeremonie ebenso verschlossen wie der aller anderen religiösen oder gesellschaftlichen Veranstaltungen der Thai, denen er je beigewohnt hatte. Die Degradierung des Hauptmanns ist sogar eine äußerst knappe Angelegenheit.
Kaum zwanzig Minuten nachdem Anderson in den Tempel des Umweltministeriums geleitet worden war, sieht er schweigend mit an, wie sich der vielgepriesene Jaidee Rojjanasukchai vor Handelsminister Akkarat auf dem Boden wälzt. Die goldenen Statuen des Buddha und von Seub Nakhasathien schimmern matt, während sie über dem ernsten Augenblick wachen. Keiner der Beteiligten zeigt auch nur die geringste Gefühlsregung. Sogar Akkarat verkneift sich ein triumphierendes Lächeln. Ein paar Minuten später beenden die Mönche ihren eintönigen Gesang, und alle erheben sich, um zu gehen.
Das war’s.
Und jetzt steht sich Anderson vor dem Tempel des Phra Seub die Beine in den Bauch und wartet darauf, zum Ausgang geführt zu werden. Nachdem er die staunenswerte Abfolge von Sicherheitschecks und Leibesvisitationen hat über sich ergehen lassen, um überhaupt das Gelände des Umweltministeriums betreten zu dürfen, gab er sich Hirngespinsten hin, dass er bei dieser ganzen Sache vielleicht sogar ein paar nützliche Informationen würde aufschnappen können, vielleicht einen Hinweis, wo die Thai ihre hübsche Samenbank verstecken. Das war albern, und er wusste es auch, aber nachdem er zum vierten Mal abgetastet worden war, rechnete er fast damit, dass er gleich Gibbons höchstpersönlich über den Weg laufen würde, der vielleicht eine neue Form der Ngaw in Armen halten würde wie ein stolzer Vater.
Stattdessen sah er sich grimmig dreinblickenden Spalieren von Weißhemden gegenüber und wurde mit einer Fahrradrikscha direkt zu der Treppe expediert, die zum Tempel hinaufführte, wo er die Schuhe ausziehen und unter strengster Aufsicht warten musste, bis er mit all den anderen hineingeführt wurde.
Dicht beieinanderstehende Regenbäume schirmten den Tempel von seiner Umgebung ab. Da waren sogar die »versehentlichen« Flüge von AgriGen über den Bezirk ergiebiger gewesen, und das, obwohl er jetzt mitten auf dem Gelände des Umweltministeriums stand.
»Wie ich sehe, haben Sie Ihre Schuhe wiederbekommen.«
Carlyle schlendert grinsend zu ihm herüber.
»So, wie die uns gefilzt haben«, sagt Anderson, »hätte ich erwartet, dass sie sie in Quarantäne einschließen.«
»Sie mögen es einfach nicht, wie Farang riechen.« Carlyle zieht eine Zigarette hervor und bietet Anderson ebenfalls eine an. Unter dem aufmerksamen Blick der Weißhemden zünden sie sie an. »Hat Ihnen die Zeremonie gefallen?«, fragt Carlyle.
»Ich hätte erwartet, dass es angesichts der Umstände etwas pompöser zugeht.«
»Das haben die gar nicht nötig. Alle wissen, was es bedeutet. General Pracha hat das Gesicht verloren.« Carlyle schüttelt den Kopf. »Für einen Moment dachte ich, gleich würde die Statue von Phra Seub vor Scham in zwei Hälften zerbersten. Man kann direkt spüren, wie sich das Königreich verändert. Es liegt in der Luft!«
Anderson muss an die Gebäude denken, an denen er auf dem Weg zum Tempel vorbeieskortiert worden war. Sie wirkten alle vernachlässigt. Waren mit Wasserflecken und Ranken bedeckt. Wenn der Sturz des Tigers noch nicht Beweis genug ist, dann sprechen umgestürzte Bäume und ungepflegte Wiesen eine deutliche Sprache. »Sie müssen sehr stolz auf das sein, was Sie erreicht haben.«
Carlyle zieht an seiner Zigarette und atmet bedächtig aus. »Sagen wir mal, es ist ein erster Schritt.«
»Die haben Sie immerhin beeindruckt.« Anderson deutet mit einem Kopfnicken auf die Farang -Phalanx, die allem Anschein nach schon ihre Entschädigungsgelder in Alkohol angelegt hat. Lucy versucht, Otto zu überreden, unter dem eisigen Blick der Weißhemden die Pazifikhymne anzustimmen. Der Kaufmann bemerkt Carlyle und kommt herübergetorkelt. Sein Atem stinkt nach Laolao.
»Sind Sie betrunken?«, fragt Carlyle.
»Vollständig.« Otto lächelt verträumt. »Ich musste alles am Tor austrinken. Die Mistkerle haben mir nicht erlaubt, die Flaschen zur Feier des Tages mit hineinzunehmen. Sie haben Lucy auch das Opium abgenommen.«
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